Sport/Wintersport

American Dream und Albträume

Am Donnerstag sorgte sein TV-Auftritt im ORF-Tirol für Aufsehen. Am Freitag traf er Österreichs Jahrhundertsportlerin Annemarie Moser in Altenmarkt. Am Mittwoch wird er in Wien ein Buch präsentieren. Was Klaus Heidegger darin enthüllt, spricht Bände.

Klaus Heidegger. Wer?

Er war bei Heim-Olympia 1976 in Innsbruck, wo Franz Klammer Abfahrtsgold geholt und Hansi Hinterseer am Slalomhang Pfiffe geerntet hatte, im Machtspiel der Industrie um seinen Startplatz gebracht worden.

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Er ist trotz fünf Weltcupsiegen in Österreich nicht ganz so bekannt geworden wie Klammer und Hinterseer, aber finanziell hat er sie um Millionen übertroffen.

Er hat zwar „reich g’heiratet“, wie Neider sagen würden, sich in den USA aber nicht ins g’machte Bett gelegt, sondern nach seinem letzten Rennen im blauen Arbeitsmantel bei seinem strengen Schwiegervater als Lehrbub begonnen, ehe er sich in die Chefetage hoch diente.

Gemeinsam mit Gattin Jami hat er den Umsatz seiner Firmen vervielfacht, den Pilotenschein erworben und sportliche Aktivitäten seiner Kinder forciert.

Vom Tiroler Bauernburschen diente sich Klaus Heidegger trotz anfänglichem Hauptschulenglisch zum amerikanischen Geldadel hoch. Eine kleine Parallele zu Frank Stronach, mit dem der 25 Jahre jüngere Heidegger während seines kurzen Heimaufenthaltes mehrmals telefoniert, zumal sie eine gemeinsame Leidenschaft für Pferde verbindet.

Von keinen zehn Pferden wäre Heidegger einst als Ski-star zu einem Outing zu bewegen gewesen.

Anders als Stronach rang er nie um mediale Anerkennung. Und anderes als Hansi Hinterseer hat Heidegger auch kein Showtalent.

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Umso überraschender, dass er sich mit AutorClaudio Honsalzum Verfassen des Buches „My American Dream“ entschloss, in dem Heidegger verrät, wie er als sexuell missbrauchter Jugendlicher unter psychischen Störungen litt. Noch auf dem Weg zum „American Dream“ hatten ihn Albträume begleitet. Bald werden auch einige Leser des Buches schlecht schlafen.

KURIER: How do you do?
Klaus Heidegger:
Jetzt wieder gut. Ich empfinde eine Erleichterung. Ursprünglich hatte ich ein Buch überhaupt nie geplant gehabt. Dann aber habe ich mir gedacht: Wenn schon eine Biografie, dann soll sie ehrlich sein. Dann muss alles raus.

Auf uns Weltcup-Reporter machten Sie im Weltcup stets den Eindruck eines psychisch stabilen Ski-Athleten. Sah die Wirklichkeit anders aus?
Ja. Ich hab’ nur durch den Sport verdrängen können, dass ich als Kind immer wieder sexuell missbraucht wurde. Es war ein zehn Jahre älterer Bursche, von dem ich naiv geglaubt habe, er wäre mein Freund. Wir waren beim selben kleinen Tiroler Fußballverein.

Wurde dieser Kerl nie bestraft?
Nein. Ich habe mir ja auch nie etwas zu sagen getraut. Ich war elf Jahre alt. Meine Mutter ist täglich zwei Mal in die Kirch’n gegangen. Aber sexuelle Aufklärung hat’s bei uns im Heiligen Land Tirol damals nicht gegeben.

Sie haben mit sonst niemandem darüber geredet?
Nein. Eigenartigerweise habe ich mit der grauslichen Sach’ anfänglich besser umgehen können als später. Im Laufe der Jahre ist es immer schlimmer geworden. Mich plagten Albträume. Ich bin mitten in der Nacht schweißgebadet aufgewacht. Meine Frau wusste nicht, was los ist. Bis ich ihr es erst vor vier Jahren gesagt habe und auf ihren Rat hin zu einer Therapeutin gegangen bin. Ausgerechnet ich, der als Rennläufer von einem Psychologen so gar nix gehalten hat.

Zu Ihren Rennläuferzeiten soll’s ja beim Ski-Team recht turbulent zugegangen sein.
Das kann ich nicht abstreiten. Sex wurde wie eine Sportart betrachtet. Auch ich habe viele Frauen gehabt. Aber ich konnte auf Grund der schrecklichen Kindheitserlebnisse nie Gefühle entwickeln. Erst mit Jami war das anders.

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Stimmt es, dass Sie die Beziehung zu Ihrer Ehefrau, mit der sie drei Kinder haben, Klammer und Hinterseer verdanken?
Ja. Jami war damals unsere Aerobic-Trainerin. Das war endlich amol vom ÖSV eine guate Idee. Der Klammer, der Hansi und der Weber Franz haben schon mitbekommen, dass ich der Jami gut g’fallen würd’. Nur ich nicht. Ich war ganz aufs Rennfahren fixiert. Beim Training in Hintertux sind wir uns dann doch nähergekommen.

Haben Sie auch sportlich von Teamgeist und ÖSV profitiert?
Vor Olympia ’76 in Innsbruck war ich der beste Junge. Trotzdem hat mir Toni Sailer sagen müssen, dass gerade auf meinem Hausberg in der Lizum, wo ich jeden Hügel gekannt habe, nicht ich, sondern der Thomas Hauser starten wird. Weil der Kneissl-Skier fährt. Dabei wusste jeder von uns , obwohl der Thomas a Guater war, dass er auf Eis mit Kneissl völlig chancenlos sein wird. Mir Atomic-Fahrer hat Eis dagegen ganz besonders getaugt.

Zu dieser Zeit drückte auch der Schuh.
Nicht nur mich. Auch Klammer und den Hansi Hinterseer. Wir mussten auf Befehl vom legendären Charly Kahr österreichische Skischuhe anziehen, obwohl nicht nur mir die ausländischen Stiefel viel, viel besser gepasst haben. Auch der Hinterseer hätte sicher viel mehr Rennen gewonnen. Wir waren politische Opfer.

Sie kritisieren in Ihrem Buch auch die Trainingsmethoden?
Es wurde zu wenig wert auf Technik gelegt. Kahr hat die Abfahrer klar bevorzugt.

War zu dieser Zeit Doping ein Thema?
Ja. Darüber wurde unter uns Läufern viel diskutiert. Der Stemmer-Champion Vinzenz Hörtnagl hat uns g’sagt, dass es da was gibt. Ich hab das Zeug net genommen, weil ich gefürchtet hab’, dass ich für einen Slalomfahrer ohnehin zu muskulös bin.

Wie erfolgte Ihr beruflicher Einstieg beim Schwiegervater in den USA?
Ich bin jeden Montag von L.A. nach New York und Freitag zurück geflogen. Anfänglich bestand die Apotheke aus 17 Angestellten. Als Jami und ich das Unternehmen an den L’Oreal-Konzern verkauft haben, waren es 300.

„Ich will, dass meine Kinder auch Österreicher werden“


Wie hoch war die Verkaufssumme?
Also um die kolportierten 150 Millionen Dollar hätten wir sicher nicht verkauft. Ich durfte keine öffentlichen Angaben machen. Und darüber hinaus fünf Jahre lang in keinem branchenähnlichen Betrieb tätig sein. Aber jetzt haben wir wieder unsere einstigen Chefchemiker zurückgeholt und die Firma Retrouve gegründet. Wir produzieren exklusive, sehr teure, sehr gute Kosmetikprodukte mit hohem Vitamingehalt.

Sind Sie US-Staatsbürger?
Nein. Ich durfte Arnold Schwarzenegger nicht wählen, aber im Wahlkampf unterstützen. Ich möchte, dass meine Kinder zur US-Staatsbürgerschaft auch die österreichische bekommen.

Könnte davon vielleicht einmal Österreichs Sport profitieren?
Der Max ist bald 16, betreibt Basketball genauso besessenen wie ich früher das Skifahren. Er ist Spielmacher und schon drittbester in Kalifornien und Zehnter im nationalen Ranking. Seine Zwillingsschwester Hannah spielt leidenschaftlich gern und hart Fußball.

Franz Klammer erzählte einmal, dass Sie Ihre älteste Tochter Nicoletta im Privatjet zu Reitturnieren fliegen und in einem weiteren Jet das Pferd hinterherdüsen lassen.
Ja, ja, der Franz (lacht). Nicoletta war wirklich eine tolle Springreiterin. Aber sie hat sich ganz auf den Abschluss ihres Psychologiestudiums in San Francisco konzentriert. Sie ist übrigens der gleichen Ansicht wie die Therapeutin. Und meint, dass es das einzig Richtige war, die Scham abzulegen und darüber offen zu sprechen und sich helfen zu lassen.

Der ehemalige Skifahrer Klaus Heidegger (1977 Zweiter hinter Stenmark im Gesamtweltcup) macht in seiner Autobiografie „My American Dream“ erstmals öffentlich, dass er als 11-Jähriger fast ein Jahr lang von einem Nachbarn in Tirol sexuell missbraucht wurde. Sein Outing, sagt er, möge eine Warnung für die Täter und eine Ermutigung für alle Opfer sein.

Das von Heidegger und Claudio Honsal verfasste Buch beschreibt den Aufstieg vom Bergbauernbub zum US-Millionär, seine Fehler in der eigenen Sport-Karriere, die Freundschaft zu den Mächtigen und eine vereitelte Entführung seiner Kinder. Auch mit seinerzeitigen Missständen und Machenschaften beim ÖSV wird abgerechnet.

Das 236 Seiten starke, im Prima Vista Verlag erschienene Buch ist um 21,90 Euro im Buchhandel erhältlich.