Sport/Wintersport

Thomas Morgenstern beendet seine Karriere

Marlies Schild weinte, als sie vor Kurzem ihren Rücktritt bekannt gab. Selbst bei Hermann Maier bröckelte im Augenblick des Abgangs die Fassade des Herminators, und die Tränen kullerten ihm über die Wangen. Als jetzt Thomas Morgenstern an der Reihe war, die Karriere zu beenden, blieben die Taschentücher trocken.

Abschiedsscherz statt Abschiedsschmerz war offenbar das Motto des Kärntners,als er gut gelaunt bekannt gab, was ohnehin jeder schon seit Monaten geahnt hatte. "Das war kein einfacher Schritt, aber ein logischer." Dazu riss Thomas Morgenstern Witzchen, erzählte Bonmots aus seiner Karriere und präsentierte ein Dauerlächeln.

Erleichterung

Da ist einer augenscheinlich erleichtert, dass er noch rechtzeitig den Absprung geschafft hat. Dass er seine beiden schweren Stürze in der letzten Saison ohne Folgen überstanden hat und sogar noch mit einer olympischen Silbermedaille (Teambewerb) abdanken konnte, war auch für den 27-Jährigen keineswegs selbstverständlich. "Mir ist bewusst, dass ich mehrere Schutzengel hatte."

Dieses Glück wollte und konnte er nicht mehr strapazieren. Die letzten Trainingswochen waren für Morgenstern eine mentale Extrembelastung, jeder Sprung wurde zur Qual. "Wenn du oben auf dem Balken sitzt und dir nur durch den Kopf schießt ,hoffentlich geht die Bindung nicht auf‘, dann kann etwas nicht stimmen."

Töchterchen Lilly, die im Dezember zwei Jahre wird, war die erste, die Morgenstern in seine Abschiedspläne einweihte. "Lilly, du wirst mich wohl nie beim Skispringen sehen", hatte der Kärntner ihr zugeraunt, ehe er ÖSV-Sprungcoach Heinz Kuttin informierte. "Diese Entscheidung lag irgendwie in der Luft. Ich hab’ gemerkt, dass der Thomas in den letzten Wochen sehr nachdenklich war", erklärt Kuttin.

Komplimente

Der Rücktritt nach zwölf Jahren im Weltcup war daher die logische Konsequenz. "Wir sind alle froh, dass er aufhören kann und darf – und nicht aufhören muss", sagte ÖSV-Direktor Ernst Vettori, "der Thomas war einer, der die österreichische Skisprungkultur geprägt hat."

Der Status und die Wertschätzung eines Athleten lassen sich auch an der Anteilnahme der Sportprominenz festmachen. Die Lounge im Hangar-7 war überfüllt, elf Kameras übertrugen den Auftritt, sogar ein Team aus Japan war extra nach Salzburg gereist. Auf Facebook schickten Dauerrivale Gregor Schlierenzauer und Skistar Marcel Hirscher Glückwünsche, und Morgenstern-Entdecker Anton Innauer erhob seinen Schützling überhaupt in den Rang einer V-Stil-Ikone. Ihm war 1996 bei seinem Skifest in Bad Kleinkirchheim ein blonder Stöpsel aufgefallen, der unbedingt Skifahrer werden wollte. "Ich hab’ ihn zum Glück zum Skispringen überredet", erinnert sich Innauer, "der Thomas verkörperte diese James-Dean-Geschichte. Ein junger Draufgänger, der kein Risiko scheut und die Leute mitreißt. "

Und Thomas Morgenstern? Der macht vorerst einen weiten Bogen um die Schanzen und will nur noch privat mit dem Hubschrauber abheben. "Worauf ich mich am meisten freue? Dass ich mein Privatleben nicht mehr am Sport ausrichten muss."

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Ein Großer des österreichischen Sports sagt Adieu: Etwas mehr als ein Monat vor seinem 28. Geburtstag stellt der dreifache Skisprung-Olympiasieger und elffache Weltmeister Thomas Morgenstern seine Latten nun doch ins Eck. Eine ereignisreiche vergangene Saison mit zwei schweren Stürzen, vor allem jenem am 10. Jänner 2014 im Training auf der Flugschanze auf dem Kulm, hat ihn dazu bewogen.

Ein Sturz, dessen Nachwirkungen den Familienvater bis heute verfolgen. Doch die dritte Olympia-Teilnahme vor Augen gelang Morgenstern damals ein nicht für möglich gehaltenes Comeback: Nur fünf Wochen, nachdem er mit einem Schädel-Hirn-Trauma und einer Lungenquetschung auf der Intensivstation gelegen war, kämpfte sich Morgenstern noch einmal mit seinen Teamkollegen in die Schlagzeilen.

Denn am 17. Februar 2014 schloss sich für "Superadler" Morgenstern der sportliche Kreis: Nach drei Goldmedaillen (Einzel, Team 2006 und Team 2010) holte er mit dem Team seine vierte und letzte Olympia-Medaille. Sie war "nur" aus Silber, glänzte für ihn aber wie Gold. "Mit so einem Sprung wie dem letzten von Sotschi wegzufahren, habe ich mir gewünscht", sagte der Triple-Olympiasieger damals. Es sollte sein letzter Eintrag in die Ergebnislisten der Skisprungwelt gewesen sein. Hinter Felix Gottwald steht er nun als zweiterfolgreichster Olympia-Sportler Österreichs da.

Morgenstern beendete die Saison nach den Olympischen Spielen vorzeitig. Er wollte sich völlig auskurieren und über seine sportliche Zukunft nachdenken. Es folgte die nächste emotionale Achterbahn-Fahrt: Der Wunsch zur Rückkehr in den geliebten Sport war da, der Respekt aber auch. Morgenstern trainierte sich zwar wieder zu körperlicher Topform, doch gerade in diesem auch gefährlichen Sport spielt sich eben sehr viel auch im Kopf ab.

Nicht zuletzt beim Blick auf seine großartige Laufbahn fehlte wohl die letzte Motivation, sich der vorhandenen Angst, speziell vor großen Schanzen, noch einmal zu stellen.

Letzter großer Triumph

Seine letzten ganz großen Einzel-Triumphe feierte Morgenstern in der Saison 2010/11, in der er noch einmal groß abräumte. Neben seinem einzigen Gesamtsieg bei der Vierschanzen-Tournee (dazu drei zweite Plätze, einen davon 2013/14) sowie dem zweiten Weltcup-Gesamtsieg holte sich der damals 24-jährige Kärntner auf der Normalschanze in Oslo endlich auch die ihm noch fehlende Einzel-Goldmedaille bei Nordischen Weltmeisterschaften.

Zwei Jahre zuvor war er, den Sieg im WM-Normalschanzenbewerb vor Augen, im Auslauf gestürzt. Gold ging damals an Wolfgang Loitzl vor Gregor Schlierenzauer. Es hätte in Liberec ein historischer ÖSV-WM-Triplesieg mit ihm an der Spitze werden können. Doch das war nur einer von mehreren Rückschlägen im sonst so erfolgreichen Sportlerleben Morgensterns.

Eine Karriere, die bei der Vierschanzen-Tournee Ende Dezember 2002 in Oberstdorf begonnen hatte. "Das war etwas ganz Besonderes, da reinzukommen und Vorbilder wie Goldberger, Höllwarth, Widhölzl in der eigenen Mannschaft zu haben", erinnerte er sich einmal. Am Beginn sei er nervös gewesen, mit ihnen zu reden. "Wenn ich mir jetzt Bilder von damals anschaue, denke ich mir: 'Hey, da ist einiges weiter gegangen bei dir'."

Schon zwei Wochen später wusste jeder Beobachter, welch ein Riesentalent dieser Thomas Morgenstern hat. Als 17-Jähriger feierte er am 11. Jänner 2003 in Liberec seinen ersten von insgesamt 23 Weltcup-Siegen. "Ich war damals wie in einer anderen Welt, wie im Traum, es war einer der schönsten Momente meines Lebens", erinnerte sich der Kärntner einmal.

Schmerzen

Wie nahe im Sport Triumph und Schmerz beieinander liegen können, erfuhr Morgenstern schon knapp zehn Monate später. Am 29. November 2003 stürzte er in Kuusamo zum ersten Mal richtig schwer. "Es war ein spektakulärer Sturz, da habe ich es sogar in die New York Times geschafft", scherzte er Jahre später . "Ich sehe das irgendwie als Startschuss für meine Karriere, da habe ich sehr viel daraus gelernt."

Die Jahre im Spitzensport waren für ihn überhaupt eine große Lebensschule. Die Wandlung vom "Morgi" zum "Thomas" - wie er zuletzt nur noch genannt werden wollte - war da nur ein äußeres Anzeichen. Private Entwicklungen nach der Geburt seiner Tochter Lilly, die ihn in der Medienlandschaft zumindest vorübergehend die Rolle als "everybodys darling" gekostet haben, aber vor allem eben jene Vaterrolle seit Weihnachten 2012 haben Morgenstern geprägt.

Seine erste Medaille holte der zweifache Weltcup-Gesamtsieger 2004 mit der Mannschaft bei der Skiflug-WM in Planica (Bronze), die erste(n) Goldmedaille(n) mit der Mannschaft bei der WM 2005 in Oberstdorf. "Dann ist eh schon Turin gekommen. Das war mein erster riesengroßer Erfolg - ich habe sozusagen mit dem größten Erfolg begonnen", erinnert er sich. Dort schlug er Andreas Kofler von der Großschanze hauchdünn um einen Zehntelpunkt, und holte Seite an Seite mit ihm auch noch Olympia-Gold mit der Mannschaft. Vier Jahre später gelang dies den ÖSV-Adlern, die seit 2005 in Mannschaftsbewerben bei Großereignissen ungeschlagen waren, auch in Vancouver/Whistler.

Das Talent des Kärntners hatte schon der frühere ÖSV-Cheftrainer Hannu Lepistö erkannt und ihn mit dem großen Matti Nykänen verglichen. Auch Toni Innauer sprach schon bald von einem "Rohdiamanten". Geboren in Spittal/Drau, wohnhaft in Seeboden, blieb Morgenstern seiner unbekümmerten Art stets treu. Bekannt für seine deftigen, lockeren Sprüche fand er viele Fans und wurde auch zweimal zum Sportler des Jahres ausgezeichnet.

Traum vom Fliegen

Der Traum vom Fliegen hat ihn 2008 zu einer Kurskorrektur veranlasst. Morgenstern ließ seine bereits begonnene Polizistenausbildung sausen und darf seither auch ohne Ski an den Füßen abheben: Er ist ausgebildeter Pilot.

Seine "Pilotenausbildung" auf den Schanzen der Welt hat freilich viel früher begonnen. "Ich bin über das Toni-Innauer-Skifest in Bad Kleinkirchheim zum Skispringen gekommen", erzählte Morgenstern, der aus einer sehr sportlichen Familie kommt. U.a. war sein Onkel väterlicherseits, Alois Morgenstern, 1976 Olympia-Siebenter im alpinen Slalom. Thomas Morgenstern hat sich mit seinen Erfolgen, aber auch seinem Wesen einen Fixplatz in Österreichs Sportgeschichte ersprungen. Nicht nur der Skisprung-Zirkus wird den Kärntner vermissen.