Sport

Von allen überschätzt, von vielen favorisiert

Wer ist der meistüberschätzte Fußballer der Welt? Das wäre eine überaus interessante Frage – vor allem, wenn sie die Profi-Fußballer selbst beantworten würden.

Im Golf wird sie jährlich gestellt. Das US-Branchenmagazin Sports Illustrated bittet die weltbesten Golfer der PGA-Tour zur Stimmabgabe. Anonym, versteht sich. Fast jede vierte Stimme bekam heuer Rickie Fowler, der Amerikaner teilte sich Platz eins mit Ian Poulter aus England. Veröffentlicht wurde das Wahlergebnis im Mai kurz vor Beginn der Players Championship, eines der wichtigsten und lukrativsten Golfturniere der Welt.

Vier Tage später war das Turnier zu Ende – und Rickie Fowler der Sieger.

"Ich habe über die Abstimmung gelacht", sagt der 26-Jährige. Erst diese Woche musste der Kalifornier wieder dazu Stellung nehmen, am Rande der British Open, die von Donnerstag bis Sonntag stattfinden (Sky Sport überträgt live). Fowler gilt beim dritten Major-Turnier des Jahres auf dem legendären Old Course von St. Andrews (siehe Artikel unten) als Mitfavorit, erst recht nach seinem Triumph in der Vorwoche bei den Scottish Open, der Generalprobe für die British Open.

Welche Einschätzung ist falsch? Die der Buchmacher oder jene seiner Kollegen? Kaum ein Golfer musste in den vergangenen Jahren mehr um Anerkennung in der Szene kämpfen als Rickie Fowler. Dabei hat er sich bis auf Weltranglisten-Platz fünf vorgearbeitet und 2014 einen Rekord eingestellt: Als erst dritter Golfer beendete er alle vier Major-Turniere eines Jahres in den Top fünf – nur ein Sieg blieb ihm verwehrt.

Anzüglicher Aufzug

Und kaum einer versteht es, stärker zu polarisieren als dieser Rickie Fowler. "Weibliche Fans schicken mir Nachrichten, dass ich der Grund sei, warum sie sich neuerdings für Golf interessieren", sagte er im Jahr 2011.

Ein Jahr zuvor war der Amerikaner ins Profilager gewechselt, nachdem er 38 Wochen lang die Liste der weltbesten Amateure angeführt hatte und als Wunderkind gepriesen wurde. Und das Wunderkind wusste aufzufallen – sportlich wie optisch. Sein Auftreten sorgt auf den Golfplätzen dieser Welt für Gesprächsstoff, anzüglich finden einige gar seinen Aufzug. Sein Markenzeichen sind bunte, riesige Baseballkappen, wie sie Hip-Hopper und neuerdings auch Fußballer tragen. Das gefällt nicht nur seinen Fans, darunter Tausende Jugendliche, sondern auch seinem Ausrüster. "Es ist großartig, Leute zu sehen, die angezogen sind wie ich. Mittlerweile passiert das auf der ganzen Welt."

Spektakulär ist auch sein Spiel: Bei der Players Championship waren seine Abschläge um dreißig Meter länger als jene der Konkurrenz. Der Sieg war sein Durchbruch. "Du weißt nie, ob ein Spieler tatsächlich sein Potenzial ausschöpfen kann, bis er nicht auf die große Bühne gegangen ist und gewonnen hat", sagte Fowler.

Größer als die Players Championship sind nur vier Turniere. Eines davon beginnt heute in St. Andrews.

Was macht die British Open so speziell?

Unter den Profi-Golfern sind die British Open, offiziell schlicht „The Open“ genannt, das Maß der Dinge. Seit 1860 wird das Major-Turnier veranstaltet, damit ist von den noch ausgetragenen Sportbewerben nur der America’s Cup der Segler noch älter (seit 1851). Der Open-Sieger bekommt rund 1,4 Millionen Euro Preisgeld und die begehrte Trophäe in Form einer kleinen, silbernen Rotweinkanne („Claret Jug“).

Was macht den Mythos von St. Andrews aus?

Das einzige der vier Major-Turniere auf europäischem Boden findet zwar nicht ausschließlich auf einer Anlage statt, jedoch am häufigsten in St. Andrews. Zum 29. Mal werden heuer die weltbesten Golfer in der schottischen Ostküsten-Stadt empfangen. Ortsansässige Institution ist der Royal and Ancient Golf Club, der zudem über die Golf-Regeln wacht. Golf gespielt wird dort seit gut 500 Jahren, weshalb von der Heimat des Golfs die Rede ist. Elitäres Vergnügen ist es keines: Das 17.000-Einwohner-Städtchen verfügt über fünf (!) Golf-Clubs, der „New Club“ wurde 1902 (!) gegründet. Für eine Jahresgebühr von 265 Euro darf jeder Einwohner in St. Andrews abschlagen.
Was ist Links-Golf? Die Open werden stets auf Links-Golfplätzen ausgetragen. Die Bezeichnung hat nichts mit der Spielrichtung zu tun, sondern mit dem Untergrund: Die karge und unfruchtbare Küstenlandschaft (Linksland) wurde einst als nutzlos angesehen und daher etwa für Golf genutzt.

Was sind die Besonderheiten des Old Course?

Die Anlage ist seit Jahrhunderten natürlich gewachsen. Die berühmte Swilcan-Brücke, die zwischen Bahn 1 und 18 liegt, wurde im 13. Jahrhundert erbaut. Die Anlage kennzeichnen wellige Spielbahnen und 112 gefürchtete, weil zum Teil schulterhohe Sandbunker, genannt „Särge“ oder „Hölle“. Um letzterer zu entkommen, benötigte Golf-Legende Jack Nicklaus 1995 vier Schläge. Berüchtigt ist auch das Wetter: Wind, Kälte und Regen sind treue Begleiter in St. Andrews. Als im Jahr 2000 die Open bei Sonnenschein und 25 Grad stattfanden, wurden im Ort Schilder mit folgender Aufschrift aufgestellt: „Wir entschuldigen uns für das Wetter.“