Ein Motor für eine neue Ära: Der Siegeszug des Turboautos
Von Michael Andrusio
Man müsse schon ein wenig lauter sprechen. "Ich hatte Tag und Nacht mit lauten Autos zu tun, und das Resultat ist, dass ich heute schwerhörig bin", erklärt der 76-jährige Jean-Pierre Jabouille und nimmt augenzwinkernd – quasi als Beweis – seine zwei Hörgeräte aus den Ohren.
Seine Sternstunde erlebte der Renault-Formel-1-Fahrer beim Großen Preis von Frankreich 1979: Es war der erste Sieg eines Turboautos in der Formel 1. "Es war ein Triumph für Frankreich. Ein französischer Fahrer in einem französischen Auto mit französischen Reifen (Michelin, Anm.) – und das Ganze beim Großen Preis von Frankreich in Dijon. Das war einmalig", erinnert sich Jabouille, und seine Augen strahlen hinter den blau getönten Brillen immer noch, wenn er davon erzählt.
Um den Renault-Turbo zu einem siegfähigen und standfesten Auto zu machen, musste allerdings viel Arbeit verrichtet werden. "Bei einer der ersten Testfahrten in Le Castellet habe ich zu unserem Motorenentwickler Bernard Dudot gesagt, dass die Kraft erst auf der Hälfte der Start-Ziel-Geraden einsetzt. In den Kurven war das nur ein laues Lüftchen."
Wetterfühlig
Besser wurde es, als Renault statt eines großen Turboladers zwei kleine Lader einsetzte, einen pro Zylinderbank des 1,5-Liter-V6. "Dadurch verbesserte sich das Ansprechverhalten des Motors, und es war auch günstig für die Aerodynamik", berichtet Jabouille, der sich früh für die Aerodynamik der Rennautos interessierte. "Wir hatten einen Aerodynamiker bei Renault, der aber immer öfter zu mir kam und mich um Rat fragte", erzählt Jabouille grinsend. "Beim Testen des Autos war ich als Fahrer fast wie ein Barometer. Wenn es kühl und feucht war, lief der Motor sehr gut, wenn es heiß war, lief er nicht mehr so gut. Aber wir hatten Ingenieure, die motiviert waren und neben dem Auto geschlafen haben."
Es war keine leichte Zeit, als die neuartige Technik noch in den Kinderschuhen steckte. Die Konkurrenz hatte anfangs nur Skepsis und Spott für die Franzosen übrig, vor allem, wenn wieder einmal die Technik versagte.
"Ich bin einmal mit rauchendem Motor in die Box gerollt, Ken Tyrell sah das und krümmte sich regelrecht vor Lachen. ,Gelbe Teekessel‘ nannte Tyrell unsere Autos", erinnert sich Jabouille. "Aber ich habe ihm gesagt, warte nur, eines Tages werde ich der sein, der lacht." Und was hält Jabouille von der modernen Formel 1, die wieder Turbomotoren verwendet?
"Ich denke, dass die Formel 1 von heute zu sehr von der Technik abhängig ist. Es wäre notwendig, dass die Fahrer wieder so wichtig werden, wie es noch zu unserer Zeit der Fall war. Aber der Fortschritt ist natürlich enorm. Damals hatten wir 250 Liter Sprit an Bord, und das hat oft nicht gereicht. Heute haben sie 100 Liter und die Motoren leisten aber 1000 PS. Das ist natürlich fantastisch."
Todesgefahr
Auch punkto Sicherheit habe sich in den letzten Jahrzehnten sehr viel getan. Die aktuelle Situation sei mit den seinerzeitigen Verhältnissen überhaupt nicht mehr vergleichbar. "Ich hatte großes Glück, dass ich noch am Leben bin. Als ich noch Rennen fuhr, sind zwei Fahrer pro Saison tödlich verunglückt."
1980 gewann Jabouille den Großen Preis von Österreich in Zeltweg, verunfallte aber einen Monat später beim Rennen in Kanada schwer. Er zog sich einen komplizierten Bruch des rechten Beins zu, und das war gleichbedeutend mit dem Ende seiner Formel-1-Karriere. "Ich habe Renault schon vorher die ganze Zeit gesagt, dass die Beine hinter die Vorderachse gehören. In Montreal war ich 30 Minuten lang im Wrack eingeklemmt. Aber wenn das Auto Feuer gefangen hätte, wäre ich jetzt tot."
Abgeschaut
Nachdem die anderen Teams das Potenzial der Turbomotoren erkannt hatten, zogen alle nach. Erster Turbo-Weltmeister wurde 1983 der Brasilianer Nelson Piquet in einem Brabham-BMW. Und das fuchst den 76-Jährigen irgendwie immer noch. Warum? "Die haben damals mit dem Sprit geschummelt", sagt er mit ernster Miene.