Leichtathletik erlebt eine kleine Renaissance
Anfang dieser Woche kamen Österreichs Leichtathleten von den Europaspielen aus Aserbaidschan zurück. Mit im Gepäck hatte die 50-köpfige Delegation die Freude über den Aufstieg in die zweite Leistungsklasse der Team-EM. Und jede Menge Speichel. Abgefüllt in Röhrchen, verpackt mit Trockeneis.
Die ungewöhnliche Fracht ist Teil eines Experiments. Das Stresshormon Cortisol, das über den Speichel transportiert wird, soll Aussagen über den Anspannungszustand der Athleten liefern. Die Idee dazu hatte ein aktiver Hammerwerfer im Rahmen seiner Doktorarbeit an der Universität Wien. "Es ist ein Versuch, der nicht viel kostet. Vielleicht bringt es ja etwas. Ich finde das Ganze jedenfalls irrsinnig spannend", sagt Gregor Högler.
Kleines Unternehmen
Der 42-Jährige ist als Cheftrainer für den Bereich Wurf zuständig, erst seit Kurzem ist der ausgebildete Maschinenbauer als Vollzeitkraft im Österreichischen Leichtathletik-Verband (ÖLV) angestellt. Gemeinsam mit seinem Cheftrainer-Kollegen Philipp Unfried (Bereich Sprint) ist Högler dabei, der Elementarsportart Leichtathletik in Österreich wieder Beine zu machen.
"Meine Herangehensweise war und ist: Ich möchte den Verband wie ein Unternehmen führen. Und unser Produkt ist Leistung", sagt Högler. Er kennt dieses Produkt. Vor 16 Jahren landete sein Speer nach 84,03 Metern. Unerreicht in Österreich – bis heute.
Es sind gerade aufregende Zeiten im Klein-Unternehmen Leichtathletik, deren Konkurrenz kaum größer sein könnte. Rund 200 Nationen werden im August an der WM in Peking teilnehmen, mehr als 2000 Leichtathleten werden es kommenden Sommer bei Olympia in Rio sein. Im Vergleich dazu wirken die Zahlen des ÖLV (siehe Grafik) mickrig. "Es ist schwierig genug, Medaillen zu produzieren. Eine ganz andere Geschichte ist dann das Reproduzieren von Medaillen", sagt Philipp Unfried. "Aber auch wir wissen, dass wir am Abschneiden bei Olympia und Weltmeisterschaften gemessen werden. Ein neunter Platz bei einer Hallen-EM ist auch uns im Verband zu wenig."
Kleine Selektion
33 Disziplinen umfasst die Leichtathletik, sie sind weder jung noch das Produkt eines Trends. Dementsprechend ausgereift ist der Sport, und umso weiter der Weg an die Spitze. "Wir wussten, wir können nicht alle Disziplinen fördern. Das würde den Verband ruinieren", erklärt Högler. Vor dem Ruin wurde daher analysiert. Potenzial sahen die Verantwortlichen im Mehrkampf – getreu dem Motto: sieben (Frauen) beziehungsweise zehn (Männer) Disziplinen auf einen Streich.
Der Plan scheint aufzugehen. Ivona Dadic, 2012 in London mit 18 Jahren bereits Olympia-Starterin, hat erst diese Woche beim Comeback-Wettkampf nach Verletzungspause auf Anhieb das Limit für die U-23-EM in Estland (ab 9. Juli) erbracht.
Bei den Unter-18-Jährigen ist Österreich derzeit ohnehin eine Klasse für sich: In der Mehrkampf-Rangliste sind drei Österreicher unter den Top 5. Vor wenigen Wochen gelang der 15-jährigen Sarah Lagger ein U-18-Weltrekord. Entdeckt wurde die Kärntnerin in der Schule von Jedermann-Zehnkampf-Erfinder Georg Werthner. "Das ist so eine Insel, wo auch abseits der Verbandsstrukturen hervorragend gearbeitet wird", sagt Högler, "wir müssen nur noch genauer hinsehen und erkennen lernen."
Kleine Trainingshalle
Längst erkannt wurde die Hallen-Problematik – und bereits gelöst. In der Südstadt wird derzeit für vergleichsweise wenig Geld zwischen zwei Fußballfeldern eine Halle mit sechs Laufbahnen gebaut. Im November soll eröffnet werden. "Von der Idee bis zur Umsetzung dauerte es gerade einmal ein Jahr", sagt Högler stolz.
Da blieb ausnahmsweise auch ihm die Spucke weg.