Der Mann mit der weißen WM-Weste
Ich war als Spieler ein Tackler, und ich kann es heute immer noch." Dieser eine Satz, gerichtet an einen frechen Journalisten, genügt, um das Phänomen Didier Deschamps zu erklären. Um zu begreifen, warum ausgerechnet ihm es gelungen ist, die als Chaotentruppe verschriene französische Nationalmannschaft zu bändigen. Die unmissverständliche Botschaft des ehemaligen Aufpassers von Zinedine Zidane: Mit einem Didier Deschamps legt man sich besser nicht an.
Ehrgeizig, energisch und erfolgsbesessen – so charakterisieren ihn seine Anhänger. Schwierig, pedantisch und unnahbar – das sagen die Kritiker über den Mann, der in Brasilien Fußballgeschichte schreiben könnte. Als dritter Mensch nach Franz Beckenbauer und dem Brasilianer Mario Zagallo, der als Spieler und als Trainer den WM-Titel holt. Drei Siege trennen Deschamps und seine Franzosen noch vom historischen Coup.
Siegertyp
Dass ein WM-Spiel auch einmal verloren gehen könnte, das kennt Didier Deschamps nur vom Hörensagen. Als Aktiver (1998 in Frankreich) und als Trainer musste der 45-Jährige bei einem WM-Turnier noch nie den Platz als Verlierer verlassen."Ich habe es immer gehasst, zu verlieren. Selbst wenn ich Karten spiele, will ich immer gewinnen", berichtet der Disziplinfanatiker, der schon als Spieler alle wichtigen Trophäen eingeheimst hat: Mit Frankreich wurde er Welt- und Europameister, mit Marseille und Juventus gewann der defensive Mittelfeldmann die Champions League.
Auch als französischer Teamchef ist Deschamps nun auf der Überholspur unterwegs. Einen großen Sieg hat der 45-Jährige schon vor dem Viertelfinale gegen Deutschland gefeiert. Ihm ist es gelungen, das stark ramponierte Image der französischen Nationalmannschaft zu korrigieren. "Er war Weltmeister, er weiß wie so ein Team zu führen ist", schwärmt Spieler Bacary Sagna.
Aus europäischer Sicht ist es der Schlager des Viertelfinales: Frankreich und Deutschland kämpfen am Freitag im Estádio do Maracanã in Rio de Janeiro um den Einzug unter die besten vier der WM 2014 (18 Uhr MESZ, live ORFeins, ARD und SRF2). Es ist erst das vierte Duell des einfachen Weltmeisters Frankreich (1998) und des dreifachen Weltmeisters Deutschland (1954, 1974, 1990) bei einer Endrunde. Und trotzdem ist das Spiel der Nachbarn ein WM-Klassiker.
Warum dem so ist, dem ist der KURIER auf die Spur gegangen. Ein Rückblick auf drei legendäre WM-Spiele.
1958: Frankreich – Deutschland 6:3
Es gibt wenige Fußballer, die vier Tore gegen Deutschland erzielt haben. Just Fontaine ist so einer. Der in Marrakesch geborene, mittlerweile 80-jährige Franzose schaffte dies bei der WM in Schweden. Es waren seine Tore 10, 11, 12 und 13. So viele Treffer hat kein anderer Stürmer bei einer WM erzielt. Kurios: Fontaine kam in seiner Länderspielkarriere auf 30 Tore, also erzielte er fast die Hälfte bei der WM 1958.
Nicht nur seine vier Treffer machen das Spiel um Platz 3 in Göteborg besonders. Es war auch die zweithöchste Niederlage der Deutschen bei einer WM. Vier Jahre zuvor war ein Gruppenspiel gegen Ungarn 3:8 verloren gegangen. Seit 1958 haben die Deutschen nur noch ein einziges Mal mit drei Toren Differenz verloren: 0:3 1998 im Viertelfinale gegen Kroatien.
1982: Deutschland – Frankreich 8:7 n. E.
Was für ein Foul! Was für ein Drama! Was für ein Krimi! Es gibt ganz wenige Spiele, die sich so ins kollektive Gedächtnis der Fußballfans eingeprägt haben wie jenes Semifinalspiel am 8. Juli vor 32 Jahren, das als "Nacht von Sevilla" in die Fußballgeschichte eingegangen ist. Bis zur 57. Minute war es eigentlich ein ganz normales Spiel. Pierre Littbarski brachte die Deutschen früh in Führung (17.), neun Minuten später gelang Michel Platini der Ausgleich. Doch dann kam jene Szene, die für viele noch heute herhalten muss, wenn es um Gründe geht, um die Ressentiments gegen das deutsche Nationalteam zu erklären: Der gerade eingewechselte Patrick Battiston lief alleine auf das von Toni Schumacher gehütete Tor zu. Dieser stürmte aus dem Strafraum und sprang Battiston an, obwohl er keine Chance mehr hatte, den Ball zu spielen. Der Franzose verlor das Bewusstsein und musste auf einer Trage vom Platz gebracht werden. Der damals 25-Jährige erlitt eine Gehirnerschütterung und verlor zwei Zähne. Eines der brutalsten Fouls der WM-Geschichte blieb ungesühnt, Referee Corver ließ Schumacher weiterspielen. Der ließ sich kurz nach dem Abpfiff zur Aussage "Wenn es nur die Jacketkronen sind, die bezahle ich ihm gerne" hinreißen. Der Skandal war perfekt, Schumacher wurde in Frankreich zum Synonym für den "hässlichen Deutschen". Später entschuldigte er sich aber bei Battiston und wurde sogar zu dessen Hochzeit eingeladen.
Nach dem Drama wurde das Spiel zum Krimi: Die Franzosen lagen in der Verlängerung 3:1 in Front, doch die spielerisch unterlegenen Deutschen kämpften sich zurück. Klaus Fischer erzielte mit einem Fallrückzieher das 3:3. Das erste Elferschießen der WM-Geschichte entschied über den Aufstieg: Als Erster verschoss der Deutsche Uli Stielike, doch weil danach die Franzosen Didier Six und Maxime Bossis an Schumacher scheiterten, standen die Deutschen im Finale.
1986: Deutschland – Frankreich 2:0
Schon vier Jahre nach der "Nacht von Sevilla" hätten die Franzosen die Chance zur Revanche gehabt. Doch die gelang nicht: Der Europameister von 1984 ging gegen den Vize-Weltmeister 1982 als Favorit in das Semifinale der WM in Mexiko. Doch die frühe Führung durch Brehmes Freistoß spielte den Deutschen in der Mittagshitze von Guadalajara in die Karten. Die Franzosen waren zwar überlegen, spielten aber bei Weitem nicht so gut wie im Viertelfinale gegen Brasilien; dieses Elfmeter-Drama wird bis heute zu den besten WM-Spielen gezählt. In der Schlussminute verwertete Rudi Völler eine Konterchance gegen müde Franzosen, Deutschland erreichte erneut als schwächeres Team das Finale.