"Die Jungen können heute nicht einmal Danke sagen"
Von Christoph Geiler
Mario Stecher beendete in diesem Winter nach mehr als zwei Jahrzehnten im Weltcup seine erfolgreiche Karriere als Nordischer Kombinierer. In seinem Buch "Ausdauernd erfolgreich" lässt der 37-Jährige seine Laufbahn Revue passieren und gibt Einblicke in das Leben als Spitzensportler und Tipps, wie Rückschläge zu verarbeiten sind. Im KURIER-Interview spricht Mario Stecher über...
... seinen Abschied:
„Ich habe mir immer geschworen, mit der Kombination so lange weiter zu machen, so lange es mir Spaß macht. Im letzten Winter hat es Momente gegeben, in denen es mir definitiv keinen Spaß gemacht hat. Es war zwar kein Abschied mit Wehmut, aber so wie alles abgelaufen ist, war es einfach nicht okay. Gerade zum Zeitpunkt, als ich in Form gekommen bin, habe ich den Deckel auf den Schädel bekommen. Es hat weh getan, dass sie mich zur WM nicht mitgenommen haben. Vor allem wenn man weiß: wenn es darauf ankommt, habe ich immer die Leistung gebracht.“
... das Leben als Spitzensportler:
„Jemand, der den ganzen Tag im Büro sitzt, wird natürlich zum Eindruck kommen, dass ich ein super Leben geführt habe. Andererseits ist das genauso ein beinharter Job – wenn nicht vielleicht sogar ein noch härterer. Denn wenn du das Training nicht hundertprozentig durchziehst, dann bist du in der nächsten Saison weg, dann gibt’s dich nicht mehr. Im normalen Job aber schon.“
... das Duell mit den Jungen:
„Ich habe mich im vergangenen Winter sehr oft missverstanden gefühlt. Es hat oft geheißen: ‚der Stecher ist gegen die Jungen’. Das ist ein völliger Nonsens. Ich wollte den Jungen helfen, dass sie nach vorne kommen. Nur ist von einer Seite immer wieder ein Keil reingetrieben worden, obwohl sich die Athleten untereinander gut verstehen. Für mich ist halt ein 17. Platz nicht gut. Und in der Weltspitze zählt es nicht, ob einer 18 oder 37 ist, ein 17. Platz ist einfach nicht gut, und aus.“
... die letzte Saison:
„Ich habe den Kollegen oft gesagt: ‚Seid ihr euch schon denn bewusst, wann ihr in Form sein müsst? ’ Im Februar, bei der WM. Ein Philipp Orter war saugut vorher, aber bei der WM war er dann nichts. Das ist genau der Punkt. Bei uns wurde ständig nur Richtung Qualifikationen hingearbeitet. Wenn du so viele Qualis machst, bist du im Kopf irgendwann leer. Es war immer der Druck da: Wenn du jetzt nicht gut bist, dann bist du bei der nächsten Weltcupstation nicht mehr dabei. Nur zur Erinnerung: wir hatten zehn Startplätze. Zehn! Und wir haben mit dem Bernie Gruber einen einzigen echten Weltklasseathleten, der immer das Potenzial hat, dass er auf das Stockerl kommt."
... sein Buch:
„Die Idee ist mir vor einem Jahr schon gekommen. Weil ich einer der wirklich wenigen Sportler bin, die eine so lange Karriere vorweisen können, mit so vielen Ups und Downs. Ich glaube schon, dass ich einiges zu erzählen habe und Leuten im normalen Leben etwas mitgeben kann, etwas Lehrreiches. Wie man zum Beispiel Tiefs überbrücken kann."
... den Österreichischen Skiverband.
„Wie sich der ÖSV heute präsentiert ist eine andere Welt als damals, wo ich angefangen habe. Peter Schröcksnadel hat extrem viel geleistet für diesen Verein. Er mag sich jetzt vielleicht nicht hundertprozentig in der Nordischen Kombination auskennen, aber er hat ein Rundherum geschaffen, damit man erfolgreich arbeiten kann. 1994 habe ich in der Nacht vor dem Olympiabewerb meine Ski noch selbst gewachselt. Wenn man das mitgemacht hat, dann ist es erschreckend, dass heute die Jungen oft nicht einmal mehr Danke sagen können. Denen wird alles präsentiert, die sehen das alles als selbstverständlich an.“
... Schattenseiten des ÖSV:
„Es ist vielleicht sogar alles schon ein wenig zu groß geworden, wenn man sieht, wie viele Leute heute die Möglichkeit haben, Spitzensport zu betreiben und gefördert werden. Es darf nicht umschwenken in Richtung Sozialverein. Sagen wir einer ist heuer 20. im Europacup und er ist nächsten Winter wieder dabei, und den Winter darauf kriegt er wieder eine Chance. Wir fördern den Mittelbau extrem, auch bei uns in der Kombination. Da ist so viel Geld drin, so viel Personal, und es kommt nichts daher. Wenn einer es schafft, dann kommt er sowieso direkt vom C-Kader."
... die Zukunft der Nordischen Kombination:
„Früher einmal hatten wir drei Sprünge pro Wettkampf, das Skispringen hat damals viel mehr gezählt als jetzt. Heute hast du als guter Springer ja fast keine Chance mehr. Man sollte das ändern, dass nicht jeder Wettkampf in einem Massensprint in der Loipe endet. Man fördert viel zu viel die Langläufer, so ist die Kombination eine komplett andere Sportart geworden.“
... mögliche Olympische Winterspiele 2022 in Peking:
„Es ist bedenklich, dass sich kaum mehr Veranstalter finden, die Olympische Spiele austragen wollen. In Peking kannst du es ja sogar haben, dass der Schnee schwarz ist. Das IOC muss sich Gedanken machen. Man muss zurück zu den Wurzeln kommen. Das IOC muss erkennen, warum Olympische Spiele so groß geworden sind. Wegen der Leistungen der Sportler. Aber die Sportler sind inzwischen ja nur mehr Marionetten. Denn wenn wir alle keine Marionetten wären, dann hätte sich schon längst einer auf dem Siegespodest ein Stirnband mit Werbung drauf aufgesetzt. Es ist ja krank: Da sponsern Firmen einen ein Leben lang und dann dürfen sie ausgerechnet bei Olympia nicht dabei sein. “
... seine persönliche Zukunft:
„In einem klassischen Bürojob sehe ich mich eher nicht. Die Nordische Kombi ist mein Sport, ich möchte da mein Wissen weitergeben, das ist zweifelsohne ein Großes. Wenn ich als Trainer arbeite, dann aber nur, wenn ich es so machen kann, wie ich mir das vorstelle. Und dafür bedarf es grundlegender Änderungen. Jetzt ist noch nicht die Zeit dafür.“
Mario Stecher (* 17. Juli 1977) wuchs in Eisenerz auf, holte vier Olympia- und fünf WM-Medaillen. Er ist mit Carina Raich verheiratet und hat zwei Söhne.
Die Lesereise: Wien (22. April, Morawa Wollzeile, 16.00), Eisenerz (23. April,18.30), Mürzzuschlag (27. April, Wintersportmuseum, 19.00), Linz (28. April, Thalia, 19.00), Rottenmann (29. April, Alpenvereinshaus, 19.00).