RTL-Silber für Hirscher
Von Wolfgang Winheim
Die Vorzeichen waren ungünstig gewesen. Zu dominant hatte sich Ted Ligety beim gemeinsamen Abschlusstraining auf dem Hauser Kaibling gezeigt. Zu sehr hatte Marcel Hirscher mit sich selbst gehadert. Zu heftig begannen plötzlich Nacken und Rücken zu schmerzen. Dazu bereitete ihm nicht nur die Suche nach der optimalen Materialabstimmung Kopfschmerzen. So gesehen glänzt die Silbermedaille für Marcel Hirscher wie Gold. Der 23-Jährige spricht nach dem zweiten Platz im Riesenslalom hinter dem in dieser Disziplin derzeit überlegenen US-Amerikaner von einer Riesenerleichterung.
Im Normalfall ist Hirscher gesegnet mit gesundem Schlaf. In der Nacht vor dem Rennen aber, erzählt Hirscher, sei er – mit einer nur vierstündigen Ausnahme – wach im Bett gelegen. Zu diesem Zeitpunkt wagte Hirscher kaum noch von einer Medaille zu träumen. Und morgens wachte er halb k.o. auf mit dickem Kopf. Einen Brummschädel von zu viel Feiern will sich Hirscher aber frühestens am Sonntagabend leisten. Wenn er den Spezialslalom absolviert hat, der im Moment als Hirschers Spezialdisziplin gilt.
Im Riesenslalom fuhr Ted Ligety, dessen Vorfahren aus Ungarn stammen, mit Paprika in den Genen. Mit extremer Schräglage. Wie in einer eigenen Liga. Schon zur Rennhalbzeit lautete in Wahrheit nur noch die Frage, wer neben ihm später vom Podium herunterwinken darf.
Abfahrtsweltmeister Aksel Lund Svindal nützte im ersten Lauf die günstige Startnummer 1 und überraschte mit Platz 2. Weniger überraschend war, dass der Norweger diese Position im zweiten Durchgang nicht mehr halten konnte.
Hirscher lag zur Halbzeit nur eine Hundertstel hinter Svindal, aber gleich 1,31 Sekunden hinter Ligety. Ein Umstand, den sein Servicemann Edi Unterberger auch darauf zurückführte, dass man möglicherweise nicht das optimale Gerät erwischt hatte.
Kollektiver Jubel
Im zweiten Lauf aber passte dann alles. Der 23-Jährige fuhr schneller als Ligety. Aber dessen Halbzeit-Guthaben war schon zu groß. Auch für den Südtiroler Manfred Mölgg. Doch auch der jubelte über Bronze, als hätte er Gold gewonnen.
In Wahrheit spiegelten die gestrigen WM-Resultate die Situation der Weltcup-Saison wider. Auch jene der drei Hirscher-Teamkollegen. Benjamin Raich (7.), Marcel Mathis (9.) und Philipp Schörghofer (11.) sahen alle mit passablen Leistungen das Ziel, ohne ihr persönliches erreicht zu haben: eine Medaille.
Ted Ligety, der 28-jährige Ausnahmekönner aus Park City, schrieb hingegen in der Steiermark Ski-Geschichte. Mit WM-Gold im Riesentorlauf holte sich der US-Star als erster Rennläufer seit dem Franzosen Jean-Claude Killy im Jahr 1968 drei Goldmedaillen bei einer Weltmeisterschaft. Killy hatte einst in Grenoble sogar vier Titel geholt, was bis dahin lediglich dem Tiroler Toni Sailer bei Olympia 1956 gelungen war.
Euphorisch sagt Ligety: „Das war die beste Woche meines Lebens.“
Nach dem "depperten Glasbecher" für den Gesamtweltcup im März 2012 und der Goldmedaille mit dem österreichischen Team hat Marcel Hirscher am Freitag seine erste Einzelmedaille bei einem Großereignis geholt.Silber im Riesentorlauf sollte dem 23-jährigen Skirennläufer aus Salzburg den ganz großen Druck nehmen und weiteres Edelmetall am Sonntag im Slalom zum WM-Ausklang in Schladming ermöglichen.
"Österreichs Sportler des Jahres 2012" trug bei der Heim-WM die Erwartungshaltung einer ganzen Nation auf seinen Schultern. Sechs Saisonsiege hat der Annaberger im bisherigen Weltcup-Winter gefeiert, vier Slaloms, einen Riesentorlauf und ein Parallel-Event gewonnen. "Drei Goldene? Die sind echt alle wahnsinnig", kommentierte Hirscher die Vorstellungen und Forderungen der Öffentlichkeit an ihn für die Planai-Rennen.
Aufregung
Von den Aufregungen um seinen Blog nach dem Super-G ("Diesen Lauf wäre ich auch gerne gefahren") und einer erneuten, aber sofort im Keim erstickten Einfädler-Affäre ließ er sich nicht verunsichern.
Nach dem im Februar 2011 zugezogenem und ausgeheilten Kahnbeinbruch im linken Fuß lieferte Hirscher eine perfekte Saison 2011/2012 ab. Krönung war der Triumph im Gesamtweltcup. Das Finale in Schladming war hochklassig, das bis zum Schluss währende Duell mit dem Schweizer Beat Feuz nervenaufreibend. Auch das kleine Kristall für die Riesentorlauf-Wertung ging an Hirscher. Er ist als aktuell Führender auf dem besten Weg, sich zum zweiten Mal in Folge die große Trophäe als Auszeichnung für den konstantesten Skirennläufer über eine Saison zu holen.
In Kranjska Gora hat der Absolvent der Hotelfachschule Bad Hofgastein im März 2008 als Slalom-Dritter seinen ersten Stockerlplatz errungen. Großes Risiko hatte er auf die Piste gelegt und erklärt, dass er sich das von Benjamin Raich abgeschaut habe. "In jungen Jahren war er Vorbild, was die Risikobereitschaft betrifft. Und auch wenn er öfters mal ausgefallen ist, er ist seiner Einstellung treu geblieben", erzählte Hirscher. Der Athlet aus dem Lammertal hat seine Linie bisher ebenfalls konsequent verfolgt.
18 Siege
Seinen ersten Weltcup-Sieg errang Hirscher im Dezember 2009 im Riesentorlauf in Val d'Isere. Er hält nun bei 18 Erfolgen (10 Slalom, 7 Riesentorlauf, 1 Parallel-Event). Bei Großereignissen verpasste der dank seiner Mutter Sylvia "halbe Holländer" und zweisprachig aufgewachsene Athlet vor Schladming Medaillen dreimal nur knapp. Bei der WM 2009 in Val d'Isere kam er im Riesentorlauf auf Platz vier, bei Olympia 2010 in Whistler wurde es im Riesentorlauf ebenfalls der vierte Rang, im Slalom der fünfte. Medaillen hat er aus Junioren-Zeiten zu Hause, drei in Gold, zwei in Silber und eine in Bronze.
Die WM 2011 in Garmisch-Partenkirchen verfolgte Hirscher wegen der Fußverletzung von der Couch aus. "Mit feuchten Augen", wie er gestand. "Die Zeit danach war aber auch wichtig für mich. Ich dachte zuerst, ich werde hinten nachfahren, das war dann Gott sei Dank nicht so. Es hat mir die Augen geöffnet: Es braucht nicht so viel Training, sondern nur gutes", sagte Hirscher.
Das Ziel für die Saison 2011/2012 hatte eigentlich gelautet, wieder an die Weltspitze anzuschließen. Aber Hirscher nahm gleich mehrere Schritte, wurde zum Superstar der Szene. Selbst die in Kitzbühel ins Rollen gebrachte belastende Einfädler-Geschichte steckte er im Stil eines Routiniers weg und konterte mit dem Erfolg im Nachtslalom von Schladming vor 45.000 Zuschauern. Er nützte die Kraft der Menge zum Heimerfolg, aber spurlos waren die Anschuldigungen an ihm nicht vorübergegangen.
"Für mich gibt's Extrawürste"
Als Hirscher als Kind einmal Hermann Maier traf ("Ich dachte mir, das ist ein cooler Typ") konnte er nicht ahnen, dass er eines Tages mit dem Flachauer in einem Atemzug genannt werden wird. Maier wie Hirscher sind Söhne von Skilehrern, die auch im Elternhaus die Unterstützung für ihre Leidenschaft bekommen haben. Ferdinand Hirscher ist Skischulbesitzer aus Annaberg-Lungötz, früher bewirtschaftete er im Sommer die Stuhlalmhütte in 1.465 m Seehöhe, Marcel half mit.
Hirscher vertraut im Sport einem perfekten Umfeld, Freundin Laura ist Rückhalt im Privatleben. Auf den Pisten stets an seiner Seite ist der Vater, der sich als "Unterstützer und Optimierer" seines Sohnes bezeichnet. Ebenso wichtig sind Slalom-Coach Michael Pircher und Servicemann Edi Unterberger. Mit Stefan Illek hat die derzeit heißeste ÖSV-Aktie einen persönlichen Medienbetreuer, der für das gesamte Time-Management zuständig ist.
"Für mich gibt's Extrawürste", sagte Hirscher, fügte aber hinzu. "Ich mag prinzipiell auch keine Extrawürste. Aber wir sind erfolgreich damit und dadurch gibt es auch keine Kritik. Es geht nicht um irgendwelche Sympathiepunkte, sondern um sportliche Erfolge". Das System Hirscher funktioniert.
Ted LIGETY (28 Jahre/USA): Geboren am 31. August 1984 in Park City Wohnort: Park City (Utah) Größe/Gewicht: 1,80 m/81 kg Familienstand: ledig Ski: Head Schuhe: Head Verein: Park City Ski Education Foundation Hobbys: Mountainbike, Wasserski, Tennis, Eishockey Homepage: http://www.tedligety.com/
Größte Erfolge: Olympia: Gold Super-Kombination 2006 Turin
WM (5 Medaillen/4 Gold/1 Bronze): Weltmeister 2011 in Garmisch im Riesentorlauf, 2013 in Schladming im Super-G, in der Super-Kombination und im Riesentorlauf, WM-Dritter 2009 in Val d'Isere im Riesentorlauf
Weltcup: 15 Siege (alle im RTL) und 19 weitere Podestplätze (12 RTL, 6 Slalom, 1 Super-G), Riesentorlauf-Gesamtsieger 2007/08, 2009/10 und 2010/11
Junioren-WM: WM-Zweiter 2004 im Slalom
Marcel HIRSCHER (23 Jahre): Geboren am 2. März 1989 in Hallein/Salzburg Wohnort: Annaberg/Salzburg Größe/Gewicht: 1,73 m/70 kg Familienstand: ledig, Freundin Laura Ski: Atomic Schuhe: Atomic Verein: Skiclub Annaberg Hobbys: Motocross, Kajak, Musik Homepage: http://www.marcelhirscher.at/
Größte Erfolge: Weltcup: Gesamtsieger 2011/12, Riesentorlauf-Weltcupsieger 2011/12, 18 Siege (10 Slalom, 7 Riesentorlauf, 1 Parallelbewerb)
Olympia: 4. Riesentorlauf 2010, 5. Slalom 2010, Teilnahme 2010
WM (2 Medaillen/1 Gold/1 Silber): Gold Teambewerb und Silber Riesentorlauf 2013 in Schladming, 4. Riesentorlauf 2009 in Val d'Isere, Teilnahmen 2009, 2013
Junioren-WM: Gold Riesentorlauf 2007 und 2008 sowie Slalom 2008, Silber Slalom 2007 und Super-G 2009, Bronze Riesentorlauf 2009
Europacup: Gesamt- und Slalom-Sieger 2007/08
Sonstiges: Österreichs "Sportler des Jahres 2012"
Bisherige Riesentorlaufmedaillen für Österreich | ||
GOLD (7) | ||
1956 | Cortina: | Toni Sailer |
1958 | Bad Gastein: | Toni Sailer |
1962 | Chamonix: | Egon Zimmermann II |
1970 | Gröden: | Karl Schranz |
1989 | Vail: | Rudi Nierlich |
1991 | Saalbach: | Rudi Nierlich |
2005 | Bormio: | Hermann Maier |
SILBER (14) | ||
1952 | Oslo: | Christian Pravda |
1956 | Cortina: | Anderl Molterer |
1958 | Badgastein: | Josl Rieder |
1960 | Squaw Valley: | Pepi Stiegler |
1962 | Chamonix: | Karl Schranz |
1964 | Innsbruck: | Karl Schranz |
1970 | Gröden: | Werner Bleiner |
1974 | St. Moritz: | Hans Hinterseer |
1989 | Vail: | Helmut Mayer |
1993 | Morioka: | Rainer Salzgeber |
2003 | St. Moritz: | Hans Knauß |
2005 | Bormio: | Benjamin Raich |
2009 | Vail: | Benjamin Raich |
2013 | Schladming: | Marcel Hirscher |
BRONZE (11) | ||
1952 | Oslo: | Toni Spieß |
1954 | Aare: | Anderl Molterer |
1956 | Cortina: | Walter Schuster |
1960 | Squaw Valley: | Ernst Hinterseer |
1962 | Chamonix: | Martin Burger |
1964 | Innsbruck: | Pepi Stiegler |
1966 | Portillo: | Karl Schranz |
1968 | Grenoble: | Heini Messner |
1980 | Lake Placid: | Hans Enn |
1997 | Sestriere: | Andreas Schifferer |
2011 | Garmisch: | Philipp Schörghofer |
Ted Ligety hat durch seinen Titel im WM-Riesentourlauf am Freitag in Schladming einen seltenen Erfolg geschafft. Als erster Skirennläufer seit dem Franzosen Jean-Claude Killy im Jahr 1968 eroberte Ligety drei Goldmedaillen bei ein und derselben WM. Killy war damals in Grenoble sogar Vierfach-Champion geworden.
Das war bis dahin lediglich dem Tiroler Toni Sailer bei Olympia 1956 (gleichzeitig auch WM) in Cortina d'Ampezzo gelungen. Insgesamt nur fünf Männer gewannen drei oder mehr Goldmedaillen bei ein und derselben WM, wobei nur Sailer dieses Kunststück gleich zwei Mal zuwege brachte.
1958 bei der Heim-WM in Bad Gastein verteidigte er nämlich gleich drei seiner vier Cortina-Titel erfolgreich. Lediglich im Slalom musste sich der Kitzbühler mit Silber zufriedengeben.
Name | Land | Jahr | Ort | |
4 Goldene | Toni Sailer | (AUT) | 1956 | Cortina d'Ampezzo |
Jean-Claude Killy | (FRA) | 1968 | Grenoble | |
3 Goldene | Emile Allais | (FRA) | 1937 | Chamonix |
Stein Eriksen (NOR) | 1954 | Aare | ||
Toni Sailer | (AUT) | 1958 | Bad Gastein | |
Ted Ligety | (USA) | 2013 | Schladming |
Ted Ligety ist oder hat:
- Der fünfte Mann, der bei einer WM drei oder mehr Goldmedaillen gewonnen hat. Zuletzt hat das der Franzose Jean Claude Killy 1968, also vor 45 Jahren geschafft. Die vier vor Ligety waren der Österreicher Toni Sailer (1956: 4, 1958: 3), die Franzosen Killy (1968: 4) und Emile Allais (1937: 3) sowie der Norweger Stein Eriksen (1954: 3).
- Der erste Nicht-Europäer, der das geschafft hat.
- Als erster Skifahrer bei einer WM Gold in den Disziplinen Super-G, Super-Kombination und Riesentorlauf gewonnen.
- In zwei seiner drei Gold-Bewerbe noch kein Weltcuprennen gewonnen. Alle 15 Weltcupsiege sind im Riesentorlauf passiert.
- Als sechster Fahrer und erster seit dem Österreicher Rudolf Nierlich (1989/91) seinen RTL-Titel erfolgreich verteidigt.
- Der erste US-Skifahrer, der bei einer WM drei Goldene gewonnen hat. Andrea Mead-Lawrence (1952), Bode Miller (2003 und 2005) und Lindsey Vonn (2009) haben jeweils zwei geschafft.
- Nun wie Bode Miller vier WM-Goldmedaillen. Das ist der US-Rekord.
- Wie Miller, Vonn und Julia Mancuso nun insgesamt fünf WM-Medaillen.