Huberta Gabalier: "Meine Seele hat geweint"
Von Nina Ellend
Wenn Huberta Gabalier sagt: „Ich ziehe den Hut vor meinen Kindern“, möchte man antworten: „Und wir vor Ihnen“. Die 55-jährige Mutter von vier Kindern – der Jüngste, Toni, ist 19 – schaffte es, nach zwei (!) unfassbaren Familientragödien wieder den Weg zurück ins Leben zu finden. Nachdem sich 2007 ihr Ehemann Wilhelm ( 53) vor dem Familienhaus mit Benzin übergossen und angezündet hatte, und ihre einzige Tochter Elisabeth (19) sich auf die gleiche Art und Weise umbrachte, versuchte sie ihrer unermesslichen Trauer „ein Ventil“ zu geben: „Ich konnte in der Nacht nicht schlafen. Ich begann, mir mit Gedichten den Schmerz von der Seele zu schreiben.“
Gabalier. Wer so heißt, war im 18. Jahrhundert ein ständig beleidigter Marquis, der täglich in Duellen seine Ehre verteidigen musste. Oder er ist ein französischer Regisseur, in dessen Filmen am Ende immer alle sterben, ohne auch nur ein Wort gesprochen zu haben. Was ein Gabalier ganz sicher nicht tut, ist singen. Schon gar nicht im steirischen Dialekt.
Da braucht`s dann statt eines Jean-Luc schon einen Andreas, um das möglich zu machen. Und als solcher hat er sich in nur drei Jahren vom Stadl-Beiwerk zum erfolgreichsten Musiker der österreichischen Gegenwart entwickelt – der Hits im Akkord produziert, CDs in Hundertausenderschritten verkauft, Preise im Vorbeigehen kassiert.
In der Wiener Stadthalle beging Andreas Gabalier das Ende seiner Tournee. Dass dieses Konzert ausverkauft, ausverkaufter, am ausverkauftesten war, ist nicht mehr als die logische Konsequenz eines Phänomens.
Kirtag-Atmosphäre vor der Stadthalle
Es ist ein sonniger Frühlingstag, ein klarer Fall für den Gastgarten. Oder einer für Gabalier. Das Bild auf dem Vogelweidplatz: Viel Dirndl, viel Lederhose, viel Dialekt. Aus allen Bundesländern sind die Gabalieristi angereist. Kirtag-Atmosphäre mit Sightseeing-Charakter – Brezen, Bier, Fotoshooting vor der Stadthalle. Junge Mädels, ältere Herren, und umgekehrt. Die Zielgruppe ist klar definiert: Alle. Rehlein und Kaiberl als Stofftiere (um zehn Euro) strecken ihre Köpfchen aus der Handtasche im Lebkuchen-Style. Darauf steht "Spatzerl". Die Vorfreude ist spürbar, sichtbar, mitunter sonderbar. "So liab hob i di" steht den Fans in Gesichter und auf Dekolletés geschrieben.
Um 20.10 Uhr steht Gabalier plötzlich mit Sonnenbrille, rotweißrotem Kragen und der Quetschn`n auf der Rampe vor der Bühne. Der selbst ernannte Volks-Rock’n-Roller spielt auf. Johlen und Kreischen, Klatschen und Stampfen. Ein Selbstläufer, auch wenn Gabalier "die Hos’n g’strichen voll hat". Die Fans sind von der ersten Sekunde an bei ihm, hinter ihm, mit ihm. Ja, es rockt. Er rockt. Hochtalentiert als Dompteur der Massen. Er breitet die Arme aus, kniet nieder, wandert als Prediger für das Heimatgefühl über die Bühne und schwärmt: "Die Wiener Stadthalle ist für einen Steirerbuam der Olymp."
Auf dessen Gipfel beschwört er 24 Lieder lang das Land, die Liebe und den Glauben an Engerln. Die Menschen danken es ihm, unbeschwert und glücklich.
Antwort auf die Krise
Andreas Gabalier scheint zumindest für drei Stunden die Antwort auf eine europäische Krise. Wo Schlagzeilen über Staatsdramen und Finanzdesaster, über Korruption und Globalisierungswahn die Aktualität beherrschen, hat die Verkörperung von Tradition, Regionalität und Bodenständigkeit leichtes Spiel. Gabalier besingt das "Dahoam", die feschen Madln und die Alm. Er zelebriert das Steirerland, den Zwölfender-Hirsch und das "Sweet Little Rehlein".
So darf es sein. Es ist das Gefühl, in einem Kleingarten zu sitzen, von meterhohen schützenden Thujen umgeben, abgeschirmt von den bösen Kräften jenseits des Grundstücks. Vor Augen die eigenen Beete, die Rosensträucher und vielleicht ein paar Gartenzwerge. Auf jeden Fall ein kleines Glück.
Andreas Gabalier verpackt in seine Texte kaum Kritik. Er ist nicht bemüht, eine Welt zu entwerfen, die wir gerne hätten, sondern erfreut sich live und gut bei Stimme hymnisch daran, was wir haben. Und das ist nicht nix. Er ist zweideutig, aber trotzdem sauber. Frech, aber nicht provokant, immer nahbar und nie irritierend. Das macht ihn vertraut, so einer ist im gemeinsamen Gefühlsbad zumindest ein Busserl wert.
Das muss nicht jedem gefallen. Aber es tut auch niemandem weh.
BHs und Slips fliegen auf die Bühne. Aber auch Bierbecher. Das lässt sich mit den Rockeinlagen der Band und den körpersprachlichen Effekten Gabaliers unter "Riesenstimmung" zusammenfassen. Am Ende zerreißt er sein Shirt. Und auf der Bühne steht ein stolzer obersteirischer Bergbauernbua mit nacktem Oberkörper. Die junge Dame sagt: "Vui der geile Typ."
Und das kann man ohne Naserümpfen so stehen lassen.