Lokalaugenschein im Tal des Größenwahns
Von Stefan Sigwarth
Eines ist den Olympischen Winterspielen im kommenden Februar gewiss: Sie werden für Rekorde sorgen, auf welche Art auch immer. Das 37-Milliarden-Euro-Projekt (das entspricht dem halben Staatsbudget Österreichs im heurigen Jahr) ist eine Mischung aus Größenwahn und nötiger Modernisierung, aus Umweltfrevel und nachhaltiger Planung – und vor allem Produkt des Wunsches, dass Russland und seine 143 Millionen Einwohner von außen endlich anders wahrgenommen werden als die Sowjetunion in den Zeiten des Kalten Krieges.
Sotschi, das ist einmal die traditionsreiche Sommer-Urlaubsdestination am Schwarzen Meer mit ihren 300.000 Einwohnern, mit prächtigen alten Häusern. Und Sotschi ist die Region, die in Summe 450.000 Menschen Heimat ist. Sotschi ist aber vor allem auch im Oktober 2013 noch Baustelle. Es rattert und knattert, es scheppert, dröhnt, lärmt, kracht – und es staubt.
Ein Grund liegt in der zentralistischen russischen Bürokratie, die die Firmen zuweilen für Wochen zum Nichtstun zwingt. Ein Grund ist aber auch die Geologie des Tals, dessen Ränder einst von Gletschern zerrieben wurden: Bis zu 70 Meter tief mussten manche Verankerungen in die bewaldete Geröllhalde getrieben werden, um festen Fels zu erreichen.
Die Angelockten
Was sich getan hat? Die neue Schnellbahn, die die Küste mit den Bergen in 25 Minuten Fahrzeit verbinden wird, wurde teils nur ein- statt zweigleisig ausgeführt (Stichwort: Geologie). Die neue Schnellstraße (während Olympia den Akkreditierten vorbehalten) ist noch nicht eröffnet, um sie vor den Belastungen des Schwerverkehrs zu schützen, der sich durchs Tal wälzt. Und die burgähnlichen Gebilde, die Athleten, Betreuer, Fans und all die anderen beherbergen werden, „sie werden fertig“, sagen die Verantwortlichen.
Droben am Berg liegt seit Anfang September der erste Schnee, dort sind auch die Hausaufgaben erledigt; Pläne für den Zusammenschluss dreier noch getrennter Skigebiete liegen in der Schublade. Derzeit haben die Gebiete noch drei Eigentümer – doch Eigentümer wechseln in Russland manchmal schnell.
Die Vertriebenen
Wo jetzt der Olympiapark steht, wo bald Formel-1-Autos kreisen werden, wohnen noch immer Privatmenschen. Doch es waren bis vor einigen Jahren noch viel mehr – jene, die Dorf und Park im Weg waren, wurden zur Umsiedlung eingeladen, und als der zivile Widerstand gar so groß wurde, erließ die Regierung ein Gesetz, das die Enteignung für Olympia legalisierte.
Weil der Fluss aus dem Tal von Krasnaja Polnaja dort sein Delta hat(-te), war der Boden sumpfig. Das ist er heute nicht mehr. Nur ein paar Grünstreifen des ursprünglichen Zustands sind noch übrig. Dafür stehen dort nun schmucke Appartements, die nach dem Sportspektakel verkauft werden sollen. erhoffter Quadratmeterpreis: 5000 US-Dollar.
Die Trauernden
Ein schwacher Trost für jene, die dem alten Idyll nachtrauern: Der Schnee wird vieles überdecken – und die Erde über der Geröllhalde ist überaus fruchtbar.