"Gebt ihnen doch mehr Sprit!"
Schwarz und Gold – das sind die Farben, mit denen Mario Andretti, 74, in Europa auch heute noch in Verbindung gebracht wird. Schwarz und Gold wie die Lackierung des Lotus, seines Lotus. In dem Auto wurde er 1978 Formel-1-Weltmeister und zur Legende. Der Amerikaner mit italienischen Wurzeln gewann im Automobilrennsport nahezu alles, was es zu gewinnen gibt. Heute ist Andretti Verehrer und Kritiker der Formel 1 sowie als Botschafter des Grand Prix der USA am Sonntag im texanischen Austin vor Ort an der Rennstrecke.
KURIER: Mister Andretti, müssen Sie den Amerikanern die Formel 1 erklären?
Mario Andretti: Überhaupt nicht. Das einzige Problem der Serie war in der Vergangenheit, dass sie keine fixe Heimat hatte. Sie ist durch die Staaten gezogen wie ein Zigeuner: Dallas, Phoenix, Indianapolis und so weiter. Nun wissen die Leute: Wenn ich die Formel 1 sehen will, muss ich nach Austin kommen.
Nur einen US-Fahrer gibt es seit 2007 nicht mehr. Fehlt es an Talenten?
Bestimmt nicht. Die Konkurrenz im US-Motorsport ist mit NASCAR und IndyCar sehr groß. Ein US-Rennfahrer muss nicht nach Europa gehen, um eine erfolgreiche Karriere zu haben.
Zumindest ein Formel-1-Team aus den USA soll es ab 2016 geben. Was erwarten Sie sich von dem Projekt von Unternehmer und NASCAR-Team-Besitzer Gene Haas?
Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Formel-1-Team aufzubauen und erfolgreich zu führen, ist sehr schwierig geworden. Wir sehen das gerade an den aktuellen Entwicklungen. Aber, dass es überhaupt die Bereitschaft gibt, so ein gewaltiges Investment in Angriff zu nehmen, ist positiv für die Formel 1 und die USA.
Das Haas-Team wird eng mit Ferrari kooperieren, was einem Kundenteam nahekommt, das bei einem Hersteller wie Mercedes oder Ferrari den kompletten Formel-1-Boliden kauft. Sie gelten als Verfechter dieser Idee. Ist es die Zukunft?
Wenn man immer über Kostenreduzierung spricht und nun sogar über Insolvenzen, dann sollte man auch über Kundenteams sprechen dürfen. Meine Idee wäre, dass jeder Hersteller ein Auto an einen Kunden verkaufen darf. Es ist die einzige Möglichkeit, um in Zukunft ein einigermaßen ausgeglichenes Starterfeld zu haben.
NASCAR und IndyCar sind extrem populär in den USA. Was könnte die Formel 1 von diesen Serien lernen?
Die Formel 1 ist als Serie und Marke so stark, sie braucht keine Ratschläge, auch nicht in den USA. Die NASCAR-Serie ist vom Reglement sehr simpel, es geht nur um die Show. Bei der Formel 1 muss die Technik immer ein zentraler Bestandteil der Faszination bleiben.
Stichwort Reglement: Verstehen Sie alles, was 2014 in einem Cockpit vor sich geht?
Ich bin mir nicht sicher. Manche Regeländerungen waren zu anspruchsvoll. Das Spritsparen ist so eine Sache. Mein Gott: Gebt ihnen doch so viel Sprit, wie sie benötigen und nicht nur 100 Kilo! Davon wird der Planet auch nicht grüner.
Gefällt Ihnen die Formel 1 im Jahr 2014?
Es gibt weltweit noch immer nichts Vergleichbares. Die Formel 1 ist das Beste, was der Motorsport zu bieten hat. Es gibt sehr viele gute Geschichten, auch abseits des WM-Duells bei Mercedes: das Comeback des Traditionsteams Williams, oder so manche Überraschung auf der Strecke.
Zum Beispiel?
Es handelt sich derzeit vielleicht um die talentierteste Generation an Fahrern überhaupt. Wer hätte mit Daniel Ricciardo vor dieser Saison gerechnet? Einige seiner Überholmanöver gehören ins Lehrbuch. Gleichzeitig haben ein paar Routiniers wie Alonso und Vettel Probleme.
Sebastian Vettel soll nun Ferrari zu altem Ruhm verhelfen. Trauen Sie ihm das zu?
Vettel kann es nicht alleine richten, die Formel 1 ist ein Teamsport. Selbst ein so begnadeter Pilot wie Alonso musste das einsehen. Vettel bringt alle Voraussetzungen mit, aber er braucht die Unterstützung der Maschine.
Ihnen gelang Ihr erster Formel-1-Sieg in einem Ferrari. Wie würden Sie den Mythos der Marke beschreiben?
Bei mir kam noch dazu, dass ich in Italien geboren und aufgewachsen bin. Ich sah meinen ersten Grand Prix 1954 in Monza. Es war eine Offenbarung. Nur ein Idiot schlägt ein Angebot von Ferrari aus, wenn es auf dem Tisch liegt. Mit Ferrari ein Autorennen zu gewinnen, ist einfach ein bisschen süßer als alles andere.
Familie
Mario Andretti wird am 28. Februar 1940 im damals italienischen Montana geboren. 1959 wandert die Familie in die USA aus und wird dort zu einer der erfolgreichsten Rennfahrer-Dynastien (Söhne Michael und Jeff, Enkel Marco).
Erfolge
1967 gewinnt Mario Andretti das Daytona500-Rennen der NASCAR-Serie und ist damit bis heute der einzige in Europa geborene Fahrer, dem dies gelungen ist. Zwei Jahre später siegt er bei den 500 Meilen von Indianapolis. Von 1968 bis 1982 absolviert er 128 Grands Prix in der Formel 1. Beim Debüt in den USA fährt er prompt auf die Poleposition. 1978 wird er im schwarz-goldenen Lotus Weltmeister. 1984 gewinnt er die IndyCar-Serie. Nur der Sieg beim 24-Stunden-Klassiker in LeMans fehlt ihm (1995: Rang 2).