Der "Schulden-Werner"
Es ist nicht gut gelaufen in letzter Zeit für den SK Rapid. Insgesamt neun Spiele in Folge blieben die Rapidler im heurigen Frühjahr sieglos, das ist eine inakzeptable Bilanz für den österreichischen Rekordmeister. Die Fans streikten, sie schrien, sie schwiegen, sie veranstalteten eine lautstarke Demonstration vor dem Stadion, sie forderten den Rücktritt des Vorstands und sie schossen sich vor allem auf eine Person ein: Rapids „General Manager“ Werner Kuhn.
Im Stadion wurden Flugzettel verteilt, die Kuhns kaufmännische Unfähigkeit anprangerten. Die Kurve schrie „Kuhn raus!“, die zornigen jungen Männer auf den Hintertor-Tribünen streckten die Mittelfinger in die Höhe, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. In ihren Gesängen nannten sie Kuhn den „Schulden-Werner“ und fragten spöttisch: „Schläfst du noch? Hast du nicht Termine? Uns fehlt Geld.“ Es nützte alles nichts, Kuhn überstand die Proteste. Die neue Fußballsaison steht vor der Tür, Kuhn bleibt wohl zumindest bis zur Rapid-Hauptversammlung im Herbst Manager.
Werner Kuhn ist ein freundlicher älterer Herr mit Grübchen in den Wangen, randloser Brille und etwas aus der Mode gekommener Büroarbeiter-Frisur. Er trägt auch bei größter Sommerhitze Anzug, immerhin verzichtet er auf eine Krawatte. Am Revers prangt das Logo des Rapid-Sponsors „Wien Energie“. Er sagt: „Die Unzufriedenheit wird an meiner Person festgemacht. Aber die Leute können mich nicht beurteilen, weil sie meine Arbeit nicht kennen.“ Er rechnet vor, dass Rapid nach Red Bull Salzburg über das zweithöchste Budget in Österreich verfüge, zu dem die Sponsoren insgesamt acht Millionen Euro beitrügen. „Das ist in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich“, meint er. Seit neunzehn Jahren ist Kuhn Rapids General Manager. In dieser Zeit sei Rapid von einem gewöhnlichen Verein zu einem mittelständischen Unternehmen geworden, inklusive Tochterfirmen, „eine richtige Holding“, sagt Kuhn. Das sei den meisten Leuten, die ihn kritisierten, gar nicht bekannt.
Kein Geld, viele Probleme
Warum wurde ausgerechnet dieser Mann, ein farbloser Verwalter, zum Feindbild der Fans, als Rapid in die Krise schlitterte? „Mir ist das selbst eigentlich unerklärlich“, sagt Stefan Singer, Obmann des Rapid-Fanklubs „Flo Town Boys“. Vermutlich liegt es daran, dass in der Entwicklung des Klubs zwei Dinge zu beobachten sind: Einerseits boomte der SK Rapid in den Jahren vor der sportlichen Krise, die Zuschauerzahlen stiegen, das Stadion war voll, verdiente Spieler wie Andreas Ivanschitz, Ümit Korkmaz oder Nikica Jelavic wurden zu lukrativen Konditionen verkauft, nach dem Abgang der Stars wurde aber nur zweitklassiger Ersatz verpflichtet. Andererseits ist Rapid seit Jahrzehnten notorisch pleite, die Stadionsanierung bleibt wegen Geldmangels ein ewiges Projekt. Im Geschäftsjahr 2011/12 wurde ein Verlust von 3,3 Millionen Euro erwirtschaftet. Für Sponsorensuche, für das Budget, für das Wirtschaftliche im Allgemeinen, für all das ist Kuhn letztverantwortlich.
„Man hat gehört, dass er Sponsoren vergrault hätte, solche Gerüchte gab es immer wieder, und so wurde er zum Schuldigen für die schlechte Finanzlage gemacht. Das wurde zur Lawine“, sagt Stefan Singer. Auf Kuhns Verhältnis zu Geldgebern bezieht sich der Großteil der Kritik. Er solle potenzielle Sponsoren vergraulen, heißt es, indem er Termine verschwitze oder Interessenten nicht zurückrufe. Auch aktuelle Sponsoren wären unzufrieden mit seiner Arbeit. All das sind Gerüchte, die sich nicht bestätigen lassen. „Von Unzufriedenheit kann keine Rede sein. Das Verhältnis zu Werner Kuhn und dem SK Rapid ist sehr partnerschaftlich“, heißt es dazu vom Rapid-„Premiumpartner“ Erste Bank. Aber es ist klar, dass ein aktueller Sponsor den Verein nicht anpatzt.
Rapid und die Sponsoren, das war immer schon so eine Sache. Auf der einen Seite ist der SK Rapid mit Abstand der populärste Fußballklub Österreichs, auf der anderen Seite schafft er es einfach nicht, dauerhaft finanzstarke Partner an Land zu ziehen. Werner Kuhn wird Erfolglosigkeit bei der Sponsorensuche vorgeworfen, doch das Problem ist älter als er. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass Kuhn im Sommer 1994, als er in „Wienerwald“ und „Avanti“ seine ersten beiden größeren Sponsoren an Land zog, in den Medien mit den Worten „Das Eis ist gebrochen“ zitiert wurde. Davor waren die Rapid-Kicker monatelang gänzlich ohne Sponsorenaufdruck auf den Dressen eingelaufen.
Verdienstvoll, aber fehleranfällig
Im Mai desselben Jahres war Kuhn stolz, den vermeintlichen Retter gefunden zu haben. Werner Koppel, vorgeblich Präsident einer Firma namens „Jasmin Raw Materials Ltd.“, habe gemeinsam mit dem Rapid-Manager eine Vereinbarung über Zuschüsse in der Höhe von 20 Millionen Euro unterschrieben. Doch der Geldregen blieb aus – der bereits einschlägig vorbestrafte vermeintliche Gönner stand einige Monate später vor Gericht und wurde wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Spricht man mit Menschen, die Werner Kuhn kennen, dann wird er zumeist als „eh nett“, „verdienstvoll“, aber auch als „überfordert“, „Manager der alten Schule“ im negativen Sinn und „auf den eigenen Vorteil bedacht“ beschrieben. „Werner Kuhn ist einer, der unglaublich emsig und fleißig rund um die Uhr arbeitet“, sagt Günter Kaltenbrunner. Kaltenbrunner war Mitte der 90er-Jahre Rapid-Präsident und sanierte gemeinsam mit Kuhn den durch das Desaster „Rapid-Aktie“ in Trümmern liegenden Verein. „Vielleicht ist es gerade diese Emsigkeit, die ihn angreifbar macht. Werner Kuhn halst sich sehr viel Arbeit auf und kommt mit dieser manchmal nicht mehr zurande. Dadurch leidet die Effektivität. Aber in der jetzigen Krise vergisst man auch die zahlreichen Erfolge, die in den vielen Jahren gefeiert wurden“, sagt Kaltenbrunner.
Werner Kuhn wird vorgeworfen, dass hinter seinem Handeln keine Philosophie erkennbar sei, dass er ausgebrannt sei und sich dennoch mit aller Macht an seinen Job klammere. „Wir haben sehr wohl eine Philosophie, wir sprechen nur nicht darüber“, sagt er. Warum ist die Strategie geheim? Diese Frage lässt er unbeantwortet, viele andere auch. Von Rapid-Mitgliederversammlungen wird berichtet, dass Kuhn auf Fragen zu seiner Arbeit nicht sinnvoll antworte. „Er spricht in Marketing-Vokabeln, bei Nachfragen übernehmen dann oft Edlinger oder andere Leute am Podium“, sagt ein Rapid-Mitglied, das anonym bleiben will.
Kuhn beschwert sich, dass viele Kritiker über seine Arbeit gar nicht urteilen könnten, da sie keinen Einblick hätten. Jedoch scheint er auch gar kein Interesse daran zu zeigen, sein Wirken möglichst transparent darzustellen. Da nichts an die Öffentlichkeit dringt, was nicht offengelegt werden muss, werden in Rapid-Kreisen abenteuerliche Geschichten über ihn erzählt, das Informations-Vakuum wird mit Spekulationen und Gerüchten gefüllt. „Werner Kuhn ist in etwas hineingeraten, das ihm nach fast zwanzig Jahren zu Kopf gestiegen ist“, sagt ein ehemaliger Rapid-Mitarbeiter. „Er ist in all der Zeit sehr mächtig geworden, er kennt jedes schmutzige Geheimnis in diesem Verein.“ Deswegen stehe auch Vereinspräsident Rudolf Edlinger immer noch zum in die Schusslinie geratenen Manager, und deshalb versuche Kuhn mit allen Mitteln, einen Vereins-Präsidenten einzusetzen, der ihn weiterarbeiten lasse. Ihm spielt nun in die Hände, dass Casinos-Vorstand Dietmar Hoscher doch nicht als Rapid-Präsident zur Verfügung steht. Hoscher war offen für eine „Reform“ der Vereinsstruktur eingetreten.
Wenn man Kuhn auf seine Zukunft als Rapid-Manager anspricht, erntet man einen müden Blick. Nach einer kurzen Nachdenkpause rafft er sich dazu auf, zu sagen, dass er „weiter zur Verfügung“ stünde, aber über sein Schicksal hätten der neue Rapid-Präsident und die Ordentliche Hauptversammlung zu befinden. Diese ist für November anberaumt.