Toni Innauer: "Dieses Kastl-Denken gefällt mir nicht"
Von Christoph Geiler
Anton Innauer ist ein gefragter Mann seit er 2010 den Österreichischen Skiverband verlassen hat. Innauer hält Vorträge, er berät Sportler, er schreibt Kolumnen, er kommentiert für das ZDF, stellt für Unternehmen sein Know-how zur Verfügung – und er nimmt sich Zeit für seine Leidenschaften. „Ich finde das Leben spannend“, sagt der Vorarlberger. „trotzdem habe ich jetzt endlich Zeit, Dinge zu tun, die mir wichtig sind. Ich lese zum Beispiel für mein Leben gerne. Außerdem habe ich meine Leidenschaft für das Musizieren neu entdeckt.“
Hört sich so an, als wäre es der richtige Entschluss gewesen, den Spitzensport und die Funktionärsebene zu verlassen?
Ich will diese Zeit überhaupt nicht missen, weil sie mich viel gelehrt hat. Meine Rolle als Sportdirektor konnte ich recht frei interpretieren, was mir auch zumeist halbwegs originell geglückt ist. Vielleicht war es auch deshalb eine erfolgreiche und besondere Zeit. Ich habe aber irgendwann vor den Winterspielen 2010 gespürt und gewusst, dass es genug ist und ich zurücktreten möchte. Mich haben immer schon Dinge auch außerhalb der beruflichen Karriere stark fasziniert.
Trotzdem wird immer wieder Ihre Meinung eingeholt. Fühlen Sie Sich geehrt?
In den Bereichen Spitzensport, Leistungskultur und deren psychologisch-strukturellen Voraussetzungen habe ich vielschichtige Erfahrung und Expertise. Aus diesem Grund bekomme ich internationale Anfragen als Vortragender und kann als Berater oder Buchautor leben. Natürlich bedeutet mir das etwas, dass man mir Gehör schenkt. Andererseits versuche ich mich selber nicht zu wichtig zu nehmen, weil mir bewusst ist, wie die Mechanismen funktionieren. Medien brauchen in der Diskussion manchmal jemanden, der den Gegenpart spielt, polarisiert. Wobei ich mich vor allzu simpler Instrumentalisierung zu schützen weiß. Ich versuche immer zu unterscheiden: Sind da jetzt mein Sachverstand, meine Argumentation gefragt, oder bin ich nur Teil einer Inszenierung.
Wenn Ihre Meinung so gefragt ist: Hätte Sie denn nie der Einstieg in die Politik gereizt?
Die Frage hat sich ab und zu gestellt, interessanterweise hat es aus vielen Lagern diesbezüglich Anfragen gegeben. Wahrscheinlich auch deshalb, weil meine Aussagen und Ansichten mich nicht zwangsläufig in irgendeine Schublade stecken lassen. Parteipolitik funktioniert ja leider oft nach einem Schema: Sobald der gute Vorschlag von einer anderen Partei kommt, dann kann man ihn nicht mehr gutheißen, sondern muss aus Prinzip dagegen sein. Dieses Kastl-Denken gefällt mir nicht, ich bin da zu sehr Idealist, Individualist und Selberdenker, dem es wichtig und heilig ist, dass es ein sachliches, rationales, vernünftiges Vorgehen gibt. Ich tu’ mich wahnsinnig schwer damit, das dem kleinkarierten Vorteilsdenken unterzuordnen. Das waren teilweise auch die Reibungsflächen im Österreichischen Skiverband.
Wovon sprechen Sie?
Wenn du als ÖSV-Angestellter etwas vertreten musst, was offizielle Verbandsrichtlinie ist, du diese Ansicht aber nicht hundertprozentig teilen kannst. Es ist schwierig, dann mit dem Brustton der Überzeugung aufzutreten und ohne wenn und aber dahinter zu stehen.
Apropos ÖSV. Wie ist überhaupt Ihr Verhältnis zu
Peter Schröcksnadel? Sie haben den Umgang des Verbandes mit dem Missbrauchsthema kritisiert und wurden vom ÖSV-Präsident im Gegenzug als Pharisäer bezeichnet.
Ich würde sagen, das Verhältnis ist frostig.
Frostig?
Es ist frostig. Wir brauchen uns zwar gegenseitig nicht mehr, aber wir haben für den Sport gemeinsam großartige Dinge bewegt. Ich hatte mit Peter Schröcksnadel ein klärendes Gespräch vereinbart, er hat es ersatzlos platzen lassen. Während
Olympia sind wir uns in Seoul über den Weg gelaufen, aber über ein „Griaßti“ ist es leider nicht hinausgekommen. Eigentlich schade.
Warum haben Sie Sich in der Missbrauchsgeschichte zu Wort gemeldet?
Nur weil ich keine offizielle Funktion im Sport habe, bedeutet mir der Sport trotzdem sehr viel. Ich bin im Sport verankert, der Sport hat mich geprägt und umgekehrt. Zwangsläufig ist man da von manchen Entwicklungen und Vorfällen betroffen. Außerdem schreibe ich seit sechs Jahren in der Tiroler Tageszeitung Kolumnen. Da kann ich dann nicht sagen: Zu diesem heißen Thema will ich mich nicht äußern.
Was denken Sie über die Missbrauchsfälle im Sport?
Auch der Sport muss sich dem stellen und er zeigt sich lernfähig, den richtigen Zugang zu dem Thema zu finden, nachdem anfänglich falsch reagiert wurde auf die Vorwürfe. Es wurde als Majestätsbeleidigung aufgefasst, weil ich gesagt habe, dass die ÖSV-Obrigkeit mit dem Thema und den Betroffenen verharmlosend oder ungeschickt aggressiv umgegangen ist. In dem Moment, in dem die Colts öffentlich rauchen, ist Peter Schröcksnadel nicht zurückzuhalten. Er stellt sich dann ganz vorne hin, meint es zwar gut, aber gibt manchmal unpassende Schnellschüsse von sich. Eigentlich sollte man ihn in diesen Momenten vor sich selbst schützen und andere an die mediale Front senden.
Lassen Sie uns das Thema wechseln: Wohin entwickelt sich Ihrer Meinung nach der Sport? In die richtige Richtung?
Der Sport wäre nicht annähernd so faszinierend für so eine breite Masse der Öffentlichkeit, wenn ihn die Medien nicht so exzellent aufarbeiten und überhöht inszenieren würden. Aus dem Sport ist eine riesige Unterhaltungsbranche geworden, und selbstverständlich auch ein enormer Wirtschaftsfaktor. Wirtschaftliche Überlegungen stehen heute auch im Sport über allem. Wenn man das aber zu lange so praktiziert, wenn mehr und mehr die Seele des Sports verkauft wird, dann merken das die Menschen sehr wohl. Dann landet man dort, wo sich das Internationale Olympische Komitee (
IOC) befindet. Dort hat man mittlerweile gemerkt, dass man zu weit gegangen ist und sich kaum mehr demokratische Länder finden lassen, die
Olympische Winterspiele austragen wollen. Das Problem ist: dem IOC wird mittlerweile nicht mehr über den Weg getraut, wenn es kleinere und leistbare Spiele propagiert und vielleicht auch ernsthaft möchte. Das hat auch das Ergebnis der Olympiaabstimmung in Innsbruck gezeigt.
War früher im Sport denn alles oder vieles besser?
Es war purer, aber nicht besser. Wenn man bedenkt, dass wir ohne Sturzhelm und ohne Sicherheitsbindung für zehn D-Mark am Tag über Skiflugschanzen geflogen sind. Oder wenn man sich erinnert, dass in der Formel-1 jedes Jahr Todesopfer zu beklagen waren. Dann ist manche Idylle eine rückwärtsgewandte Verklärung.
Zurück in die Gegenwart: Wofür können Sie Sich aktuell begeistern?
Wenn zum Beispiel Dominic Thiem eine entscheidende Partie spielt, Marcel Hirscher sein erstes Rennen nach einer Verletzung in Angriff nimmt, Esther Ledecka als Snowboarderin die Goldene im Super-G holt oder Noriaki Kasai mit 45 in den Top 5 landet. Solche Ereignisse reißen mich mit. Die
Formel 1 andererseits bringt mein Blut nicht in Wallung. Vor die Entscheidung gestellt bewege ich mich lieber selber, statt mich medial „besporteln“ zu lassen. Den Blick von außen auf den Sport als gesellschaftliches und kulturelles Phänomen finde ich spannend. Wie geht er mit seinen Prinzipien und Spielregeln um?
Und wie geht der Sport damit um? Gibt es bedenkliche Entwicklungen?
Es ist zum Beispiel bedenklich, dass schwerste Knieverletzungen in einer Sportart wie dem Skifahren „normal“ geworden sind. Man glaubt seit Jahren, die Verantwortung an Medizin und Wissenschaft auslagern zu können, dabei ist man selber substanzieller Teil des Problems. Die Szene lebt die Haltung, man sei machtlos, solange die Experten keine Lösung finden, dass Operationen dazugehören zum Skifahren. Ich sage das aus aktuell betroffenem Anlass, weil ich gerade Stephanie Brunner, eine Skifahrerin, die wir mit unserer Agentur betreuen, im Krankenhaus in Hochrum besucht habe. Am selben Tag wurden dort drei weitere Teilnehmerinnen desselben Rennens mit schweren Verletzungen operiert.
Was missfällt Ihnen sonst?
Die Gagen, die mittlerweile im Fußball bezahlt werden sind vertrottelt. Wenn das Geld so offensichtlich abgeschafft wird. Das ist nicht nur pervers gegenüber den Menschen, die das Geld für ein Ticket zusammenkratzen müssen, um dieser Ersatz-Religion zu huldigen. Es ist auch pervers dem Wettbewerbsprinzip gegenüber. In dieser Hinsicht sind uns paradoxerweise die US-amerikanischen Sportligen weit voraus: dort wird durch Budgetobergrenzen und Vorkaufsrechte schwächerer Clubs das Leistungsverhältnis gewahrt um einen ausgewogenen und damit spannenden Wettkampf zu ermöglichen. Natürlich, auf lange Sicht wird sich immer das Geld durchsetzen, aber den Erfolg zu kaufen, das ist todlangweilig. Die Grundidee des Sports muss sich im ideologischen Grab umdrehen, wenn sie zum Lieblingsspielzeug für gelangweilte, geltungssüchtige Milliardäre wird.
Sie haben vorhin vom Sport als gesellschaftlichem und kulturellem Phänomen gesprochen. Ist
Österreich für Sie eine Sportnation?
Für mich stellt sich die Grundsatzfrage: Wollen wir überhaupt ein Sportland sein, und zwar mit allen Konsequenzen, die dann das mit sich bringt? Als 60-Jähriger würde ich heute sagen: Ich muss das nicht mehr haben, dass wir unsere nationale Identität betont über Erfolge im Spitzensport definieren.
Wie ist das zu verstehen?
Nehmen wir den russischen Dopingskandal und die bis heute fehlende Einsicht in das eigene Fehlverhalten oder die Geschichte der DDR. Langsam kann man ermessen, was gelaufen ist und wie die vielen Medaillen erschummelt wurden. Wollen wir das? Wollen wir alles tun und eine faire Grundhaltung über Bord werfen, nur um in gefährdeten Sportarten ganz vorne zu sein? Klare Antwort: Sport kann ein tolles Beispiel für ein gelebtes humanes Leistungsprinzip sein. Gewinnen um jeden Preis ist pervers. Ein Sportland, eine Sportkultur wird nicht durch Medaillenspiegel definiert, sondern auch dadurch, wie man bereit ist, für die Einhaltung der Regeln im Sport einzutreten und wie die Gesellschaft den Sport und Bewegung im Alltag lebt.
Die Österreicher bewegen sich immer weniger.
Bewegung und Naturerfahrung waren früher mangels anderer Ablenkungen ganz selbstverständlich. Stundenlanges Sitzen entspricht nicht dem Menschsein. Man muss ein Kind dressieren, faszinieren oder abhängig machen, damit es stillhalten lernt. Früher war es das Fernsehen, jetzt locken Smartphone und Laptop in die Kauerhaltung. Der kluge Umgang mit diesen grandiosen Werkzeugen will erlernt sein, sonst zeigt sich schnell das Suchtpotenzial mit enormen Nebenwirkungen. Dem Menschen ist Bewegung in die DNA geschrieben. Leider kommt das heute zu kurz, man muss sich selber in jedem Alter bewusst und spürbar gegen den „Sog der Gesellschaft“ und für Sport und Bewegung entscheiden. Bewegung war einmal selbstverständlich, heutzutage will sie als „Kulturtechnik“ gelernt und gelehrt werden. Wir werde alle älter und die Muskelsubstanz will gepflegt werden. Dazu braucht es Selbstverantwortung und Eigeninitiative, anfänglich auch Überwindung und Disziplin oder Inspiration durch eine Gruppe und Trainer. Bald stellt sich ein belohnender Umkehrschub ein und es beginnt Spaß zu machen und zu wirken. Im Sportresort HOHE SALVE, mit dem ich zusammenarbeite, haben wir diese Idee zum Programm gemacht. Bewegung wird zum lustvollen Lebensgefühl, wenn man die Anfangshürden überwunden hat und akzeptiert, dass man selber die Verantwortung dafür ein Leben lang trägt.