Lochte: Vom Lausbuben zum Golden Boy
Von Jürgen Preusser
Ryan Lochte, Sohn einer Kubanerin und eines deutschstämmigen Amerikaners aus Canandaigua im Westen des Bundesstaates New York, war ein schlimmer Bub: Immer wieder zwickte er die Mädchen unter Wasser in den Hintern, tauchte aus der Trainingsbahn, versteckte sich und zog die anderen Buben an den Füßen unter Wasser und spritzte die Trainer an. "Er hat mehr Zeit strafweise in der Dusche als im Becken verbracht", erzählt sein Daddy, der lange Zeit auch sein Trainer war.
Heute ist der schlimme Ryan 26, nur ein Jahr jünger als Michael Phelps, und trotzdem im Begriff, dem größten Olympia-Athleten der Geschichte den Rang abzulaufen. Mit leuchtenden Augen stand er am Abend des ersten Olympia-Tages im NBC-Studio, lachte Bob Costas, den Popstar der US-Reporter an und sagte: "Michael ist stolz auf mich!"
Gradmesser
Gold über 400 Meter Lagen – das ist auch ein Triumph über die einstige Disziplinlosigkeit und ein Gradmesser für den Rest der Bewerbe. Es handelt sich um die härteste aller Strecken – von den Sportlern auch "Kotzstrecke" genannt.
Phelps stand nicht neben Lochte auf dem Podium, er war nur Vierter geworden. "Ich habe den sechsten Gang nicht gefunden", sagte er zerknirscht. Nein, er habe nicht am eigenen Denkmal gekratzt, weil ihm die 14 Goldmedaillen – sechs in Athen, acht in Peking – keiner wegnehmen könne.
Selbst jene Experten, die Weltrekorde und Teilstrecken im Kopf haben wie Londoner Bahnbedienstete den Fahrplan, wissen nicht, wie sie die Niederlage von Phelps einschätzen sollen. Ryan schon: "Auf den kurzen Strecken ist er stärker", sagt er. "Er wird noch ein paar Goldene bekommen." Will Lochte auf das Medaillen-Maximum kommen, braucht er auch Phelps-Siege, denn die beiden werden in zwei Staffeln schwimmen.
Doch Phelps ist labil: Mit 19 war ihm wegen Alkohols am Steuer der Führerschein abgenommen worden, worauf er Referate in Schulen halten musste. 2009 tauchte im Internet ein Foto auf, das ihn beim Marihuana-Rauchen zeigte. Er gestand, wurde für drei Monate gesperrt und entschuldigte sich öffentlich wie ein geprügelter Hund – da war er schon 14-facher Olympiasieger.
Drill
Viele glauben, dass Phelps ohne seinen Coach nie geworden wäre, was er ist. Bob Bowman gilt als "drill sergeant", also als militärischer Schleifer. Doch diesmal hat er den Drill übertrieben: Phelps wollte die 400 Meter Lagen nach Peking nie wieder schwimmen, doch Bowman bestand darauf. Die Folgen könnten empfindlich sein, sollte der Superstar die Motivation eingebüßt haben.
Ob dieser Rückschlag des Größten die Chancen von Markus Rogan über 200 Meter erhöht? Unwahrscheinlich. Auch ein schwacher Phelps kann Goldes wert sein. Wichtiger ist da schon, dass der Ungar Laszlo Cseh das Finale verpasst hat: Phelps hatte ihn um sieben Hundertstel besiegt und war gerade noch unter die besten acht gekommen. Andererseits zählen auch die beiden anderen Medaillengewinner über 400 Meter (Pereira aus Brasilien und Hagino aus Japan) zu Rogans Gegnern über 200 Meter.
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