Peter Prevc: Der Jäger der verlorenen Schätze
Von Christoph Geiler
Ein Problem hat Peter Prevc jetzt natürlich. Er steckt in einem Dilemma, in das er sich selbst hineinmanövriert hat, und aus dem er nun auch nicht mehr so leicht herauskommt. Außer er will unbedingt als erster Gesamtsieger in die Geschichte der Vierschanzentournee eingehen, der nach seinem Triumph sofort einen Abflug macht und auf den Interviewmarathon im Blitzlichtgewitter pfeift.
Auslauf-Modell
Der beste Skispringer der Gegenwart, der Mann, der sich am Dreikönigstag in Bischofshofen (17 Uhr, live in ORFeins) mit großer Wahrscheinlichkeit zum König der 64.Vierschanzentournee krönen wird, scheint Mikrofone und Kameras mehr zu fürchten als den Rückenwind. Für große Emotionen und Gesten ist der Slowene nur im Schanzenauslauf zu haben, dort kann Prevc auch schon einmal richtig auszucken und, wie zuletzt nach seinem Sieg am Bergisel, die Fäuste sprechen lassen wie die Klitschkos zu ihren besten Zeiten.
Aber wehe er verlässt das sichere Schanzenrevier und muss wieder diesen lästigen Reportern Rede und Antwort stehen. Dann sieht’s bei Prevc schon gleich schlechter aus mit den Haltungsnoten. Nicht von ungefähr hat ihm die Süddeutsche Zeitung den Kosenamen "Schweiger aus Dolenja vas Selca" verpasst. Peter Prevc, die slowenische Antwort auf Janne Ahonen, den wortkargen fünffachen Tourneesieger aus Finnland. "Die Tournee ist noch nicht vorbei", sagte der 23-Jährige die letzten Tage über gebetsmühlenartig und erinnerte daran, dass man im Skispringen immer mit allem rechnen müsse.
Gebranntes Kind
Wer wüsste das besser als Peter Prevc. Der Slowene ist ein gebranntes Kind, wann immer er in den letzten Jahren nach den großen Titeln und Trophäen griff, dann kam ein anderer und schnappte sie ihm weg: Bei der WM 2013 in Val di Fiemme? Silber. Bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi? Silber. Und dann noch dieses Weltcupfinale daheim in Planica, bei dem sich Prevc wie in einem schlechten Film vorgekommen sein musste. Bei einem Sieg im letzten Bewerb wäre ihm die große Kristallkugel sicher gewesen, aber sein Kollege Jurij Tepes verdrängte ihn auf den zweiten Rang. Am Ende hatte Prevc gleich viele Punkte wie Severin Freund, der Weltcupgesamtsieg ging aber an den Deutschen (mehr Tagessiege).
Tiefstapler
Insofern muss man Peter Prevc also verstehen, dass er trotz seines komfortablen Punktepolsters (19,7 Zähler) und trotz seiner Hochform immer noch tiefstapelt. Zumal sein letzter Herausforderer im Kampf um den Tourneesieg dann auch noch ausgerechnet Severin Freund ist. Der Deutsche , der gestern pausierte, hat den Gesamtsieg bereits abgeschrieben. "Da bräuchte ich ein richtiges Wunder und Peter müsste ein Missgeschick passieren, was ich ihm nicht wünsche."
Ohnehin schwebt dieser Peter Prevc in diesem Winter in anderen Sphären und lässt sich scheinbar durch nichts aus der Flugbahn werfen. In neun von zehn Saisonspringen war der Slowene auf dem Siegespodest. So eine Erfolgsserie konnte seinerzeit nicht einmal Gregor Schlierenzauer in seiner Rekordsaison 2008/09 (über 2000 Weltcuppunkte) vorweisen. "Peter Prevc ist in einem Modus, wo wir alle nur staunen", sagt ÖSV-Cheftrainer Heinz Kuttin.
Die Statistiken der ersten drei Tourneespringen belegen die Dominanz von Peter Prevc.
Stand vor dem Finale
1. Peter Prevc (SLO) 842,1
2. Severin Freund (GER) 822,4
3. Kenneth Gangnes (NOR) 800,2
4. Michael Hayböck (AUT) 799,0
Gesamtweite in Meter:
Prevc 786
Gangnes 781
Freund780
Hayböck 774,5
Analyse: Prevc fliegt den Gegnern gar nicht um die Ohren. Hayböck lag vor dem Bergisel-Bewerb sogar vor dem Slowenen.
Haltungsnoten
Prevc 336,5
Freund 335,5
Hayböck 332
Gangnes 331
Analyse: Die ÖSV-Springer fühlen sich oft benachteiligt, aber Hayböck hat in Sachen Stil eine gute Figur gemacht.
Windpunkte
Prevc 37,6
Freund 18,6
Gangnes 12,9
Hayböck 12,3
Analyse: Prevc hatte von allen Topspringern die schlechtesten Bedingungen, ließ sich aber nicht beirren und bekam entsprechend viele Windpunkte gutgeschrieben.
Eines muss man Gregor Schlierenzauer lassen: Viel mehr im Rampenlicht wäre der Stubaier bei dieser Tournee auch dann nicht gestanden, wenn er sie gewonnen hätte: Auszeit. Rückkehr. Absturz. Rauswurf. Das waren die Schlagworte der Schlagzeilen, die der 25-Jährige dieser Tage verlässlicher ablieferte als weite Sprünge.
Da passt es nur zu gut in dieses Gesamtbild, dass es Schlierenzauer nun auch noch in die Klatschspalten geschafft hat. Der Trennung von Langzeitfreundin Sandra kurz vor Weihnachten wird nun voraussichtlich das sportliche Aus folgen. Vieles deutet darauf hin, dass man Schlierenzauer in diesem Winter nicht mehr auf der Sprungschanze sehen wird und er Abstand zum Skispringen finden will.
Magischer Ort
Im Fokus steht beim Tourneefinale in Bischofshofen ein anderer Österreicher. Michael Hayböck hat noch große Ambitionen und Lust auf mehr. "Ich gehe auf den dritten Platz los", versichert der Oberösterreicher, der zuletzt am Bergisel von Kenneth Gangnes überflügelt wurde und in der Gesamtwertung hinter den Norweger zurückfiel. "Der dritte Platz wäre für mich ein Riesenerfolg", so der 24-Jährige.
Ein Podestplatz wäre außerdem die richtige Antwort auf die allgemeine Kritik an den österreichischen Skispringern – und so nebenbei eine Motivationsspritze für das nächste Saisonhighlight, die Skiflug-WM am Kulm.