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Physikerin Ulrike Diebold im Gespräch

Die ideale Preisträgerin“, die auf ihrem Gebiet „zu den Besten der Welt“ gehört und zeige, dass „hervorragende Forschung nach Österreich zurückkehrt“ – das sagte Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle über jene Frau, die den höchstdotierten Wissenschaftspreis des Landes erhält: Die Wittgenstein-Preisträgerin 2013 ist Ulrike Diebold, Professorin für Oberflächenphysik an der Technischen Universität Wien. Sie ist erst die vierte Frau in 18 Jahren, die diese prestigeträchtige Auszeichnung bekommt.

KURIER: Frau Prof. Diebold, wo hat Sie die Nachricht vom Wittgenstein-Preis ereilt?

Ulrike Diebold: Ich habe mit meinem jüngeren Sohn zu Hause Uno gespielt. Plötzlich krieg ich diesen Anruf, bin aus allen Wolken gefallen und war ganz glücklich, nervös, aufgeregt.

Wussten Sie, dass Sie nominiert waren?

Ja. Ich wurde vom Vize-Rektor der TU vorgeschlagen, der mich auch um Unterlagen gebeten hat. Nur: Ich hab das dann wieder vergessen.

Was war denn so preiswürdig?

Wir machen Oberflächen-Physik, schauen uns die Oberflächen von Werkstoffen oder Materialien an. Und das ist wirklich ein Anschauen, denn wir verwenden Rastertunnel-Mikroskopie. Mit diesem Gerät kann man Atome sehen. Besonders interessieren mich Oxide – also Verbindungen von Metallen mit Sauerstoff. Deren Oberflächen haben oft Defekte, fehlende Atome, und diese kleinen Störungen auf atomarer Ebene können große Auswirkungen haben. Mit dem Rastertunnel-Mikroskop können wir die Defekte studieren. Sogar Manipulieren ist möglich. Derzeit untersuchen wir, wie wir Defekte gezielt mit einem starken elektrischen Feld herausziehen können.

Da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Anwendung?

Wir machen Grundlagenforschung, die aber mit der Anwendung verbunden ist. Dieses Defekte-Herausziehen wird derzeit für ganz neuartige Speichermedien verwendet, Restore genannt.

Der Wittgenstein-Preis eröffnet Ihnen ungeahnte Möglichkeiten. Haben Sie schon eine Idee, was Sie tun möchten?

Natürlich! (lacht) Es gibt einige ganz neue Geräte , die ich unbedingt haben möchte, ein Rasterkraft-Mikroskop etwa. Damit kann man einzelne Moleküle anschauen. Weiters möchte ich meine Untersuchungen auch in Flüssigkeiten machen. Momentan finden alle Experimente im Vakuum statt. Dadurch bleiben die Oberflächen sehr sauber und sind wohldefiniert. Mein Ziel ist es, dass wir in zehn Jahren die Untersuchungen in einer Atmosphäre machen können, die dem wirklichen Leben näher kommt. Und dann möchte ich natürlich die besten Arbeitsbedingungen schaffen. Ich habe eine tolle Gruppe – etwas über 20 Leute. Ich möchte nicht, dass die größer wird, denn dann könnte ich nicht mehr mittendrin sein. Mit dem Rückenwind des Preises kann man Leute anstellen, sehen, wie sie wachsen – das finde ich am allerschönsten.

Leider muss man in Österreich diese Frage noch immer stellen: Frau, Forscherin und Mutter – wie geht das zusammen?Ich war 20 Jahre in den USA und habe meine Kinder dort bekommen. Ich glaube, dass es in Österreich nicht gegangen wäre. Dort ist es gang und gäbe, dass Frauen arbeiten und Kinder von klein auf in Kinderkrippen gehen. Es ist sogar so, dass Freundinnen, die zu Hause geblieben sind, ein schlechtes Gewissen hatten, weil sie die Kinder nicht frühzeitig in eine professionelle Vorschul-Erziehung geschickt haben. Es gibt einfach die Infrastruktur, und ohne die wäre meine Karriere kaum möglich gewesen. Ohne meinen Mann allerdings auch nicht (er ist Umweltwissenschaftler an der BOKU). Wir haben Kinder und Hausarbeit immer ganz partnerschaftlich aufgeteilt. Ich sage meinen Studentinnen immer: Das Wichtigste für eine Frau, die erfolgreich sein will, ist es, einen Mann zu finden, der den Erfolg aushält.

Als Diebold vor zwanzig Jahren begann, sich mit Metalloxiden auseinanderzusetzen, war das ein eher exotisches Forschungsfeld. Heute interessiert man sich auf der ganzen Welt dafür, denn Metalloxide sind wichtig für die Industrie. Besonders angetan hat es ihr Titanoxid. Es wird etwa zur Beschichtung von Implantaten wie Hüftgelenken verwendet. Trotzdem hat man die chemischen und physikalischen Eigenschaften dieser Substanz noch lange nicht verstanden: „In der Industrie ist man oft einfach auf Versuch und Irrtum angewiesen“, sagt Diebold. „Wir hingegen können Metalloxid-Oberflächen Atom für Atom untersuchen und genau herausfinden, was dort geschieht.“ Ihre Arbeitsgruppe arbeitet auch an einer Beschichtung für Baumwollfasern, die unter Sonnenlicht Verschmutzungen ganz von selbst zersetzen.

Was ist der Wittgenstein-Preis?

Er wurde nach dem Wiener Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951) benannt. Die Forscher werden von ehemaligen Wittgenstein-Preisträgern, Rektoren, etc. nominiert, eine renommierte Wissenschaftler-Jury aus dem Ausland trifft die Wahl. Die Preisträgerin erhält von Wissenschaftsministerium und Forschungsförderungsfonds (FWF) 1,5 Millionen Euro.

Kann man mit dem Geld machen, was man will?

Nein. Die Mittel sind streng gewidmet und müssen – aufgeteilt auf die nächsten fünf Jahre – in die Forschung fließen. Insgesamt bekommen zehn Forscher 12 Millionen, denn gestern wurden auch neun Nachwuchs-Preise (START) vergeben. Mit dem Geld sollen Jungforscher eigene Projekte starten.

Warum wird so viel Geld in die Forschung gesteckt?

Weil ein Wittgenstein-Preisträger etwa 15 und ein Start-Preisträger zehn Mitarbeiter im Rahmen seiner Projekte beschäftigt. Dadurch wurden schon mehr als 1000 höchstqualifizierte Stellen für Nachwuchsforscher geschaffen.

Welchen Stellenwert hat der Wittgenstein-Preis in einem Forscherleben?

Ultimative forscherische Freiheit. Außerdem signalisiert er gesellschaftliche Anerkennung für Grundlagenforschung. Das ist hierzulande wichtig, da das Verständnis für Forschung, die nicht sofort verwertbare Ergebnisse bringt, unterentwickelt ist.