Matti Nykänen: Ein Leben zwischen Genie und Wahnsinn
„Die Spur in meinem Leben war manchmal schnell und manchmal langsam“, sagte der Finne Matti Nykänen einst über sein Leben. Über seine großartige Karriere als Skispringer, über sein patschertes Leben danach.
Mit 18 gewann er bei der WM in Oslo Gold, mit 19 holte er sich die Vierschanzentournee, mit 20 wurde er 1984 Olympiasieger in Sarajewo, mit 21 wurde er in Planica Skiflug-Weltmeister. Er gewann 1983, 1985, 1986 und 1988 den Gesamtweltcup. 1988 war überhaupt sein bestes Jahr, aus Calgary nahm er drei Goldmedaillen mit nach Hause, in die finnische Stadt Jyväskylä, 270 Kilometer nördlich von Helsinki.
Aber schon aus seiner aktiven Zeit gibt es mehr als nur eine Alkoholanekdote. Immer öfter hatte er Aussetzer, immer schlechter war er auf der Schanze. Bei der WM in Val di Fiemme 1991 hatte er sein Hotelzimmer verwüstet und war Letzter auf der Großschanze geworden. Und auf dem kleinen Bakken gar nicht mehr aufgeboten. Im Sommer 1991 beendete er seine Karriere. Was danach folgte, erinnerte an die Worte seines Entdeckers und Trainers, Matti Pulli, der mit innovativen Übungsmethoden die Stärken seines Schützlings förderte und ihn zu einem Helden machte. Matti Pulli hatte einmal über Matti Nykänen gesagt: „Ich mache mir um ihn Sorgen, wenn er einmal nicht mehr springen wird.“
1991- das war der Sommer, in der seine Alterskollegen wie der Deutsche Weißflog oder die Österreicher Felder und Vettori noch den V-Stil erlernten.
Nur drei Jahre nach Ende der Karriere versilberte Nykönen sein Gold. Aber nicht nur das Gold, aus Geldmangel verkaufte er seine Medaillen. Die 42 Stück, davon vier Olympia-Goldmedaillen, erwarb Finnlands Nationales Sportmuseum in Helsinki.
Grüße aus der Hölle
Die Hölle sei nicht so schlimm „wie mein Leben jahrelang war“, sagte der gefallene Held 2012 in einem Interview. „Die Hölle muss ein besserer Ort sein.“ Er habe getrunken, um zu vergessen. „Ich war sehr jung, als ich erfolgreich geworden bin, die Medien waren die ganze Zeit um mich herum. Ich hätte Hilfe gebraucht.“
15 Jahre ist es schon her, dass Nykänen bei der Vierschanzentournee aufgetaucht ist. Damals war soeben seine Biografie erschienen. „Grüße aus der Hölle“, heißt es und wurde vom österreichischen Journalisten und Verleger Egon Theiner geschrieben. Theiner schildert einen Besuch beim finnischen Patienten. „Es war ein launiger Sommerabend in Kotka, einem finnischen Küstenstädtchen zwischen Helsinki und der finnisch-russischen Grenze. In einer Entzugsanstalt inmitten von Wäldern war Matti Nykänen der jüngste, sportlichste und selbstverständlich prominenteste Patient. Und er war ein außerordentlich freundlicher und höflicher Mann.“
Theiner glaubt, dass Nykänen unter dem Aufmerksamkeitsdefzit und der Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gelitten hat. Nykänen war ein unruhiges Kind, schlecht in der Schule und fand im Skispringen seine Erfüllung.
Diese Unruhe verfolgte Nykänen sein ganzes Leben. Erst im Jahr 2018 erzählte er, dass er schwer krank sei. Unter anderem wurde Diabetes diagnostiziert. Doch zumindest war die Unruhe aus seinem Wesen gewichen. Früher habe er alles sofort haben müssen. „Heute reicht es mir, wenn ich in Ruhe Schnee schaufeln kann“, sagte er der Zeitung Aamulehti.
Skisprung-Idol einer Generation:
Gewalt und Alkohol
Eine Skisprunglegende. Alle Titel, alle Medaillen halfen ihm im Leben abseits der Schanze nicht weiter. Auf Wikipedia finden sich etliche Zeilen über seine sportlichen Leistungen, aber noch mehr über die Zeit nach der Karriere. Von seinen drei Hochzeiten und Scheidungen. Von seiner Zeit als Stripper. Von einem Herzinfarkt im Jahr 2004. Von seiner Zeit als Sänger. „Life ist live“ sang Nykänen. „Elämä on laif i“ schaffte es an die Spitze der finnischen Charts. 2004 wurde ihm und seiner Frau vorgeworfen, im Rausch einen Freund niedergestochen zu haben. Die Folge: 13 Monate Haft, im September 2005 kam er aus dem Gefängnis. Nur 103 Stunden später geriet er wieder in U-Haft, weil er seiner damaligen Frau Mervi im Vollrausch eine blutige Kopfwunde zugefügt haben soll.
Nykänen genoss als Skispringer Narrenfreiheit. Der finnische Skiverband war an den Siegen und Medaillen interessiert, disziplinäre Ausfälle wurden nicht angesprochen. Schlägereien mit Mannschaftskameraden, Saufgelage und Partys vor wichtigen Bewerben schafften es kaum in die Zeitungen. Auf den Bildern zu sehen war ein grinsender Sportler, schüchtern, eigen, selbstbewusst.
Hero oder Zero?
Nykänen gewann 46 Weltcupspringen. Erst 2013 wurde die Marke von Gregor Schlierenzauer überboten. Nykänen kam im Stubaital vorbei, um zu gratulieren. Fünf, sechs Jahre vorher hatte Schlierenzauer ihn auf dem Flughafen von Helsinki erkannt und um ein Autogramm gebeten. Das hatte sich schwierig gestaltet, denn Nykänen sei damals „ziemlich rauschig“ gewesen. Er habe kaum mit halbwegs ruhiger Hand seinen Namen auf einen Zettel schreiben können.
Matti Nykänen kommt aus einem Land, in dem er nicht erst nach seinem Tod „Mäkihyppääjälegenda“ ist. Matti Nykänen wurde abseits der Schanze aber vom Helden zum Antihelden, in Finnland ist sein Name auch Inbegriff für misslungene Taten. Egon Theiner schreibt in einem Nachruf. Bleibt er als herausragender Skispringer, als Held oder als begnadeter Trinker und Halunke in Erinnerung? Um es mit einem Zitat Nykänens zu sagen: „Die Chancen dafür stehen fifty-sixty.“