Roben-Recycling: Warum Angela Merkel das wahre Stilvorbild ist
Von Julia Pfligl
„Festspiele: Merkel kam zum vierten Mal im gleichen Kimono“, titelte kurier.at diese Woche (genau genommen war es sogar derselbe) und wurde dafür quer durch die sozialen Medien gewatscht.
Was keinesfalls wertend gemeint war, fassten viele Leserinnen als Kritik am Erscheinungsbild der deutschen Kanzlerin auf: Den bunten – sehr schicken – Seiden-Kimono hatte sie bereits vor 17 Jahren bei einer Premiere ausgeführt, auch sonst trägt die Kulturliebhaberin ihre Kleider gerne öfter (siehe Fotos).
„Prominente Frauen stehen sehr unter Druck, ständig neue Kleider zu tragen. Daher ist es umso bemerkenswerter, wenn Frauen ein ökologisches Statement setzen, indem Sie bewusster mit Kleidung umgehen“, sagt Bettina Kohlweiss zum Merkelschen Mode-Déjà-vu. Als Stil- und Imageberaterin lege sie wert darauf, dass Kleidung erstens sozial fair und ökologisch nachhaltig produziert und zweitens mit Bedacht ausgewählt werde. Auf keinen Fall sei eine kleinere Garderobe mit mangelndem Stilgefühl gleichzusetzen: „Wer seinen Stil gefunden hat, merkt, dass man keine Unmengen an Kleidung braucht, um gut auszusehen.“
„Alter Adlmüller-Fetzen“
Mit ihrem Roben-Recycling befindet sich Angela Merkel in bester Gesellschaft: Die stilsichere Herzogin von Cambridge kam zur Hochzeit von Harry und Meghan in einem Mantel, mit dem sie schon dreimal fotografiert worden war. Lotte Tobisch entzückte am Opernball 2014 in einem, O-Ton, (34 Jahre) „alten Adlmüller-Fetzen“.
Cate Blanchett, eine der größten Mode-Ikonen der Gegenwart, schritt über die roten Teppiche von Cannes und Beverly Hills in ein und derselben Spitzenrobe von Armani. „Von Couture bis T-Shirt – die Müllhalden sind voll mit Kleidung, die unnötig weggeworfen wurde“, sagte sie dazu in einem Interview. „Heutzutage erscheint es irrwitzig, dass solche Kleidungsstücke nicht wertgeschätzt und wieder getragen werden.“
Tatsächlich wird ein Großteil der Textilien für den Müll produziert: Laut UN-Bericht landen dort 85 Prozent aller weltweit getragenen Textilien, in Österreich bleibt die Hälfte der Kleidungsstücke keine drei Jahre im Kasten. Die Folgen der Massenproduktion sind verheerend: Bis 2050 könnte die Textilindustrie für ein Viertel des klimaschädlichen CO2-Ausstoßes verantwortlich sein, warnen britische Forscher. Bereits jetzt verursacht die Massenproduktion mehr Emissionen als internationale Flüge und Kreuzfahrten.
Nicht nur Prominente kennen den Druck, jedes Mal anders angezogen sein zu müssen. Eine Modemarke kokettierte jüngst auf Instagram damit, dass junge Frauen ein Kleid kein zweites mehr anziehen wollen, wenn es bereits auf einem geposteten Foto zu sehen ist. „Man überlegt auch im Alltag: Kann ich das noch einmal anziehen?“, beobachtet Modeexpertin Kohlweiss. „Es braucht Vorbilder, damit die breite Masse es als erstrebenswert ansieht, mit Kleidung bedacht umzugehen.“
Das 20 Jahre alte Kleid ist dann hoffentlich kein Fauxpas mehr, sondern ein Indiz für Stil und Weitblick.