Sport

Schneller, höher und trotzdem dicker

Er ist Präsident der europäischen Sportmediziner, gilt als eine der kompetentesten Ansprechstationen im Sport. Trotzdem fliegt Norbert Bachl nicht zu Olympia. Der Universitätsprofessor hält sich diskret im Hintergrund. Heute aber redet er offen über den problematischen körperlichen Zustand der Jugend, über Fußball, Leichtathletik und Doping.

KURIER: Warum fehlen Sie in London?
Norbert Bachl: Ich habe 1984 in Los Angeles und 1988 Seoul dem Olympia-Aufgebot als Teamarzt angehört. Dann gab es Unstimmigkeiten mit ÖOC-Generalsekretär Jungwirth. Derzeit liegt mein Schwerpunkt im Bereich der Forschung der molekularen Leistungsphysiologie.

Über den körperlichen Zustand Österreichs Jugend ist wenig Gutes zu hören. Wird dramatisiert?
Die Zahl Übergewichtiger nimmt zu, hängt auch stark damit zusammen, dass immer mehr Jugendliche ihre Freizeit vor Computer und TV verbringen und weniger Sport betreiben. Der Trend ist besorgniserregend.

Alle Rufe nach der täglichen Turnstunde verpuffen wirkungslos? Haben auch Sie resigniert?
Ich habe die tägliche Bewegungseinheit immer gefordert – leider vergebens. Ich sehe jetzt aber eine Hoffnung in der Ganztagsschule. Der Nachmittag bietet mehr Möglichkeiten. Hoffentlich werden diese nicht durch administrative Hürden erschwert.

Geht die Schere zwischen solchen, die extrem viel trainieren, und solchen Menschen, die gar nichts tun, immer mehr auseinander?
Diese Frage ist nicht unberechtigt, da ein regelmäßiges Bewegungsverhalten auch schichtenabhängig ist. In der Wirtschaft ist mir kein Spitzenmanager bekannt, der nicht regelmäßig körperlich aktiv ist. Unter der ärmeren Bevölkerung gibt es immer mehr Übergewichtige. Von Eltern, die jeden Euro umdrehen müssen, kann man schwer erwarten, dass sie ihr Kind zu ausrüstungsintensiven Sportarten schicken bzw. nur hochwertige Nahrungsmittel kaufen. Daher sind alle Institutionen gefordert, Lösungen auszuarbeiten.

Fußball gilt vergleichsweise als billige Massenbeschäftigung. Und doch reden Vertreter anderer Sportarten über Kicker abfällig. Halten sie für trainingsfaul. Ist die Meinung noch gültig?
Die Fußballer von Rapid sowie jene von Wr. Neustadt und auch von Austria Nachwuchsteams, welche wir am Institut für Sportmedizin leistungsdiagnostisch untersuchten, können mit ihren konditionellen Werten internationalen Vergleichen durchaus standhalten. Gerade die jüngere Trainergarde weiß, welche Voraussetzungen notwendig sind. Insgesamt scheint die Liga auf einem richtigen Weg zu sein, zumal in den Akademien gut gearbeitet wird.

Trendsportarten drängen in Österreich die Elementarsportart in den Schatten. Muss man sich Sorgen um die Leichtathletik machen?
Ein systematisches Programm zur Talentfindung in der LA bis hin zu Athleten auf österreichischem bzw. internationalem Niveau, ist mir derzeit nicht bekannt. Zugegeben, der Aufwand ist ein hoher. Andere Sportarten, wie Ski alpin, zeigen, wie man Leistungssport richtig organisiert. Dass die österreichische LA bis auf einige wenige Ausnahmen international nicht sichtbar ist, stimmt mich traurig.

Am 5. August findet in London das Finale im 100-Meter-Lauf statt, in dem Usain Bolt mit 9,58 den Weltrekord hält. Welche Zeiten sind noch möglich?
Vor 30 Jahren galten 9,6 als Plafond. Wir sehen, was passiert ist. Mittlerweile gehen die Berechnungen von etwa 9,25 aus.

Ist ein Medaillengewinn für einen österreichischen Leichtathleten ohne Doping überhaupt noch möglich?
Aus vielen Beobachtungen muss man feststellen, dass man in einigen Sportarten nicht in der Lage ist, aufs Stockerl zu kommen, ohne sich an die Grenzen der Legalität heranzutasten.

Bernhard Kohl, dem sein dritter Platz bei der Tour de France 2008 wegen Dopings aberkannt worden war, behauptete soeben in einem Sky-Interview, die Radprofis und die Pharmazie würden den Doping-Jägern immer um eine Spur voraus sein.
Die Aussage stimmt.

Von der Fußball-EM ist hingegen trotz vieler Kontrollen bisher kein Dopingfall bekannt.
Da werden auch keine positiven Proben mehr kommen. Technik und Taktik durch Doping zu verbessern – das ist kaum möglich.

Medizinische Erkenntnis oder nur Illusion? Eignet sich Sport als Mittel im Kampf gegen den Krebs?
Regelmäßige Sportausübung kann das Risiko, an Krebs, insbesondere Brust- und Darmkrebs, zu erkranken, um etwa 30 Prozent reduzieren.

Norbert Bachl Der Universitätsprofessor (65, verheiratet und Vater zweier erwachsender Kinder) ist Direktor des österreichischen Instituts für Sportmedizin in Wien sowie seit zwölf Jahren Präsident der europäischen Sportmediziner. Als Mitglied der medizinischen Kommission des IOC und des ÖOC ist Bachl bei IOC-Kongressen und somit stets auf dem neuesten Stand der Entwicklung.