Sport

Auf den Spuren von Lindsey Vonn

Eine andere Geschichte von der WM. Eine, die nicht jeder hat, eine aus einer anderen Perspektive. Vielleicht von der Ski-Piste? Aus einer Hütte auf dem Berg? So hatte der Auftrag an das Team in Colorado für den rennfreien Mittwoch gelautet. Eines ist sicher, dieser Wunsch wurde mit Bravour erfüllt. Wenn auch nicht so wie geplant.

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Das Wetter war traumhaft im Vail Valley – Sonnenschein und blauer Himmel; die Freude riesengroß, endlich einmal selbst Bekanntschaft mit dem US-Schnee machen zu dürfen. Leider währte die Euphorie nur kurz. Um genau zu sein: fünf Minuten oder ein Drittel einer Abfahrt lang.

Linksschwung der Kollegin, ausbaufähige Position über dem Leihski, Eisplatte – dann das Knacken im rechten Knie und der Schmerz. Die mäßig elegante Rutschfahrt auf dem Hintern gab es als Zugabe.

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"How are you?" Der Herr im dunkelblauen Skianzug war neben dem Reporterduo abgeschwungen. Nie hatte diese in den vergangenen Tagen so oft gehörte Frage mehr Sinn gemacht. "Naja, war schon mal besser", sagt die Journalistin, immer noch reichlich Schnee auf Schultern und Haaren. "Ich sag’ unten Bescheid, dass sie jemanden schicken sollen, der dich holt." Und da wedelt der Helfer auch schon davon.

Danke an dieser Stelle!

Neue Perspektive

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Es stellt sich die Frage, was wir aus dieser Situation machen können. Die Reportage über die Skihütten und den American Way of Skiing können wir getrost vergessen. Also disponieren wir um: Ski Patrol statt Après-Ski. "Ich bin kein Voyeur, ich bin kein Zyniker, ich bin Journalist", Paul aus Wisconsin versteht unser Anliegen, nachdem guter Plan und schlechte Realität erklärt sind.

Inzwischen ist seine Kollegin mit dem Akia eingetroffen, das blessierte rechte Bein ist geschient, die Patientin festgezurrt. Wer die Piste liegend mit dem Kopf voraus überquert, bekommt eine völlig andere Perspektive auf die Dinge: blauer Himmel, Baumwipfel mit oder ohne Tannenzapfen und diese eine Wolke, die irgendwie aussieht wie eine Ente, die uns zu verfolgen scheint – wäre da nicht der ziehende Schmerz im rechten Knie, es könnte eine lustige Erfahrung sein.

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"Drei Viertel der Strecke haben wir hinter uns", sagt Paul, dessen Helm immer wieder auf der rechten Seite des Akias auftaucht. "Toboggan" nennen sie den Eisenschlitten hier. Es ist das gefühlt hundertste Update des netten Helfers. Immerhin haben wir auf unserer 30-minütigen Reise bereits eine erste Schlittenfahrt und eine liegende Fahrt auf dem Sessellift – natürlich wieder Kopf voran – hinter uns. Nie wurde der Deckenverkleidung einer Zustiegsstelle mehr Beachtung geschenkt.

"Im Schnitt transportieren wir 40 Leute am Tag", erzählt Paul. "Knieverletzungen sind besonders häufig, weil der Schnee gerade so schlecht ist." Durch die hohen Temperaturen sucht man den berühmten Powder vergebens. Auch der Andrang auf den Pisten hält sich in Grenzen. 9000 Leute seien heute unterwegs, sagt Paul. Am Wochenende, mit Presidents’ Day und Valentinstag, werden 23.000 erwartet.

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"Good luck", wünscht der Retter, nachdem die Eisentrage in ein SUV mit ausgebauten Rücksitzen geschoben wurde. Nur fünf Minuten wolle man noch warten, der nächste Sturzpilot sei bereits auf dem Weg. Zeit, um für einen Moment über die Comics zu schmunzeln, die für die Liegenden an die Decke des Fahrzeuges geklebt wurden. "Du bekommst da hinten leider keine Gesellschaft", sagt Paul: Andrew darf auf dem Beifahrersitz Platz nehmen.

"Was hast du?", fragt der Mittvierziger, der ganz vorsichtig auf dem Beifahrersitz Platz nimmt. "Knie. Du?" Die Schulter hat er sich ausgerenkt. Es war nicht seine erste Fahrt, er war schon drei Stunden unterwegs, ab halb neun am Morgen.

Alte Frage

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"Was ist denn da passiert?", fragt der groß gewachsene Arzt mit den dunklen Haaren. Wiederholung Nummer sieben im Vail Valley Medical Center. Vor ihm haben Ashley (Aufnahme), Philip (Erstuntersuchung), Jake (Röntgen), Jason (CT), Annie (Sozialarbeiterin) und Gussie (freiwillige Helferin zur Unterhaltung der wartenden Angehörigen) die Geschichte von der Journalistin aus Österreich gehört, der gleich die erste Talfahrt zum Verhängnis geworden war. Transport- Buddy Andrew auf der anderen Seite des cremefarbenen Vorhanges mit interessantem Efeumuster könnte diese wohl auch bereits erzählen.

"Wow, Austria. Ihr habt ja ganz schön abgeräumt bei der WM", sagt Dr. William Sterrett – nicht die ersten anerkennenden Worte zur Leistung des österreichischen Ski-Teams in der vergangenen Stunde. "Sie sind in guten Händen", versichert der Arzt. Er gehöre zum Team, das sich auch um das Knie von Lindsey Vonn gekümmert hat. Nicht die schlechteste Referenz.

Die Diagnose schmerzt: Das Kreuzband sei offenbar in Ordnung, dafür die untere Fixierung des Bandes aus dem Schienbeinkopf herausgerissen. "Das muss geschraubt werden. Keine große Sache", sagt Sterrett. Er ist freundlich, aber nicht beeindruckt vom mittlerweile auf die doppelte Größe geschwollenen Knie. "Wir werden Sie gleich einweisen. Kann nicht lange dauern."

Wunderbarer Lachs

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Als der neue Lebensraum für die kommenden zwei Tage endlich erreicht ist, sind sieben Stunden seit dem Hoppala auf der Piste vergangen. Die Schmerzmittel fangen an zu wirken, die Erinnerung an den Versuch, selbstständig die Toilette zu besuchen, ist fast verloschen.

Schön ist es hier im zweiten Stock des Krankenhauses. Fast ein Hotel. Manche Zimmer dürfen Suiten heißen. Auch Pepi Gramshammer, dem Exil-Österreicher und Betreiber des Ö-Hauses, ist eine gewidmet. Mittlerweile ist es dunkel vor dem Fenster, wo die riesige US-Flagge regungslos am Mast baumelt.

"Was würden Sie denn gerne essen?", fragt Lily. Die Nachtschwester in der mintgrünen OP-Hose reicht die Speisekarte. Allein zehn verschiedene Sandwiches sind darauf zu finden. "Der Lachs ist amazing!", ruft Evette von der anderen Seite des Trennvorhangs. "Sie haben so ein Glück, dass Sie hier sind", sagt die ältere Dame mit der Schulterverletzung.

Sie ist eine der wenigen, die sich nicht beim Skifahren wehgetan hat.

Ondrej Bank war an diesem Mittwoch übrigens zum vorerst letzten Mal im Vail Valley Medical Center. Gut, im Moment gibt es für uns auch wirklich Wichtigeres als ein Interview mit dem in der Kombi-Abfahrt so schwer gestürzten Mann aus Tschechien.