Thema/WM2014

Was bei der WM alles verboten ist

Mario Ferri sah ziemlich zufrieden aus am Dienstagabend. Nicht, weil der Italiener den Belgiern im Achtelfinale gegen die USA von Herzen den Sieg gewünscht hatte. Sondern, weil es ihm wieder einmal gelungen war: Für einen Moment war er bei einer WM ins Rampenlicht geflitzt. Ganz kurz war der flinke Mann, der schon beim Halbfinale 2010 als Überraschungsgast im blitzblauen Superman-Shirt aufgetreten war, sogar im internationalen TV zu sehen. Wie er gemächlich die Mittellinie entlangtrabte und seine Botschaft ("Save Favelas’ Children") präsentierte. Erst mit Verspätung blendete die sonst so geschwinde Regie weg und zeigte dem Fernsehzuschauer Bilder von fröhlichen Fans auf den Tribünen.

Denn wo kämen wir denn da hin, wenn jeder bei einer WM machen könnte, was er wollte? Für einen Hang zum öffentlichen Schabernack ist der gestrenge Weltverband FIFA schließlich nicht bekannt. Im Gegenteil: Wenn es um die perfekte Inszenierung des größten Fußball-Festes geht, verstehen die Hüter über das Weltbild keinen Spaß. Die Lösung für ungebetene Tatsachen auf zwei Beinen: ausblenden.

"Das ist eine Form von Zensur", hatte Andreas Rettig, Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga bereits nach der Vorrundenpartie der Deutschen gegen die USA gewettert. "Wenn ein Spiel unterbrochen wird und eine Szene Einfluss auf das Spiel hat, muss das im Fernsehen zu sehen sein. Wir hätten die Szene in der Bundesliga definitiv gezeigt." Auch vor einer Woche hatte ein Fan eine prominente Ehrenrunde gedreht. Ein Bayern-München-Badetuch und ein breites Grinsen hatte er aufs Spielfeld in Recife mitgebracht, er klatschte mit Müller und Lahm ab und war auch schon wieder verschwunden. Das Publikum jubelte über die Abwechslung zum Dauerregen im der Arena Pernambuco. Auch die Spieler konnten sich das Grinsen nicht verkneifen. Nur dem TV-Zuschauer blieb der Running Gag vorenthalten.

Alle Inhalte anzeigen

Unerwünscht

Bilder von ausgebüxten Fans sind nicht die einzigen Szenen, die in den vergangen Wochen verschwunden sind. Bereits bei der Eröffnung kam es zu einer groben Unpässlichkeit aus FIFA-Sicht: zu einem Protest. Eigentlich hätte der junge Mann indigener Abstammung nur eine weiße Taube steigen lassen sollen, als Zeichen dafür, wie gut alle in Brasilien miteinander auskommen. Doch der 13-Jährige enthüllte nach erfüllter Pflicht ein Plakat mit der Aufschrift "Demarcação" (Abgrenzung). Der Zeitverzögerung sei Dank, dass die Bildregie die Aufmüpfigkeit ungesehen machen konnte. "So etwas wollen die nicht zeigen", sagte Werá Jeguaka Mirim vom Volk der Guarani, das nahe São Paulo lebt und immer weiter an den Rand gedrängt wird. "Die wollen Frieden zwischen den Völkern zeigen, dass alles schön und toll ist. Aber die Situation hier ist eine andere."

Kopfschütteln löst dieser WM-Tage auch die Situation in so manchem Fußballstadion in Brasilien aus, wo der Verbots- und Gebotswahnsinn seine Blüten treibt: So wurden deutschen Fans vor dem Gruppenspiel gegen Ghana Plakate abgenommen. An den gefährlichen Botschaften ("Wir sind da!") kann es wohl nicht gelegen haben. Eine "Fehlinterpretation" räumte die FIFA später ein. Auch das Konfiszieren von Luis-Suárez-Masken vor dem Achtelfinale zwischen Uruguay und Kolumbien sei eine eigenmächtige Handlung einiger Ordner gewesen, wehrten sich die Organisatoren gegen kritische Stimmen.

Wunderlich

Was die TV-Kameras nicht zeigen, sollen tunlichst auch die Journalisten nicht ablichten. So wurde Medienvertretern auf der Tribüne via A4-Zettel das Fotografieren mit jeglichen "modernen technischen Geräten" untersagt – ob dies zu vermehrtem Auftreten von antiquierten Kameras im Pressesektor geführt hat, ist nicht überliefert. Genauso wenig, wie die Antwort auf die Frage, warum Journalisten beim Security-Check am Eingang sogar Hustenzuckerln abgenommen werden, weil sie nicht konform sind.

Und selbst für die Unterhose von Brasiliens Superstar Neymar interessieren sich die Regelhüter. Hatte der doch beim 4:1-Sieg gegen Kamerun einen Hosenbund entblößt, der die "Exklusivität der WM-Sponsoren" zu gefährden drohte.

Es ist aber nicht so, dass während der Weltmeisterschaft nur Verbote erlassen werden. Mitunter werden sogar Regeln gelockert: Eigentlich gilt in Brasiliens Stadien nämlich Alkoholverbot, doch während der WM richten sich Vorgaben schon mal nach den Wünschen von Sponsoren. Um das Gebräu des Exklusivpartners an den Fan bringen zu dürfen, wurde das Turnier kurzerhand zum feucht-fröhlichen Fest erklärt. Ist doch alles nicht so streng. Oder?

Bilder: Wenn Flitzer durchstarten

Alle Inhalte anzeigen