Sport

Reifezeugnis für einen Jungstar

Es kommt nicht oft vor, dass Gregor Schlierenzauer aus allen Wolken fällt. Seit Jahren schon ist der Tiroler der Überflieger der Schanzen-Szene, und dabei bewegt sich der 23-Jährige mittlerweile längst in Sphären wie noch kein anderer Skispringer vor ihm.

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Was seinen Konkurrenten auf der Schanze nicht gelang, das schaffte der offizielle Interviewer der Weltmeisterschaft in Val di Fiemme – er holte den Superstar von Wolke sieben und ließ bei der Siegerpressekonferenz einen genervten und verärgerten Gregor Schlierenzauer auf dem Podium zurück.

Wie er denn mit der Niederlage auf der Normalschanze umzugehen gedenke, wurde der Silbermedaillengewinner aus dem Stubaital gefragt. Und ob es für ihn nicht eine große Enttäuschung sei, nur Zweiter geworden zu sein. Schlierenzauers Antwort war ein giftiger Blick für den Interviewer und eine unmissverständliche Klarstellung: "Ich habe nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen. Und ich freue mich über jede Medaille."

Auf der Großschanze ist der Tiroler als Titelverteidiger heute der große Gejagte.

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Skisprung-Cordoba

Die eigenwillige Episode belegt das Dilemma, in dem Gregor Schlierenzauer inzwischen steckt. Offenbar erwartet sich die Öffentlichkeit vom erfolgreichsten Skispringer der Gegenwart tatsächlich nur mehr Superlative, Rekorde, Titel, Triumphe und Medaillen, am besten in Gold. "Aber ich bin ein Mensch und keine Maschine", will Gregor Schlierenzauer klarstellen, „man kann Medaillen nicht so einfach programmieren. Für mich ist die WM jedenfalls mit zwei Silbermedaillen schon einmal perfekt gelaufen.“

Auch den österreichischen Cheftrainer Alexander Pointner nerven die ständigen Fragen nach der ersten Goldmedaille und die Verweise auf die Vergangenheit. 2011 in Oslo hatten Österreichs Nordische sieben Goldmedaillen geholt, die Skispringer hatten überhaupt alle Schanzen-Bewerbe gewonnen. "Wir sollten jetzt nicht nach Oslo blicken und der Vergangenheit nachjammern", mahnt Pointner. "Sonst besteht die Gefahr, dass Oslo das Cordoba des Skispringens wird. Die WM damals war etwas Besonderes und Außergewöhnliches."

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Besonders, außergewöhnlich, einzigartig – das sind Attribute, die auch Gregor Schlierenzauer begleiten, seit er 2006 als 16-Jähriger in seinem erst dritten Weltcup-Springen bereits zum ersten Sieg geflogen war. Seither steht er pausenlos im Rampenlicht, seither landet er einen Coup nach dem anderen, seither hat er lernen müssen, mit der Rolle als Jungstar umzugehen. "Es ist nicht einfach, wenn du mit 16 eigentlich schon erwachsen sein sollst", erinnert sich der Tiroler, "mit 16 bist du ja noch ein Kind."

Erfolgshunger

Der junge Gregor Schlierenzauer war nicht immer ein einfacher Zeitgenosse. Er wirkte verbissen und vom Ehrgeiz zerfressen. Und wenn er einmal nicht die Nummer eins war, dann flossen schnell die Tränen. Der Erfolgshunger ist ihm zwar geblieben, nur macht sich der Gregor Schlierenzauer von heute nicht mehr verrückt, wenn er einmal nicht auf dem Podest steht – was ohnehin nur selten vorkommt: Der 23-Jährige landet im Schnitt in jedem zweiten Weltcupspringen auf dem Podest. "Wenn ich meine Leistung abrufe, hat die Saison gezeigt, dass es für die Top 3 reichen sollte."

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Einige mögen in solchen Aussagen einen Anflug von Arroganz erkennen, doch tatsächlich sind sie nur Ausdruck des Selbstvertrauens eines jungen Mannes, der in seinem Leben bereits 48 Weltcupsiege gefeiert hat. "Bei allen Erfolgen möchte ich am Boden bleiben und als normaler Typ ohne Starallüren gesehen werden", sagt Schlierenzauer, der sich bei der WM gelassener, gereifter und gelöster denn je präsentiert. "Der Tourneesieg im Vorjahr war so ein Schlüsselerlebnis. Ich sehe jetzt nicht mehr alles so engstirnig."

Das bekommen auch seine Kollegen zu spüren: Aus dem einstigen Egozentriker ist ein echter Teamplayer geworden, der gerne auch den anderen den Erfolg und das Rampenlicht vergönnt. Als sich die Journalisten bei der Medaillenfeier für den zweiten Platz im Mixed-Bewerb auf ihn stürzten, schickte er sie schnurstracks zu Chiara Hölzl und Jacqueline Seifriedsberger weiter. Die Damen hätten sich die Aufmerksamkeit mehr verdient als er.

Wer über den Brenner ins Fleimstal fährt, der muss auf der Autobahn unweigerlich einen Tunnel passieren, der einen prominenten Namen trägt – Kofler. Der Name ist Programm, denn Andreas Kofler steckt seit Wochen schon in einem Formloch fest, und es ist wenig Licht am Ende des Tunnels zu erkennen.

Nachdem der Tiroler bereits beim Auftakt-Springen auf der Normalschanze nur Zaungast sein durfte, scheiterte er nun auch in der Qualifikation für den Bewerb auf der Großschanze. Seit seiner Disqualifikation beim Tournee-Springen in Oberstdorf (zu weiter Anzug), die ihn völlig aus der Bahn geworfen hat, befindet sich Kofler im Abwärtstrend.

Der 28-Jährige erkannte, dass er seine Form wohl auch bis zum Teambewerb am Samstag nicht finden wird, packte seine Sachen und trat vorzeitig die Heimreise nach Tirol an.

Morgensterns Mini-Schanze

Kleinere Brötchen hat auch Thomas Morgenstern gebacken. Aber nicht aus Frust, sondern aus Lust: Der Kärntner hat sich in Val di Fiemme aus einem emotionalen und sportlichen Tief befreit. Morgenstern holte sich im Mixed-Bewerb die Silbermedaille und hat beim ersten Training auf der Großschanze die Bestweite erzielt, dabei zog er sich allerdings bei der Landung eine leichte Verletzung im Sprunggelenk zu.

"Der Aufsprung ist derzeit mein großes Manko, da fühle ich mich nicht so sicher. Und derzeit geht mir die Kraft ab", sagt er. Er schonte sein Sprunggelenk und verzichtete auf das Dienstag-Training. Und jetzt kommen die kleinen Springer-Brötchen wieder ins Spiel: Morgenstern, der den Spaß am Skispringen wieder gefunden hat, baute sich auf einem Fußballplatz mit der Schaufel eine kleine Schanze, schnitt sich kurzerhand Skier ab – und übte die Telemark-Landung. "Ich bin dort definitiv der Schanzenrekordhalter", erklärte der 26-jährige Kärntner schmunzelnd.