Sport/Wintersport

Kleiner Streifzug durch große Kitzbühel-Zeiten

Der Neid war ein Luder. Deshalb genoss der vierfache Olympiasieger, spätere Schauspieler und ÖSV-Alpincoach Toni Sailer außerhalb Kitzbühels wesentlich mehr Sympathien als in seiner Tiroler Heimatstadt. Fünfeinhalb Jahre nach seinem Tod haben die Kitzbüheler zu Ehren von Österreichs Jahrhundertsportler ein fünf Meter hohes Denkmal errichtet. Bei dessen Einweihung versammelten sich noch einmal Sailers einstige Kitzbüheler Weggefährten. Darunter Anderl Molterer, der anlässlich 75 Jahre Hahnenkamm eigens aus Nashville (USA) eingeflogen und befragt wurde, wer die Abfahrt gewinnen werde. In Servus TV sagte er: "Der Bode Miller."

Als man den neunfachen Kitzbühel-Sieger Molterer über Millers Startverzicht informierte und um einen Ersatztipp ersuchte, antwortete der 83-jährige, in den USA lebende Tiroler: "Andere Fahrer kenn’ ich nit." Junge Rennläufer wiederum kennen vermutlich so manche der skurrilsten Streif-Storys nicht ...

... wie sich 1969 Karl Schranz (obwohl die Uhren erst bei dessen Abschwingen stehen geblieben waren) zunächst den Sieg mit dem Schweizer Jean-Daniel Dätwyler teilen musste und ihm der für die Zeitnehmung verantwortliche Schweizer Joseph Blatter (heute Präsident des Weltfußballverbandes) bis ins Hotel nachlief, bevor Schranz zum alleinigen Sieger erklärt wurde;

... wie 1975 Hansi Hinterseer mit 2,05 Meter langen Latten (heute wird mit um einen halben Meter kürzeren gecarvt) den Slalom von Kitzbühel dominierte und seinen Olympiasieger-Vater Ernst Hinterseer entzückte, der mit Hansi heute gar nicht mehr so innig ist;

... wie 1979 Abfahrer Sepp Ferstl (Papa des gleichnamigen aktuellen Rennfahrers) und Slalomkünstler Christian Neureuther (Papa des Slalom-Weltcupersten Felix) Deutschland zu einem Doppelerfolg in Kitz verhalfen und damit laut Neureuther "Rache für Córdoba" nahmen, "nachdem s’ uns ein halbes Jahr wegen unserer Fußballer g’hänselt haben";

... wie 1981 schuldlose ägyptische Kolporteure von KURIER und Krone wegen deftiger Schlagzeilen aus Kitzbüheler Lokalen geworfen worden waren und die Pisten-Kritik erst akzeptiert wurde, als die Streif drei Tage später vier Schwerverletzte gefordert hatte;

... wie 1984 dank Franz Klammer, Erwin Resch und Anton Steiner ein österreichischer Dreifach-Erfolg gefeiert wurde;

... wie 1989 die Bedenken von Trainer-Vater Helmut Girardelli ignoriert wurden und der Kanadier Brian Stemmle (der später gegen Kitzbühel erfolgreich prozessierte) just an jener Stelle (Steilhangausfahrt) fast verblutet wäre, vor der Girardelli senior gewarnt hatte;

... wie Fritzl Strobl 1997 den bis heute gültigen Streckenrekord erzielte und ihm Stunden später vom stiernackigen Türsteher einer Nobel-Disco mit den Worten "Da könnt’ ja jeder kommen" der Einlass verwehrt wurde;

... wie Hermann Maier sich Kitzbühel zum Feind machte, als er auf Anraten seines Konditionstrainers Heinrich Bergmüller (heute Fitness-Guru von Kiew-Legionär Aleksandar Dragovic und den Austria-Fußballern) einen Start verweigerte, denn er müsse sich schonen für Olympia in Nagano (wo er zwei Mal Gold holte);

... wie 2003 die Kitzbüheler dem Herminator zuliebe trotz widrigster Bedingungen ein Montag-Rennen ermöglichten, das Maier zum Comeback-Sieg nach seinem Motorrad-Unfall nützte;

... wie 2014 ein von Schmerzen geplagter Hannes Reichelt nur deshalb im Starthaus nicht umkehrte, weil man ihn sonst für feig gehalten hätte. Im Ziel konnte er bei der Gratulationstour kaum noch stehen.

Reichelts Streif-Sieg zwei Tage vor einer Bandscheiben-OP ist in die Kategorie Wunder einzureihen. Ähnlich wie das Überleben der Streif-Opfer Daniel Albrecht (2009 drei Wochen Koma, heute TV-Mitarbeiter) und Hans Grugger (2011 vier Wochen Intensivstation, mittlerweile Student). Nur den Christophorus-Rettern , sagt Grugger demütig, verdanke er, "dass es mich heute noch gibt".