Ein glücklicher Ligety und ein erleichterter Hirscher
Von Christoph Geiler
Man hat Marcel Hirscher nach Rennen, die er nicht gewinnen konnte, schon einmal enttäuschter und unzufriedener erlebt. Nach dem Riesentorlauf auf dem Rettenbachferner in Sölden, in dem er dem US-Amerikaner Ted Ligety und dem Franzosen Thomas Fanara knapp den Vortritt lassen musste, war der Weltcup-Gesamtsieger in erster Linie eines: erleichtert.
Denn es sind alle Jahre wieder die gleichen Fragen , die sich Hirscher und seine Skifahrer-Kollegen vor dem ersten Saisonrennen stellen: Stimmt die Form? War die Vorbereitung gut? Haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben? „Du weißt vor Sölden nie genau, wo du wirklich stehst“, erklärt Marcel Hirscher. „Deshalb bin ich jetzt sehr erleichtert, dass ich bei den Leuten dabei bin. Und eigentlich war es besser, als ich während der Fahrt gedacht habe.“
Eislaufplatz
Ein Genuss war dieses Rennen aber ohnehin für keinen Läufer, und ein richtig gutes Gefühl wollte sich auf dem schweren Riesentorlaufhang in über 2600 Metern Seehöhe nur bei den wenigsten einstellen. Die Piste war dermaßen eisig, dass jeder seine liebe Not hatte und sich im Ziel kaum noch auf den Beinen halten konnte. Wie glatt es wirklich war, machte ein Malheur eines Streckenpostens deutlich, der trotz Steigeisen an den Füßen den Halt verlor und den ganzen Steilhang hinunter rutschte. „Das war diesmal einfach nur zäh, zäh, zäh“, gestand denn auch Ted Ligety, „das hat sich heute für keinen gut angefühlt.“
Der US-Amerikaner gab jedenfalls schon einmal die Antwort auf den vergangenen Winter, als er die Vormachtstellung im Riesentorlauf an Marcel Hirscher abgeben musste. Ligety wurde zwar in Vail/Beaver Creek Riesentorlauf-Weltmeister, die kleine Kristallkugel hatte sich allerdings der Österreicher gesichert, der seinem langjährigen Rivalen in einigen Rennen sogar mehr als zwei Sekunden abknöpfte.
Kampfansage
In Sölden präsentierte sich Ligety nun in bekannter Stärke: frisch verheiratet, mit einigen Muskeln mehr und mit neuer Motivation. Denn einmal in seiner Karriere will der 31-Jährige auch noch den Gesamtweltcup gewinnen. Der Triumph im Ötztal, der bereits vierte Sieg beim klassischen Gletscherrennen, kann als Kampfansage an Marcel Hirscher verstanden werden. „Ich muss einmal schauen, wie viele Rennen ich fahren kann“, sagt Ligety dazu nur.
Es war für Marcel Hirscher ein gewohntes Bild, auf dem Stockerl zu stehen. Immerhin hat der Salzburger die letzten 23 (!) Riesentorläufe immer in den Top 4 beendet. Schon etwas ungewohnter war es für den Superstar der Skiszene, dass er das Rampenlicht mit einem anderen ÖSV-Läufer teilen durfte. Denn in Roland Leitinger machte sich einer aus der Riege der österreichischen Zukunftshoffnungen in Sölden einen Namen.
Talentprobe
Der 24-Jährige aus St.Martin bei Lofer fuhr mit Startnummer 39 auf den sechsten Rang und mitten in die Weltspitze. Leitinger hatte bereits im vergangenen Winter mit dem Gewinn der Europacup-Wertung aufgezeigt und sich damit einen fixen Startplatz für den Weltcup gesichert, im Ötztal zeigte der Salzburger nun mit der Laufbestzeit im zweiten Durchgang auf, mit der er sich noch vom 26. auf den sechsten Platz katapultierte.
Noch verblüffender als die Laufbestzeit war aber der verblüffend coole und selbstbewusste Auftritt von Leitinger bei den Interviews. Denn der 24-Jährige, der in der Vergangenheit wegen schwerer Verletzungen (Kreuzbandriss, Knöchelbruch) schon zwei Winter pausieren musste, wurde von seiner Performance überhaupt nicht auf dem falschen Fuß erwischt. „Ich hab’ jetzt nicht damit gerechnet, dass es für einen Top-Ten-Platz reicht, aber zugetraut habe ich mir die Laufbestzeit schon.“
Lob
Überhaupt präsentierten sich Österreichs Herren am Tag nach der schwachen Vorstellung der ÖSV-Damen (nur drei im 30er Finale) überraschend geschlossen und stark. Gleich sechs Läufer sammelten Weltcuppunkte, darunter Hannes Reichelt (16.), der seine Liebe zum Riesentorlauf wiederentdeckte, oder auch der junge Vorarlberger Christian Hirschbühl (22.), der in seinem ersten Weltcupriesentorlauf gleich die ersten Weltcuppunkte holte. „Das war ein großartiges Rennen. Unsere Mannschaft hat einen großen Schritt nach vorne gemacht“, lobte ÖSV-Sportdirektor Hans Pum.
Und Marcel Hirscher? Den brennt nach den ersten positiven Erkenntnissen („das Feld ist enger zusammen gerückt“) bereits die nächste Frage. Wie ist es um die Slalom-Form bestellt? In drei Wochen wird der Weltcup im finnischen Levi mit zwei Slaloms fortgesetzt. „Ich hoffe, dass es für mich dann auch in dieser Disziplin eine Erlösung gibt“, sagt der 26-Jährige, „aber eines ist klar: der erste Druck ist jetzt schon einmal weggefallen.“
Endstand:
1. Ted Ligety USA 2:23,88 2. Thomas Fanara FRA 0,153. Marcel Hirscher AUT 0,17 4. Roberto Nani ITA 1,905. Alexis Pinturault FRA 2,01 6. Henrik Kristoffersen NOR 2,81. Roland Leitinger AUT 2,81 . Felix Neureuther GER 2,81 9. Mathieu Faivre FRA 2,93 10. Victor Muffat Jaundet FRA 3,0914. Philipp Schörghofer AUT 3,51 16. Hannes Reichelt AUT 3,66 22. Christian Hirschbühl AUT 4,13 25. Christoph Nösig AUT 4,36