Olympische Spiele sind nicht mehr erwünscht
Von Christoph Geiler
An diesem Mittwoch ist die Karriereplanung von Gregor Schlierenzauer über den Haufen geworfen worden: Die Laufbahn des österreichischen Skisprungstars wird nun früher zu Ende gehen als gedacht – vor allem als von ihm erwünscht. Für Olympische Winterspiele 2022 in Oslo wäre Schlierenzauer Feuer und Flamme gewesen und hätte für einen Abstecher ins nordische Dorado sogar seine Karriere verlängert. Aber für Winterspiele in Almaty oder Peking kann und will er sich nicht erwärmen. "Heuer Sotschi, 2018 dann Südkorea, und dann geht’s 2022 ja schon wieder in den Osten", murrt der Tiroler.
Seit Mittwoch, seit dem Rückzug von Oslo als Bewerber für die Spiele in acht Jahren, steckt die olympische Bewegung in der größten Krise in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte. Früher einmal, da rissen sich die Länder und Städte um die Austragung der Spiele, die olympischen Ringe waren ein Statussymbol, mit dem sich jeder gerne geschmückt hat. Doch mittlerweile will kaum noch wer die berühmteste Veranstaltung, die der Sport zu bieten hat, das olympische Feuer, es lodert – zumindest in dieser Hinsicht – nur noch auf Sparflamme.
Ablehnung
Neun Städte hatten anfänglich an den Winterspielen 2022 noch Interesse bekundet. Übrig geblieben sind am Ende Almaty (Kasachstan) und Peking. Alle anderen teils namhaften und reizvollen Kandidaten zogen ihre Bewerbung zurück oder brachten sie erst gar nicht ein.
Wie etwa im Fall von München, wo sich vor einem Jahr die Bevölkerung im Bürgerentscheid gegen Olympia ausgesprochen hatte.
Wie im Fall von St. Moritz/ Davos, wo die Menschen im Kanton Graubünden in einer Abstimmung Nein zu Olympia sagten.
Wie auch in Stockholm, wo Politiker und Bevölkerung gleichermaßen die Winterspiele ablehnten.
Wie in Krakau, wo knapp 70 Prozent der Befragten gegen Olympia waren.
Und wie eben auch in Oslo, dem letzten Hoffnungsträger aller Freunde traditioneller, ehrlicher und stimmungsvoller Olympischer Spiele. Nachdem die Regierung sich nicht in der Lage sah, Staatsgarantien in Höhe von drei Milliarden Euro bereitzustellen, zogen auch die Norweger ihre Kandidatur zurück.
Die hohen Kosten sind dabei nur ein Grund für die Ablehnung der Europäer. Immer mehr Widerstand regt sich gegen den Moloch Olympia, gegen die Machenschaften beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) das längst ein Imageproblem hat. "Weltmeisterschaften auszutragen, ist kein Problem, aber sobald die Menschen Olympia hören, bekommen sie Angst", sagt FIS-Präsident Gian-Franco Kasper "Das ist ein schlechtes Zeichen. Vor allem ist es ein Misstrauen gegen das IOC."
Neuland
Damit bleiben als Ausrichter von Olympischen Spielen fast nur noch Länder übrig, die kraft ihrer politischen Systeme die Volksmeinung ignorieren können und über das nötige Kleingeld verfügen. Städte wie Almaty und Peking eben, die bisher weiße Flecken auf der Wintersportlandkarte waren und wo – im Gegensatz zu Oslo oder München – die komplette Infrastruktur aus dem Boden gestampft werden muss. "Das große Geschäft macht man leichter in Ländern, wo von der Verkehrsinfrastruktur bis zum Lautsprecher alles neu hingestellt werden muss", sagt Anton Innauer.
Das ist aber nur das eine Problem von Spielen in solch exotischen Destinationen mit ihren Einweg-Sportstätten. Ist das olympische Feuer einmal erloschen, ist’s auch um sinnvolle Zukunftspläne und die Nachnutzung geschehen. Der Blick nach Sotschi dient schon jetzt als Vorwarnung: Im ersten Winter nach Olympia verirren sich nur noch Bobfahrer und Rodler im Weltcup nach Russland.
Veranstalter | Kosten in Euro |
Sotschi 2014 | 37 Milliarden |
Nagano 1998 | 14,6 Milliarden |
Vancouver 2010 | 5 Milliarden |
Sapporo 1972 | 3,3 Milliarden |
Albertville 1992 | 2,8 Milliarden |
Turin 2006 | 2,1 Milliarden |
Grenoble 1968 | 1,9 Milliarden |
Salt Lake City 2002 | 1,5 Milliarden |
Lillehammer 1994 | 1,3 Milliarden |
Calgary 1988 | 1,1 Milliarden |
Lake Placid 1980 | 373 Millionen |
Innsbruck 1976 | 189 Millionen |
Innsbruck 1964 | 39 Millionen |
Dabei sein ist nicht mehr alles. Zumindest wenn es um die Bühne für die olympische Idee geht, verflüchtigt sich der Kerngedanke allmählich.
Der olympische Traum findet in westlichen Demokratien keine Mehrheit mehr. Der Rückzug der Norweger im Bieterverfahren um die Gunst des Internationalen Olympischen Comités (IOC) ist kein Signal, es ist ein Trend – und zwar ein nicht ausschließlich negativer.
Es muss einer Gesellschaft hoch angerechnet werden, dass sie mitreden darf und will, wenn es nicht bloß um ihr Steuergeld geht, sondern auch um ihren Lebensraum. Geld ist flüchtig, eine Bobbahn und eine Skisprung-Schanze haben Bestand. In Oslo, München oder St. Moritz haben die Bürger ihre Ablehnung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Ebenso unmissverständlich ist freilich auch, dass sich das jeweilige Votum nicht gegen den Sport oder Olympia im Speziellen richtet, sondern einzig gegen die Machenschaften, die so ein sportpolitisches Monstrum mit sich bringt.
Organisationen wie das IOC rechtfertigen sich derweil gern mit einem reibungslosen Ablauf des Spektakels. Doch wer Austragungsorte, und mitunter gar ganze Länder, für mehr als zwei Wochen vereinnahmt, wer in diesem Zeitraum schon mal Gesetze außer Kraft setzen lässt, der muss mehr anbieten können als eine perfekte Organisation; der muss unangenehme Fragen nicht nur zulassen, sondern auch beantworten.
Erst dann ist man wieder ein gern gesehener Gast.