Ottos Erinnerung an den Trauerzug für Franz Joseph I.
Von Caecilia Smekal
Am Abend des 21. November 1916 ging fünf Minuten nach 21 Uhr im Schloss Schönbrunn eine Ära zu Ende. Nach einer schweren Lungenentzündung starb in Schönbrunn Kaiser Franz Joseph I. im Alter von 86 Jahren.
Tochter Marie Valerie drückte dem toten Vater die Augen zu. Sein Neffe Karl entdeckte, nachdem er vom Onkel Abschied genommen hatte und nun sein Nachfolger als Kaiser der Habsburger-Monarchie war, im Vorzimmer Katharina Schratt, die Schauspielerin und langjährige Freundin seines Vaters. In einer noblen Geste bot er ihr den Arm und geleitete sie ans Totenbett, wo sie zwei weiße Rosen auf die Brust des Verstorbenen legte.
Spätestens als Franz Joseph I. am 30. November 1916, einem nasskalten Spätherbsttag, bestattet wurde, war vielen in der Donaumonarchie - egal, ob Anhänger oder Gegner der Habsburger-Herrschaft - klar: Eine Epoche ging zu Ende.
Franz Joseph, 1830 geboren, im Revolutionsjahr 1848 auf den Habsburger-Thron gestoßen, hatte 68 Jahre lang das Habsburger-Reich regiert. Es gab keinen Beamten, keinen Militär in der Monarchie, der unter einem anderen Kaiser als Franz Joseph I. gedient hatte. So lange dessen Herrschaft gedauert hatte, so jung war sein Nachfolger: Karl I. war 28 Jahre alt, seine (viel energischere) Gattin Zita von Bourbon-Parma 24. Immerhin konnten sie einen Thronfolger präsentieren: Ihren 1912 geborenen Sohn Otto. Das Bild des blond gelockten Otto zwischen seinen Eltern im Trauerkondukt für den verstorbenen Kaiser Franz Joseph wurde zum historischen Fotodokument.
Erinnerung
Tatsächlich konnte sich Otto Habsburg bis ins hohe Alter an dieses Ereignis erinnern, auch wenn er damals erst vier Jahre alt war. Die Trauerfeiern für seinen Großonkel hatten sich ihm ins Gedächtnis eingegraben. Seine Schilderung berührt auch heute noch: "Das große Ereignis meiner Kindheit war naturgemäß die Beisetzung von Kaiser Franz Joseph I., als ich an der Seite meiner Eltern jenem Leichenwagen folgte, hinter dem ich auch, ein dreiviertel Jahrhundert später, dem Sarge meiner Mutter auf dem Weg in die Kapuzinergruft folgte.
Es war eine düstere Zeremonie. Für mich als einziges Kind war es ein enormer Eindruck, von diesen ganzen Türmen von Erwachsenen umgeben zu sein." Und er erzählte: "Ich hatte das Gefühl, dass etwas Bewegendes geschieht. Überall waren die großen Menschenmassen, meist schwarz gekleidet."
Selbst Hollywood-Starregisseur Billy Wilder erinnerte sich in seinen Memoiren an den kleinen Kronprinzen. Der Schriftsteller und Dichter Felix Salten empfand das weiß gekleidete Kind unter all den schwarz gekleideten Erwachsenen "wie ein ganz leise und Wehmütig aufklingendes Frühlingslied".
In der Menschenmenge in der Mariahilfer Straße stand damals ein Knabe entlang des Trauerkondukts von Schönbrunn in die Innenstadt, der viel später die österreichische Politik prägte. Auch ihm blieb der Eindruck des Leichzugs tief im Gedächtnis. Es war Bruno Kreisky - damals im Alter von fünf Jahren. Der Sohn einer wohlhabenden großbürgerlichen Familie schilderte später: "Der Leichenzug führte durch Mariahilf, und die Kinder in den Bezirken, durch die er von Schönbrunn in die Stadt hineinzog, mussten Spalier stehen. Es war ein eiskalter, grausiger Tag, und wir froren entsetzlich.
Als der Trauerzug endlich herankam, schien es mir, als fülle sich die ganze Welt mit Schwarz. Es war eine einzige Demonstration der Schwärze, und in den Gesichtern der Menschen waren Schmerz und Sorge zu lesen; was mochte jetzt werden? Als ich nach Hause zurückkam, musste ich meinen Mantel anbehalten, weil es keine Kohlen gab. Es war ein Tag der Kälte und Düsternis in jedem Sinne, und noch in der Erinnerung hat er etwas Unheilvolles."
Tatsächlich konnte Franz Josephs Nachfolger Karl I. den Gang der Geschichte nicht mehr aufhalten: Der Erste Weltkrieg endete in der Auflösung der Donaumonarchie - daran konnte auch der letzte Habsburger-Kaiser nichts mehr ändern.
Zerfall
Der junge Kaiser Karl I. erkannte, dass ihm Franz Joseph eine erstarrte Doppel- Monarchie Österreich-Ungarn hinterlassen hatte. Alle Rufe der Ungarn und der anderen Völker der Donaumonarchie nach mehr Rechten und Selbstbestimmung waren von Kaiser Franz Joseph unerhört geblieben. Ebenso alle Warnungen, das österreichische Kaiserhaus solle sich nicht blindlings dem Kriegsbündnis mit dem Deutschen Reich ausliefern.
Karls zaghafte Versuche, sich aus der Kriegsallianz mit dem deutschen Kaiserreich zu lösen und in der sogenannten "Sixtus-Affäre" einen Separatfrieden mit den Westmächten zu schließen, blieben vergeblich. Der Zerfall der Donaumonarchie nahm seinen Lauf.
Zwei Jahre nach Karls Thronbesteigung war Europa am Ende des Ersten Weltkriegs 1918 ausgeblutet: 15 Millionen Tote, davon in der Donaumonarchie rund 1,9 Millionen, waren zu beklagen. Das Ende der Habsburgermonarchie war besiegelt.