Thema/Olympia-2014

Sorgenfalten vor dem olympischen Alpin-Finale

Der Favoritenkreis erstreckt sich mittlerweile von Nummer eins bis dreißig", sagt Marcel Hirscher vor dem letzten Alpinbewerb am Samstag. Heißt: Nicht nur Marcel Hirscher könnte den Slalom unter Flutlicht gewinnen, sondern auch ... Manuel Feller? Das mit Sicherheit nicht, denn der Fieberbrunner Junioren-Weltmeister des Jahres 2013, die Nummer 30 der Rangliste des Ski-Weltverbandes FIS, ist gar nicht in Sotschi.

Doch der Favoritenkreis ist enorm groß, wie schon die Ergebnisse der bisherigen Alpinbewerbe bei diesen Winterspielen gezeigt haben. "Da ist der Ondrej Bank auf einmal Zweiter nach dem ersten Lauf im Riesenslalom", sagt Hirscher mit Blick auf die erstaunliche Leistung des Tschechen. "Die Bedingungen hier sind sehr speziell, und auch diese Spiele sind sehr speziell." Nach hohen Temperaturen, Regentagen, Neuschnee und Nachtfrost sind die Pisten "wie bei uns im Mai. Nur dass die Skigebiete dann schon zusperren." Das, sagt Marcel Hirscher, "das ist nicht meine liebste Art von Schnee."

Kopfsache

Darauf gilt es sich einzustellen, und auch auf das Flutlicht in Rosa Chutor. "Es soll nicht so gut sein wie etwa in Schladming", wurde dem Salzburger zugetragen, "eher wie die mobile Anlage, die wir zuletzt in Kitzbühel hatten." Sprich: Die Stangen werfen Schatten, unter den mächtigen Scheinwerfern in der Steiermark ist das nicht der Fall. "Das kann dann speziell im ersten Durchgang schon zach werden, wenn die Dunkelheit noch nicht ganz eingebrochen ist." Und warum? Marcel Hirscher klärt auf: "Wenn eine blaue Stange auf einer Kuppe steht, und im Hintergrund ist’s schwarz, verliert man leicht den Fokus, und, wupp, siehst du die Stange nicht mehr. Dann ist sie auf einmal wieder da, aber da bist du schon ausgefallen."

Also wird er mögliche Brillengläser testen, jenes, das den meisten Kontrast bietet, wird den Zuschlag erhalten und zur Belohnung mit dem Slalom-Weltmeister mitfahren dürfen. "Stirnlampen dürfen wir ja leider nicht verwenden", sagt Hirscher und lacht.

Der 24-Jährige, der nicht müde wird, zu betonen, dass er keine Maschine ist, sieht noch mehr Probleme. Denn "der Hang geht vom Start gleich ganz steil weg, das ist keine einfache Geschichte, in den Lauf reinzukommen." Generell erwartet er auf dem "sehr anspruchsvollen Hang" ein "Spiel zwischen Gas und Bremse".

Den Damen-Slalom am Freitag nutzte er als Anschauungsunterricht für das, was ihn da erwartet, zudem haben Hirscher und sein Team jede Menge Informationen von Serviceleuten eingeholt, um Kantenwinkel und -schliff, Schuhe, knifflige Stellen in der Piste und mögliche Kurssetzungen besser einschätzen zu können.

Und auch sein Vater Ferdinand ist mit dabei in Rosa Chutor, "er mag’s ja nicht, wenn’s im Flieger schüttelt und scheppert", doch für Olympia hat der Senior seine Aversion gegen das Fliegen überwunden. "Er hat sich tapfer gehalten", lobt der Junior, "andere mögen keine Spinnen, er mag halt keine Turbulenzen."

Die Rivalen

Für Turbulenzen in Marcel Hirschers Erfolgsplan könnten neben Marcel Hirscher aber auch andere sorgen. Nach seinem Sieg beim Nachtslalom in Schladming ist der 19-jährige Norweger Henrik Kristoffersen in den Fokus der Österreicher gerückt, "der Hang dürfte ihm liegen", glaubt Hirscher, und Reinfried Herbst sieht in ihm gar einen "heißen Kandidaten. Denn Henrik ist noch bis vor Kurzem Europacup- und FIS-Rennen auf irgendwelchen Pisten gefahren, das ist angesichts der Verhältnisse hier sicher kein Nachteil."

Marcel Hirscher hofft vor allem, dass sein bayrischer Freund Felix Neureuther nach dessen Autounfall samt Schleudertrauma wieder ganz fit ist: "Er hat einen sehr positiven Eindruck gemacht – aber leider auch sehr viel Erfahrung mit Verletzungen."

Startnummern

Um 13.45 und 17.15 Uhr (MEZ) geht am Samstag der letzte Alpinbewerb der Spiele von Sotschi über die weiße Bühne. Kurssetzer: Albert Doppelhofer (D) und Ante Kostelic (Kro).

Reinfried Herbst (Startnummer 11): Auch mit 35 hat der Salzburger noch nicht genug. Neun Siege im Slalom-Weltcup, Olympia-Silber 2006.

Marcel Hirscher (4): Der 24-jährige Salzburger ist amtierender Weltmeister sowie Titelverteidiger in Gesamt- und Disziplinweltcup. Zwölf Weltcuperfolge.

Mario Matt (3): Zwei Mal WM-Gold (2001, 2007) und 14 Weltcupsiege hat der 34-jährige Tiroler bislang gesammelt, 2013 gab es WM-Bronze.

Benjamin Raich (13): Der 35-jährige Tiroler holte 2006 Olympia-Gold, 2002 Olympia-Bronze, 2005 WM-Gold und 2001 WM-Silber. 14 Weltcupsiege.

Er ist wohl jener österreichische Athlet, der die meisten Familienangehörigen um sich hat: Lebensgefährtin Marlies Schild ist in Sotschi, deren Schwester Bernadette, "und mein Schwager ist ja auch da", Mario Stecher hat ja am Donnerstag mit den Nordischen Kombinierern Bronze im Teambewerb geholt. Alles Beiträge zu Benjamin Raichs Wohlbefinden, der vor allem Spaß haben will. "Das wirkt sich positiv auf meine Performance aus, ich spüre, dass es dann leichter geht."

Mit 35 Jahren ist er der älteste der ÖSV-Starter, trotz aller Routine gelingt es ihm freilich nicht immer, Freude zu empfinden. "In den letzten zwei Jahren hatte ich nicht so viel Erfolg wie zuvor", sagt er, "aber ich trau’s mir immer noch zu. Und ich hab’ noch selten so viel Spaß gehabt wie hier in Russland." Klar ist aber auch: "Zum Spaß kann ich auch zum Heliskiing nach Kanada fliegen – ich fahr’ hier schon, damit ich etwas Großes erreiche." Im Riesenslalom fehlten ihm 42 Hundertstel zu Bronze.

"Gewaltig", sagte Mario Matt, "gewaltig ist so ein Skicross-Rennen. Schade, dass das in Österreich nicht so angenommen und gepusht wird." Der 34-jährige Slalomspezialist vom Arlberg hat seinem Bruder Andreas am Donnerstag (vergeblich) die Daumen gedrückt, angetan war er aber allemal.

Vor seinem letzten Olympia-Auftritt hat er fünf Tage Slalom trainiert, "wenn’s sein will, will’s sein, wenn nicht, geht das Leben auch weiter." Ob sein Skifahrer-Leben weitergeht, das lässt sich der älteste Slalom-Sieger der Weltcupgeschichte noch offen, "wichtig ist, dass ich noch um den Sieg mitfahren kann, das ist das Um und Auf." Zuletzt ist der Flirscher eher durch Ausfälle aufgefallen, "aber da war auch Pech dabei. Wenn ich nicht ausscheide, bin ich in den Top drei."

Stangenwald

Der Weltmeister der Jahre 2001 und 2007, der am Beginn seiner Karriere noch mit Zwei-Meter-Skiern durch den Stangenwald pflügte und danach auch Riesenslalom und Kombi fuhr, ist seit drei Jahren ein reiner Slalomspezialist. Seit seinem Bandscheibenvorfall im Jahr 2007 geht er noch behutsamer mit sich um, das Sommertraining ist reduziert, Vorsicht das aktuelle Motto. "Es geht mir nicht jeden Tag super, aber doch viel, viel besser als damals vor sieben Jahren."

Apropos haushalten: Mit seinen 1,90 Metern ist Matt einer der größten Slalomfahrer, auch da ist Vorsicht angesagt: "Ich muss haushalten mit meinen Bewegungen, denn jede wirkt sich beim Fahren gravierend aus."

Mit Favoritenstürzen kennt sich Reinfried Herbst aus. Nach Vancouver war er vor vier Jahren als solcher gereist, die Erwartungen waren groß und umso größer, nachdem die Alpin-Herren bis zum letzten Rennen, dem Slalom, noch ohne Medaille waren. Der Salzburger, seinerzeit vierfacher Saisonsieger, er hätte es richten sollen – und wurde Zehnter.

"Als ich die Bedingungen gesehen hab’, hab’ ich meine Erwartungen schon runtergeschraubt", erinnert sich der 35-Jährige, "aber im Österreich-Haus haben alle gesagt: ,Ihr müsst das retten.‘ Das war nicht förderlich."

Wie anders ist doch die Ausgangslage vier Jahre später: Matthias Mayer hat mit Gold in der Abfahrt den Druck gemindert, "man merkt auch, wie entspannt hier alle sind", sagt Herbst.

Er selbst hat keine großen Erwartungen, "ich erwarte von mir meine beste Leistung, aber ich bin kein Kandidat für eine Medaille." Generell werde es ein leichtes Rennen für ihn: "Ich muss über mich hinauswachsen."