Sport

Bühne frei für die Gladiatoren von Rio

Die Schwimmer verlassen allmählich das olympische Becken, die zweite Woche der Sommerspiele gehört traditionell den Leichtathleten.

Am Freitag beginnen die ersten Wettkämpfe im Olympia-Stadion von Rio de Janeiro. Die ersten Medaillenentscheidungen fallen bei den Frauen über 10.000 Meter und im Kugelstoßen und bei den Männern im Gehen (20 Kilometer). Aus österreichischer Sicht liegt das Hauptaugenmerk an Tag eins auf der Diskus-Qualifikation (Lukas Weißhaidinger) und auf dem Siebenkampf mit Ivona Dadic.

Alles Bisherige in den Schatten gestellt wird aber in der Nacht von Sonntag auf Montag, wenn über 100 Meter der schnellste Mann der Welt ermittelt wird. Gelingt dem jamaikanischen Ausnahmesprinter Usain Bolt zum Abschluss seiner olympischen Karriere das Triple nach Peking und London, oder hat der streitbare Justin Gatlin aus den USA seine Nase vorne? Die beiden Stars sind aber nur zwei von vielen Leichtathleten, auf die es in Rio zu achten gilt.

2008 in Peking: Gold (100 Meter) – Gold (200 Meter) – Gold (4x100 Meter Staffel).

2012 in London: Gold – Gold – Gold.

2016 in Rio?

Usain Bolt ist der schnellste Mann der Welt. Im Jahr 2009 lief er die einhundert Meter in 9,58 Sekunden. Weltrekord.

Der Sprinter reiste ohne absolute Top-Zeit im Gepäck nach Rio, und doch gab er sich wie immer locker und ausgeglichen. Seine Muskelverletzung sei ausgeheilt, und er voll fit für das Duell mit Dauerrivale Justin Gatlin. Sollte Bolt abermals alle drei Medaillen abräumen, würde er mit neun Mal Gold zum finnischen Wunderläufer Paavo Nurmi und zu Carl Lewis aus den USA aufschließen. Die beiden sind (noch) die erfolgreichsten Leichtathleten.

Doch wo viel Erfolg ist, ist auch viel Kritik. Immer wieder wird behauptet, dass es die jamaikanischen Sprinter mit den Doping-Regeln nicht ganz so ernst nehmen. Nachträglich wurde Bolts Staffel-Kollege Nesta Carter des Dopings im Jahr 2008 überführt. Bolt drohte die Aberkennung dieser Medaille.

Wenn das Gespräch auf das Thema Doping fällt, hält sich Bolt vornehm zurück. Dieses mangelnde Engagement kritisiert Diskuswerfer Robert Harting (siehe unten: „Als bekanntester Athlet der Welt müsste man sich doch der aktuellen Diskussionen annehmen und für einen sauberen Sport kämpfen. Dass Bolt sich so raushält, macht doch sehr nachdenklich.“

Erstmals seit fast einem Jahrzehnt heißt der erste Anwärter auf Gold im 100-Meter-Lauf nicht Usain Bolt. Justin Gatlin ist Top-Favorit auf die prestigeträchtigste aller 306 Goldmedaillen der Sommerspiele von Rio de Janeiro.

Der 34-jährige US-Sprinter ist in großartiger Form. Bei den US-Trials lief er die 100 Meter in 9,80 Sekunden – und damit so schnell wie kein anderer Mensch in diesem Jahr. Geht es nach den Leistungen in dieser Olympia-Saison, würde Gatlin Gold zweifellos verdienen.

Dennoch wäre ein Sieg Gatlins eine sportliche Katastrophe und ein Schlag ins Gesicht aller ehrlichen Sportler und aller Dopinggegner. Denn eigentlich haben Athleten wie Justin Gatlin bei Olympischen Spielen nichts (mehr) verloren. Gatlin ist ein mehrmals überführter Doper.

2001 wurde ihm bei den Junior National Championships die Einnahme von Amphetaminen nachgewiesen. Gatlin erklärte das Ergebnis mit der Einnahme von Medikamenten zur Behandlung seines Aufmerksamkeitsdefizits als Kind – und kam mit einem Jahr Sperre davon.

Wiederholungstäter

2006 der nächste Skandal. Testosteron! Als Wiederholungstäter drohte Gatlin eine lebenslange Sperre. Doch er einigte sich mit der US-Anti-Doping-Agentur auf einen Deal: Er sagte als Kronzeuge gegen seinen Trainer Trevor Graham aus – und seine Sperre wurde auf acht Jahre reduziert. In einem weiteren Verfahren erwirkte er die Halbierung auf vier Jahre. Auch sein 100-Meter-Gold aus Athen 2004 durfte er behalten.

Nun ist Justin Gatlin wieder da, und zwar stärker und schneller als je zuvor.

Kritik an einem Start Gatlins kommt sogar aus den eigenen Reihen, aus den USA. „Auch Athleten mit nur einem positiven Dopingtest sollten nicht mehr bei Olympia starten dürfen“, sagte der viermalige Olympiasieger und frühere 200-Meter-Weltrekordler Michael Johnson. Schwimmerin Lilly King holte nach ihrem Olympiasieg über 100 Meter Brust zum Rundumschlag aus: „Es ist bedauernswert, dass wir das hier sehen müssen.“

Justin Gatlin selbst kann die Aufregung um seine Person nicht verstehen, was viel über seine Einstellung zum Thema aussagt. „Ich habe hart gearbeitet, den ganzen Weg von ganz unten, als ich nichts hatte“, sagte er in einem Interview. „Ich habe hart gearbeitet, um dahin zurückzukommen, wo ich jetzt bin.“ In der Poleposition für olympisches Gold.

2,01 Meter groß und 123 Kilogramm schwer – der Titelverteidiger im Diskuswurf nimmt es mit allen auf: Seien es Gegner, IOC-Präsident Thomas Bach (Harting: „Ich schäme mich für ihn“), das Sport-Fördersystem oder Dopingsünder jeder Sportart – der 31-Jährige ist derzeit vielleicht der schillerndste Sportler Deutschlands.

Das erkannte auch die Öffentlichkeit: Zwischen 2012 und 2014 wurde der dreifache Weltmeister jeweils zu Deutschlands Sportler des Jahres gewählt, vor Größen wie dem mehrfachen Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel oder den weltmeisterlichen Fußballern.

Harting eckt an und polarisiert. Bei ihm fliegen nicht nur die Fetzen, wenn er sich im Siegesrausch sein Trikot vom gestählten Leib reißt. „Mir ging es immer um Anschluss, um Anerkennung. Ich habe mit dem sportlichen Erfolg das erzwungen, was ich nicht hatte“, sagt er.

Verschrieben hat sich der Sohn zweier DDR-Leistungssportler dem Kampf gegen Doping und um eine faire Entlohnung für Spitzensportler. Eine von ihm gegründete Sportlotterie, deren Einnahmen ausschließlich für die Förderung der Spitze vorgesehen waren, machte ihm die Sportpolitik zunichte; gegen den korrupten Leichtathletik-Weltverband wetterte der studierte Kommunikationswissenschaftler in einem selbstproduzierten Videoclip; als der mehrfach des Dopings überführte Sprinter Justin Gatlin (siehe oben) als Leichtathlet des Jahres zur Wahl stand, intervenierte Harting so lange, bis der Amerikaner von der Wahlliste gestrichen wurde.

Kompletter Athlet

Am Freitag betritt Harting in der Diskus-Qualifikation die Bühne von Rio. Ob seine Scheibe erneut zu Gold fliegt, ist unklar nach seinem Kreuzbandriss in der Vorbereitung. Bereits 2012 plagten ihn Knieschmerzen, doch er sagte: „Ein kompletter Athlet bist du erst als Olympiasieger. Und wenn ich später im Rollstuhl sitze: Ich will dieses verdammte Gold.“

Mit ihm misst sich auch Lukas Weißhaidinger. Der 24-jährige Oberösterreicher hat bei seiner Olympia-Premiere Chancen auf den Finaleinzug.

22 Jahre jung und schon zum zweiten Mal bei Olympischen Sommerspielen: Der oberösterreichischen Siebenkämpferin Ivona Dadic gehört nicht nur die Zukunft, sondern bereits die Gegenwart.

Am Freitag startet die EM-Bronzemedaillengewinnerin in den ersten Wettkampftag. Zwischen 9.30 Uhr Ortszeit und 22.30 Uhr bestreitet Dadic am Freitag 100 Meter Hürden, den Hochsprung, das Kugelstoßen und den 200-Meter-Sprint. Am Samstag folgen Weitsprung, Speerwurf und die 800 Meter. Ein Monsterprogramm. „Ich glaube, ich bin in einer sehr guten Form. Ich konnte sie halten, und vielleicht ist sie noch ein bisschen besser“, sagt Dadic, für die es der dritte ganz große Wettkampf in kurzer Zeit ist nach dem prestigeträchtigen Götzis-Meeting und der EM.

Die 6408 Punkte von Amsterdam gelten ihr in Rio als Zielmarke. Vier Betreuer kümmern sich bei Olympia um Multitalent Dadic, Chefcoach ist Verbandsvizepräsident Gregor Högler. Im Hochsprung schaut die ehemalige Weltklasse-Athletin Inga Babakowa auf die richtige Technik. Über Ivona Dadic sagt sie: „Sie ist ein Diamant für Österreich und so talentiert. Sie hat das Zeug dazu, eine der Topathletinnen in der Welt werden.“

Eigentlich hatte der Karriere-Plan von Jahvid Best ganz anders ausgesehen. 1989 in Kalifornien geboren, war er auf dem Weg, zu einem der besten Footballer der NFL zu werden. 2010 bis 2012 war er Runningback bei den Detroit Lions, doch 2013 endete der Kindheitstraum tragisch: Nach mehreren Gehirnerschütterungen musste er seine Karriere beenden, die Gesundheit stand auf dem Spiel.

Da erinnerte sich Best an seine Anfänge in der Highschool. Mit 18 Jahren war er die 100 Meter in 10,32 Sekunden gelaufen und wurde kalifornischer Jugendmeister. 2015 fasste er den Entschluss, sich auf die Leichtathletik zu fokussieren.

Am 2. April schaffte er bei einem Meeting in den USA eine Zeit von 10,16 Sekunden, die Normzeit für Rio. Doch für den US-Kader war diese Zeit viel zu langsam. Nicht jedoch für das Team von Saint Lucia, das Geburtsland seines Vaters. „Träume können/ werden sich ändern“, schrieb Best nach seiner Nominierung auf Twitter. „Höre niemals auf, sie zu verfolgen, und vor allem verliere nie den Glauben an dich selbst.“

Als Fahnenträger führte Best das Team von der karibischen Insel an, die 165.000 Einwohner werden am Wochenende hinter ihm stehen. Eine Chance auf Medaillen hat er nicht, möglich ist der Sprung ins Halbfinale. „Schon die Qualifikation ist ein großer Erfolg“, sagte Best. „Aber für mich ist es nur der Anfang: Ich betreibe den Sport erst seit zwei Jahren professionell.“