Shaun White: Sommer-Gefühle beim Winterkönig
Timing ist alles beim Snowboard. Niemand weiß das besser als Shaun White. Aber manchmal ist auch der Beste seiner Zunft auf das Schicksal angewiesen. Am Mittwoch gab es zum 100. Mal in der olympischen Geschichte eine US-Goldmedaille bei Winterspielen zu bejubeln. Und wem wurde sie um den Hals gehängt? Richtig: Freestyler Shaun White, dem vielleicht größten internationalen Star der Spiele in Pyeongchang.
Der 31-Jährige gewann den Halfpipe-Bewerb zum dritten Mal nach 2006 und 2010, mit dem "besten Lauf, den ich je in meiner Karriere gemacht habe".
"Die Furcht war weg"
White hatte einen spektakulären Finallauf gezeigt mit bis zu vierfachen Drehungen um die eigene Achse. "Die Furcht war weg. Es ist Olympia. Ich musste es vollbringen", sagte er nachher, eingehüllt in die US-Flagge. Das sehen und hören sie gerne in den Staaten, wo der Bewerb einer der Olympia-Höhepunkte ist, ausgestrahlt zur besten Sendezeit. "Diese Medaille bedeutet mir fast mehr als alle anderen. Ich werde auch älter und musste mit vielen Herausforderungen kämpfen."
Vor vier Jahren bei den Spielen in Sotschi war er völlig überraschend überflügelt worden, sogar der Gang auf das Podium blieb ihm verwehrt. "Man kommt darüber nicht wirklich hinweg", sagte er Jahre danach, "es ist ein bisschen wie eine Wunde von einem Fahrradsturz, sie bleibt für immer. Aber du lernst davon."
Die prominenten Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. "Es geht nichts über ein gutes Comeback, oder", schrieb Schwimmstar Michael Phelps, ebenso gratulierte die britische Fußball-Ikone David Beckham. Eingeflogen kam Jake Burton, der Urvater des Snowboard-Sports und Whites Ausrüster.
Grenzgänger
Im Zielgelände wartete auch IOC-Präsident Thomas Bach, doch bevor der Deutsche seinem prominentesten Athleten gratulieren konnte, gönnte sich der dreifache Olympiasieger noch einen Schluck koreanischen Reisschnaps.
Bach wartete artig, denn die ramponierte olympische Bewegung braucht Sportler wie Shaun White. Der Snowboardstar ist ein extrovertierter Grenzgänger, verachtet von einigen Kollegen, jedoch verehrt vom Jet-Set und von Extremsport-Fans. "Wir sind etwas mehr gechillt als die anderen Sportler", sagt der Südkalifornier. Er lebt an der sonnigen Pazifikküste und nimmt sich immer wieder Auszeiten, um als Gitarrist mit seiner Rockband "Bad Things" aufzutreten – Vorwürfe wegen sexueller Belästigung inklusive.
Gestern tat er das als "Tratsch" ab. Außergerichtlich soll er sich geeinigt haben. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Olympioniken hat White das nötige Kleingeld. Seitdem er sieben war, wird er gesponsert, Profi wurde er im zarten Alter von 13. Mit einem Privatvermögen von rund 35 Millionen Dollar ist er auch in dieser Disziplin olympische Spitze. Bereits 2010 zierte er das Cover des Rolling Stone.
Alterserscheinung
Der Unternehmer White entwirft Mode, hat drei Computerspiele mit seinem Namen herausgegeben und ist seit 2014 Mehrheitseigentümer des Freestyle-Festivals Air & Style. "Mein Sport basiert auf Inspiration", sagt er. Sein nächster Sehnsuchtsort ist Tokio. In der japanischen Hauptstadt finden in zwei Jahren die Sommerspiele statt, erstmals olympisch ist dann Skateboarden, Shaun Whites ganz große Leidenschaft.
Auf dem kleinen Brett ist er kaum ungeschickter als mit dem Snowboard. "Ich freue mich, dass Skateboard kommt, solange ich noch mental und körperlich bereit dafür bin." Nachsatz: "Ich muss eine schwere Entscheidung treffen. Es würde mir die Welt bedeuten, bei den Sommerspielen anzutreten."
Es wäre die ganz große Bühne, ehe er sich 2022 noch einmal in die olympische Snowboard-Halfpipe werfen will. Doch die Konkurrenz wird immer größer, besser und vor allem jünger. Im Zwölfer-Finale von PyeongChang war White bereits der Älteste, Silbermedaillengewinner Ayumu Hirano ist gerade 19. Als Shaun White erstmals Olympiasieger wurde, war der Japaner sieben Jahre alt.