Sport/Motorsport

Gerhard Berger: "Wir fuhren uns ständig in die Räder"

Er sitzt nicht einmal auf dem Weg zur Rennstrecke hinter dem Steuer, dennoch ist er die größte Attraktion des DTM-Wochenendes auf dem Nürnberger Stadtkurs. Eine halbe Stunde harrt ein Fan geduldig aus, dann ist dieses Interview zu Ende und Gerhard Berger hat Zeit, den Modellrennwagen zu signieren. Seit heuer ist der Ex-Formel-1-Pilot Chef des Deutschen Tourenwagen Masters.

KURIER: Herr Berger, Sie sind seit drei Monaten der neue Vorsitzende der DTM. Wie fällt die Zwischenbilanz aus?

Gerhard Berger: Vier Rennen waren superspannend, so, wie ich mir optimalen Rennsport vorstelle. Die zwei anderen waren okay. Mein Blick ist sehr kritisch, der Anspruch ist hoch. Man muss aber aufpassen, dass man den Motorsport nicht um jeden Preis attraktiver und abwechslungsreicher macht. Die DTM muss sich nicht neu erfinden, sondern verbessern. Das ist mein Ansatz.

Die DTM-Fahrer zeigen sich erfreut, dass Sie ihnen genau zuhören. Sind die Piloten der Schlüssel?

Da wäre ich vorsichtig. Du hast zwanzig Fahrer, und jeder hat seine Meinung. Ich kenne das aus meiner eigenen Zeit. Ich habe immer probiert, meine Sichtweise anzubringen. Die war schon kompetent, aber natürlich hatte auch ich einen Hintergedanken, wie mir etwas persönlich helfen könnte. Prinzipiell gilt: An guten Ideen mangelt es im Motorsport nicht.

Sondern?

Das Schwierige ist die Umsetzung, damit alle Interessensgruppen – vom Fernsehen über die Fahrer bis zu den Herstellern – einverstanden sind. Jede Idee, und sei sie für den Sport noch so wertvoll, schafft automatisch auch immer einen Nachteil für irgendjemanden. Denjenigen zu überzeugen, das ist die wahre Herausforderung.

Was ist Ihr zentraler Ansatz?

Wenn du selbst einmal ein Unternehmen gehabt hast, lernst du schnell, dass der Kunde König ist. Der bringt dir Geld. Dieser Ansatz ist zuletzt im Motorsport ein wenig auf der Strecke geblieben.

Wie groß ist der Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Rennserien?

Das Wichtigste ist, dass man als Rennserie eine eigene DNA entwirft. Die Formel 1 ist extrem technikgetrieben, das Maß der Dinge. Die MotoGP ist Hardcore-Motorsport, der mitten ins Herz der Fans trifft, aber nicht diese Historie und Kraft hat wie die Formel 1. Die elektrifizierte Formel E ist eine gute Plattform für die Hersteller, mit Hardcore-Motorsport hat das aber wenig zu tun. Im deutschsprachigen Raum kommt die DTM sofort nach der Formel 1, weil der Zugang zu Fahrern und Autos sehr unkompliziert ist. Der DTM-Fan muss bis zur Box kommen und die Autos aus nächster Nähe sehen können. Auf der Strecke sind Rad-an-Rad-Duelle existenziell. Es darf kein Problem sein, wenn sich zwei Autos berühren. Natürlich ohne Schwerverletzte.

Gutes Stichwort: Zuletzt sind Sebastian Vettel und Lewis Hamilton aneinander geraten ...

Die ganze Diskussion finde ich super, jeder Fan hat dazu eine Meinung. Genau das braucht der Sport. Was hat es denn gezeigt? Dass zwei Sportler mit Emotionen bei der Sache sind. Es war ja keine gefährliche Aktion. Beide haben provoziert, beide wurden bestraft – Vettel vom Weltverband, Hamilton vom Motorsport-Gott (der Brite musste einen unfreiwilligen Boxenstopp einlegen, Anm.). Damit sollte das Thema erledigt sein.

Wie hätten Sie einst reagiert?

Genauso, nur hätte sich damals kein Mensch aufgeregt. Wir fuhren uns ständig in die Räder, das war Tagesgeschäft. Früher hätte man die Aktion ohne Telemetriedaten und Cockpit-Kameras aber auch nie auflösen können.

Fehlen dem Motorsport heutzutage die Typen mit Ecken und Kanten?

Das liegt nicht an den Piloten, sondern am System. Ich kannte früher keinen Pressesprecher oder Marketingberater. Mich einzubremsen, war und ist eher schwierig. Genau aus diesem System möchte ich mit der DTM ein wenig ausbrechen. Das ist ein harter Kampf mit den Herstellern, die eine genaue Vorstellung davon haben, wie sie ihre Marke präsentiert sehen wollen.

Ihr Neffe Lucas Auer fährt derzeit in der DTM um den Titel. Erkennen Sie Parallelen?

Lucas ist ganz anders. Er handelt viel überlegter als ich. Das mag auch an der Zeit liegen, man muss heute vorsichtiger sein, Interessen abwägen. Das macht er gut. Er war nur kein Frühstarter.

Was meinen Sie?

Er ist in seiner Entwicklung exakt mit seinem Alter gegangen. Derzeit sucht man generell im Spitzensport Athleten, die immer jünger sind. Lucas hat sich mit 17 wie ein 17-Jähriger verhalten. Ganz anders war da etwa Sebastian Vettel. Als ich mit ihm bei Toro Rosso erstmals zu tun hatte, war er 18. Er hat sich aber verhalten wie ein 28-Jähriger. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun, sondern mit der Einstellung zum Leben. Die Talenteförderer wollen den Frühstarter, der mit 18 bereits ein fertiger Rennfahrer ist. Lucas ist eben jetzt, mit 22, fertig. Er ist nun so gut, dass er sich überall durchsetzen kann.

Auch in der Formel 1 – er soll bald einen Test absolvieren?

In der Zwischenzeit traue ich ihm das zu. Ich hätte das schon gerne vor zwei Jahren gesagt, aber damals wäre er verheizt worden. Lucas hätte sich mittlerweile eine Chance verdient. Ob er sie nutzt, ist eine andere Sache.