Hirscher: "Ich weiß sehr wohl, was jeder Euro wert ist"
Knapp zehn Grad, immer wieder Regen. In eine dicke Daunenjacke gepackt steht Marcel Hirscher an diesem unfreundlichen Maitag am Drehort für den neuen A1-Werbespot in Abtenau, unweit seiner Heimatgemeinde Annaberg im Salzburger Tennengau. Für ihn seien die Bedingungen "total schwierig", weil sich das schlechte Wetter auf die Stimmung schlage, sagt er zu den Mitarbeitern am Set. Dennoch spult der 28-Jährige routiniert die Szenen mehrmals hintereinander herunter, fordert Feedback ein, analysiert selbstkritisch die Szenen vor einem Bildschirm. In zwei kurzen Drehpausen nimmt sich Hirscher Zeit, um über Sponsorenverpflichtungen, Vermarktung, Geld und die Zukunft nach der Skikarriere zu sprechen.
KURIER: Heuer haben Sie laut Ihrem Manager nach dem Winter wesentlich mehr Termine und Sponsorenverpflichtungen zu absolvieren als in den vergangenen Jahren. Wie schaut Ihre Zwischensaison aus?
Bis jetzt haben wir noch nie wirklich so eine Ruhe bekommen, wie wir das eigentlich wollten. Aber jetzt ist einfach die Zeit, dafür zur Verfügung zu stehen. Und so funktionieren auch Partnerschaften. Trotzdem freue ich mich jetzt sehr auf den Urlaub.
Was unterscheidet Ihre Sportlerkarriere von einer "normalen" Berufslaufbahn?
Das Zeitfenster ist sicher der gravierendste Unterschied. Das heißt, du musst dich wesentlich früher entscheiden, welche Richtung du einschlagen willst. Du musst wesentlich früher schauen, dass du zu deinem Leistungsmaximum kommst. Und das fällt dann, glaube ich, relativ schnell wieder ab. Wenn jemand in der Wirtschaft wahrscheinlich mit 50, 60 Jahren am Zenit ankommt – wenn nicht überhaupt noch später –, ist im Profisport mit 30 eigentlich schon wieder alles vorbei.
Indem man es sich bewusst macht, dass man relativ begrenzt Zeit hat. Es ist gut, dass man das Wissen hat. Damit nützt man die Zeit einfach mehr. Das heißt, man lässt eigentlich keine Chance aus, den maximalen Erfolg zu erzielen.
Es ist ein Antrieb?
Schon ja. Ich denke mir oft, was soll ich jetzt machen. Ein Pausejahr spielt’s nicht, weil das geht mir hinten hinaus wieder ab.
Wie gehen Sie mit dem Druck auf Ihre Person um, auch mit der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit?
Es hat schon manchmal eine gewisse Macht, die auf einen wirkt. Es hat sehr viel Zeit gebraucht, um damit wirklich gut umgehen zu können. Ich will ja nicht behaupten, dass ich darin schon Meister bin, aber es gelingt mir immer besser. Ich sage immer: Wenn es nur das Skifahren wär’, wär’s eigentlich eh recht angenehm. Aber es ist schon viel mehr, als nur der Sport.
Sie haben sich in Interviews selbst als Workaholic bezeichnet, der Burn-out-gefährdet ist. Wie merken Sie selbst, dass es genug ist?
Heute. (lacht) Heute, absolut. Es ist jetzt schon sehr dicht gewesen. Vor allem die letzten zwei Wochen haben noch einmal richtig Gas gegeben. Und da weiß ich halt auch genau: Bis heute, 16 Uhr, und dann pack’ ich meine Koffer und dann ist auch absolut Schluss. Der Körper gibt eigentlich eh recht gut sein Feedback. Das kennt jeder von uns. Ich akzeptiere den ganzen Winter keine Reaktionen oder Warnsignale – nur in ganz seltenen Ausnahmen. Weil ich kann nicht darauf eingehen, es hilft nichts. Ich muss soweit gehen, wie es nur möglich ist, weil das Weltcuprennen lässt sich nicht verschieben. Wenn man seine Ziele umsetzen will – egal ob man müde ist oder nicht –, muss man das ausblenden. Aber jetzt ist die Zeit dann schon da, um dem auch Tribut zu zollen und etwas zurückzugeben.
Es heißt, man lernt aus Niederlagen. Wo sehen Sie noch Lernpotenzial, wenn man so viel Erfolg hat?
Ich glaube, eine Niederlage muss man selbst interpretieren. Ab wann ist was eine Niederlage, was ist ein Sieg und worin kann man trotz eines Sieges eine Niederlage sehen.
Man findet immer etwas, wenn man möchte. Man kann es auch zu weit treiben. Aber ich glaube, stetig zu versuchen, weiterzukommen, ist ein ganz wichtiger Punkt. Ansonsten läuft man schon Gefahr, dass das alltäglich wird und man einen Rückschritt erfährt.
Sie drehen hier in Ihrer Heimatregion den nächsten Werbespot. Wie viele solcher Sponsorentermine haben Sie nach der Skisaison?
Ich darf da natürlich keine genauen Zahlen nennen. Aber da geht schon sehr viel Zeit drauf. In Summe reden wir von mehr als einem Monat. Auf’s Jahr gerechnet ist das schon recht viel.
Cool, authentisch, bodenständig – diese Attribute werden Ihnen zugeschrieben. Damit umgeben sich auch Ihre Sponsoren gerne. Worauf schauen Sie umgekehrt bei einem Unternehmen, damit es als Partner in Frage kommt? Außer der Gage.
Ich muss mich auf jeden Fall mit der Firma und deren Philosophie identifizieren können und mit dem, wie gearbeitet worden ist in der Vergangenheit. Das gilt auch für das Produkt. Weil die Marke schon auch zu mir passen muss. Ich könnte niemals für gewisse Firmen Werbung machen, da habe ich auch schon des Öfteren einfach abgesagt.
Wofür würde ein Marcel Hirscher seinen Namen nicht hergeben?
Für Damenhygieneartikel zum Beispiel. Das ist nicht passend, nicht authentisch und da kann ich nicht mit Erfahrung mitreden.
Jetzt gibt es bei den Dreharbeiten auch ein Double. Haben Sie in Ihren Sponsorenverträgen Passagen, die Risiken verbieten, so wie man das aus anderen Sportarten kennt?
Nein, gar nicht. Das würde ich auch nicht akzeptieren. Ich brauche zum Beispiel das Motocrossfahren für meinen Erfolg, für mich selber. Auch dieser Teil hat mich zu dem Skifahrer gemacht, der ich heute bin. Und das würde ich mir niemals nehmen lassen. Ich muss ja auch selbst mit den Konsequenzen leben, ich bin mein eigener Arbeitgeber.
Ich glaube, dass ich einen sehr guten Umgang damit habe. Aber das würden die meisten von sich selbst behaupten. Ich bin so aufgewachsen, dass nicht alles selbstverständlich und leicht war. Von dem her habe ich einiges mitnehmen können. Ich kann mich gut erinnern an meine ersten Rennanzüge. Die sind mehr aus Leukoplast-Tape bestanden als aus Stoff, weil sie so zusammengeschustert waren. Von dem her weiß ich sehr wohl, was jeder Euro wert ist. Ich bin mir auch bewusst, was meine Arbeit dazu beiträgt. Sprich: Meine Arbeit ist viel, viel zu hart, als dass ich nicht wüsste, was jeder Euro bedeutet.
Ihr Kopfsponsor ist eine Bank. Wie gehen Sie mit Ihrem Vermögen um, wie veranlagen Sie es?
Natürlich versucht man, sich breit aufzustellen. Aber de facto ist es schon so, dass ich mir mit Immobilien am leichtesten tue, weil sie einfach greifbar sind.
Haben Sie für sich selbst jetzt schon das Gefühl, finanziell bis an Ihr Lebensende ausgesorgt zu haben?
Muss ich die Frage beantworten? (Hirscher dreht sich zu seinem Manager Stefan Illek. Der meint dazu: "Das musst du wissen.") Ich kann nur eine kurze Antwort dazu geben: Es hängt sicherlich viel davon ab, was man selbst für sich möchte. Es ist nicht mein Anspruch, dass ich nichts mehr tun müsste.
Gibt’s schon einen Plan für die Karriere nach der Karriere?
Es gibt schon einige Möglichkeiten. Das ist schon das Tolle am Profisportler-Dasein. Wenn man erfolgreich ist, öffnen sich auch einige Türen. Manche schließen sich aber. Aber konkret ist da gar nichts.
Sie sind im ÖSV ein Einzelkämpfer mit eigenem Team. Ist es da für Sie auch angesichts Ihrer großen Erfolge überhaupt vorstellbar, sich beruflich unterzuordnen, ein Angestelltenverhältnis bei einer Firma einzugehen?
Denke ich schon, dass das möglich ist, klar. Ich muss mich jetzt genauso unterordnen. Es ist nicht so, dass ich der alleinige Machthaber bin, um das so zu bezeichnen. Aber mit dem habe ich auch kein Problem.
Sie haben Hermann Maier einmal als Vorbild bezeichnet. Der ist nach seinem Karriereende so gut wie aus der Öffentlichkeit verschwunden. Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, wie Sie das später einmal handhaben wollen?
Man denkt darüber nach. Ich kann das jetzt nicht genau beantworten, wie das ausschauen wird. Trotzdem glaube ich, dass es ähnlich oder sogar noch mehr (Rückzug ins Private, Anm.) sein wird, als wie es beim Hermann war.