Goldjunge Marcel Hirscher
Ohrenbetäubender Jubel, wildestes Fahnengeschwenke und knapp eine Minute Ausnahmezustand: Um 14.23 Uhr
Akrobatisch, wie man es vom ihm gewohnt ist, turnte der 23-jährige Salzburger zwischen den Slalom-Stangen und stellte nicht nur die Nerven seiner Fans auf die Probe, sondern auch die Stahlrohrtribüne, auf der seine 40.000 rot-weiß-roten Sportfreunde wild auf und ab sprangen.
Erleichterung
"Es war richtig schwer, ich habe oben alles mitbekommen", sagte Hirscher, nachdem er seine Emotionen wieder im Griff hatte. "Fragt mich in einer halben Stunde, was in mir vorgeht." Österreichs WM-Held wirkte plötzlich nachdenklich, vielleicht auch ein wenig müde von der Anspannung, die den Salzburger in den letzten Tagen begleitet hatte.
Umso erleichterter schien der Mann mit der berühmten grünen Haube dann wenige Momente später auf dem Siegespodest. Mit zerzauster Frisur und ergriffenem Lächeln lauschte der Weltmeister, als Zigtausende für ihn die österreichische Hymne sangen.
Mr. Zuverlässig
Marcel Hirscher ist ein Mann für die wichtigen Momente. Für die Rennen, in denen es um alles oder nichts geht. Das hatte der 23-Jährige vor einem Jahr bewiesen, als er nach der großen Einfädel-Debatte beim Nightrace in Schladming siegte; das hatte er auch beim Saisonfinale unter Beweis gestellt, als es für den Gesamtweltcupsieger um den „depperten Glasbecher“ ging; und das zeigte Österreichs verlässlichster Skirennläufer im letzten Rennen der WM. Mit Bravour.
Österreichs Sportler des Jahres 2012 hatte am Sonntag nur ein Motto: „Besser ausfallen als Vierter werden.“ Dabei war die Anspannung vor dem großen Showdown auch an Mister Cool nicht spurlos vorüber gegangen. „Ich war die letzten 14 Tage on fire“, gestand der 23-Jährige, der schon Team-Gold und Silber im Riesentorlauf gewonnen hatte. „Wenn ich jetzt einen Fehler mache, dann bringen die mich um“, erzählte Hirscher über seine Gedanken vor dem Rennen. „Aber dann habe ich mir gedacht, ich kann eh’ nur so schnell fahren, wie es geht. Und das hab’ ich dann auch versucht.“
Mit Erfolg.
Der Tiroler holte nach vielen Höhen und Tiefen im letzten WM-Bewerb wieder eine Medaille. Zufrieden blickt Mario Matt in die Runde. Auf Marcel Hirscher, der neben ihm im Schnee kniet. Auf Felix Neureuther, der den Freund und Slalom-Weltmeister herzt – und auf das Publikum, das auf den Tribünen tobt.
Der 14-fache Weltcupsieger weiß über Höhen und Tiefen des Skisports Bescheid. Immer wieder kämpfte der Doppelweltmeister von 2007 (Slalom und Teambewerb) mit der Materialabstimmung, immer wieder machte dem groß gewachsenen Flirscher (1,90 Meter) auch der Rücken zu schaffen. Im Dezember 2010 musste er mit einer Nummer jenseits der 50 die Rennen bestreiten. "Da war ich sehr nahe am Aufhören dran", erzählt Matt, der seinen letzten Weltcupsieg im März 2011 in Kranjska Gora errungen hat, nachdem er kurz zuvor im WM-Slalom von Garmisch-Partenkirchen Vierter geworden war.
"Jetzt bin ich froh, dass ich weitergemacht habe", sagte der Bronzemedaillengewinner, der nun also auch von seinen zweiten Heim-Weltmeisterschaften mit einer Medaille nach Hause reist.
Vielleicht ist ihm das auch deshalb gelungen, weil er den Bewerb als "Rennen wie jedes andere" in Angriff genommen hat.
Wie geschmiert
Wie lange Mario Matt dem Ski-Zirkus noch erhalten bleiben wird, das lässt sich der Slalom-Dritte an diesem Sonntagnachmittag offen. "Ich möchte nicht nur fahren, um dabei zu sein. Wenn, dann will ich vorne mitfahren", sagte der Tiroler, der seit nunmehr zwei Jahren sein eigener Kopfsponsor ist – "Krazy Kanguruh" heißt sein Après-Ski-Lokal in St. Anton, dessen Logo Matts Helm ziert.
Die Entscheidung über eine weitere (olympische) Saison will der Medaillengewinner von Schladming aber erst nach dem letzten Rennen dieses Winters fällen. "Ich will erst die Saison gut zu Ende bringen und dann entscheiden, was passiert."
Am 20. Februar 2011 war Felix Neureuther so richtig niedergeschlagen. Nach Platz vier bei der WM in Val d’Isère zwei Jahre zuvor sollte der Partenkirchner am heimischen Gudiberg endlich das ersehnte Gold oder zumindest die ersehnte Medaille für die deutschen Herren holen.
Geworden ist es nichts – außer einer riesigen Enttäuschung. Schon im ersten Lauf war der mediale und persönliche Druck zu groß für den 26-Jährigen, er verbremste sich auf Platz 22 und schied im zweiten Lauf aus.
"Das war heute an der absoluten Schmerzgrenze", sagte Felix Neureuther, "es ist gewaltig, da sind die Emotionen nur so hochgekommen." Und auch das eine oder andere Tränlein drängte hinauf angesichts des Riesenerfolgs vor der Riesenkulisse an der Planai.
Dass es nicht zum Sieg über seinen Kumpel Marcel Hirscher ("er hat es wieder einmal sehr gut gemacht und verdient gewonnen") reichte, das konnte den verhinderten Partyschreck aus Bayern freilich nicht verdrießen: "Die Revanche für Cordoba ist mir nicht ganz gelungen, aber nahezu. Beim nächsten Mal wird er es dann wieder schwerer haben."