Zwei Teams, zwei Brüder, ein Ziel
Von Marcel Ludwig
Super-Bowl-Sunday ist ohne Frage ein Tag der Superlative, für Jack Harbaugh aber vermutlich noch ein wenig spezieller als für die anderen der knapp 180 Millionen Zuschauer. Nicht nur, dass einer seiner beiden Söhne auf jeden Fall die Vince-Lombardi-Trophy als Super-Bowl-Champion in die Höhe stemmen und die obligatorische Gatorade-Dusche "genießen" wird, sondern auch weil es wohl kaum einen Moment gibt, in dem ein Vater stolzer auf seine beiden Söhne war.
"The Team, The Team, The Team", prangt in unübersehbaren Lettern in den Trainingszentren von sowohl Ravens als auch 49ers. Eine Art Mantra, ein Fundament auf dem beide Teams ihren Erfolg aufbauen, auf dem beide Trainer ihre Spiel-Philosophie gründen, auf dem die Harbaugh-Brüder John und Jim ihre Jugend erlebten, auf dem Jims San Francisco 49ers in Super Bowl XLVII auf Johns Baltimore Ravens treffen.
Familie Football
Jims und Johns sportliche Sozialisation fiel in Jacks Jahre als Defensive Coordinator an der University of Michigan. Unter dem legendären Headcoach "Bo" Schembechler wurde ein auf physische Dominanz ausgelegtes Spiel praktiziert, der Gegner sollte mit purer Kraft besiegt werden.
Die beiden Harbaugh-Jungs waren Samstag für Samstag zugegen, wenn Coaches wie Ohio-State-Boss Woody Hayes im oft ungemütlichen und bitterkalten Michigan Stadium mit kurzärmeligen Hemden Kommandos über den Platz brüllte. Wie sehr die damalige Zeit, besonders aber Schembechler und Hayes, auf die heutigen Super-Bowl-Trainer gewirkt haben, beschreibt John: "Ikonen. Größer als der Präsident, größer als jeder Filmstar, größer als John Wayne. Bo und Woody, die waren unsere Helden."
Die Basis für das aktuelle Coaching der 49ers und der Ravens - Football als Kombination aus "harter Arbeit, Einsatz und Hingabe."
Finaler Vorhang
Im Mercedes Benz Superdome sind am Sonntag die Augen der Weltöffentlichkeit auf die Spieler gerichtet. Für die einen eine Bürde, eine Last, für die anderen zusätzliche Motivation. Als die 49ers das letzte Mal Super-Bowl-Luft schnuppern durften, waren viele der aktuellen Protagonisten gerade einmal in der Volksschule. In den Reihen der Ravens, sie holten den ersten Titel des neuen Milleniums, findet sich dagegen noch ein Spieler, der bereits vor 12 Jahren die Vince-Lombardi-Trophy in Händen gehalten hat.
Nicht aber irgendein Spieler: Ray Lewis, Middle Linebacker und Abwehrchef, steht gegen San Francisco vor dem letzten Spiel seiner Karriere. Mittlerweile 37, musste sein Körper den jahrelangen Belastungen in letzter Zeit vermehrt Tribut zollen, die Knochen sind müder geworden. Doch Lewis ist noch immer Leitwolf einer beinharten Ravens-Verteidigung und will sich von der großen Bühne mit einem großen Sieg verabschieden.
Beinahe wäre Ray Lewis die große Bühne jedoch verwehrt geblieben. Eine Super-Bowl-Party im Vorjahr seines Triumphs von 2001 endete mit zwei Toten. Lewis und seine Entourage waren mit einer anderen Gruppe in Streit geraten und hinterließen zwei erstochene Männer. Lewis bot sich als Zeuge gegen zwei seiner Begleiter an, wurde zu 12 Monaten auf Bewährung verurteilt und erhielt von der NFL eine 250.000 Dollar-Strafe. Der weiße Anzug, den Lewis in der Mordnacht getragen hat, wurde dabei nie gefunden.
Selbst in den finalen Tagen seiner Karriere sieht sich Lewis mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Während seiner Reha im aktuellen Saisonverlauf - Lewis hatte sich den Trizeps eingerissen - soll der Star-Verteidiger verbotene Steroide zur raschen Genesung eingenommen haben. Am traditionell am Mittwoch vor der Super Bowl stattfindenden Medientag dementierte Baltimores Nummer 52 auf das Schärfste.
Defensivschlacht
Freunde des gepflegten Offensiv-Spektakels dürften am Sonntag vermutlich nicht auf ihre Kosten kommen. Zwar haben beide Quarterbacks zuletzt bewiesen, auch unter Druck den Ball an den Mann zu bringen, beide Spielpläne werden jedoch vornehmlich auf die Kontrolle von Ball und Uhr durch Laufspiel setzen.
Die Zeiten der für den Zuschauer attraktiven West Coast Offense (wie sie etwas abgewandelt etwa noch in Green Bay praktiziert wird) sind in San Francisco bereits seit über einem Jahrzehnt Geschichte. Doch bleibt den 49ers ein Ass im Ärmel.
Zwar sind Selbstüberschätzung gepaart mit einer Prise Narzissmus die ersten beiden Eigenschaften die vielen Football-Fans zu Randy Moss einfallen, dass er hinter seinem legendären 49ers-Vorgänger Jerry Rice der zweiterfolgreichste Receiver der Geschichte ist, kann man nicht von der Hand weisen. Moss war für den Erfolg seines Teams vielleicht nicht entscheidend (sieht man vom Auftaktsieg in Green Bay ab), ist dafür aber mit der Situation des Endspiels vertraut und noch immer einer der am schwersten zu verteidigenden Deep-Threats der Liga.
Trotz Randy Moss, sollten alle Football-Fans - und jene die es noch werden wollen - die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen. Das letzte Duell der beiden Teams 2011 endete mit einem mageren 16:6 für Baltimore, die Zuschauer bekamen nur einen Touchdown zu sehen.