Sport/Fußball

"Schreckliche Nacht": Entsetzen nach Rassismus-Vorfällen in Sofia

Die rassistischen Vorfälle beim EM-Qualifikationsspiel der Engländer in Bulgarien (6:0) haben für Entsetzen gesorgt. Greg Clarke, der Vorsitzender des Verbandes FA, nannte das Geschehen „eine der schrecklichsten Nächte, die ich je im Fußball gesehen habe.“ Umgehend forderte die FA Untersuchungen durch die europäische Fußball-Union UEFA.

Coach Gareth Southgate zeigte sich trotz des klaren Sieges nach dem Match in Sofia betroffen. „Wir wissen, dass dies eine inakzeptable Situation ist, aber ich denke, wir haben es geschafft, zwei Aussagen zu treffen: Indem wir das Spiel gewonnen haben, aber auch indem wir alle auf die Situation aufmerksam gemacht haben, als das Spiel zweimal gestoppt wurde.“

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Affenlaute

Das Spiel war in der ersten Halbzeit zweimal wegen rassistischer Äußerungen von bulgarischen Fans unterbrochen worden, mehrfach wurde von einheimischen Zuschauern auf der Tribüne der Hitlergruß gezeigt. Vor allen Debütant Tyrone Mings hatte sich bei seinem Länderspiel-Debüt mehrfach beim kroatischen Schiedsrichter Ivan Bebek beschwert, dass sein Teamgefährte Rahim Steerling bei jeder Ballberührung mit Affenlauten von der Tribüne diskreditiert wurde.

Die Beleidigungen waren „ziemlich klar auf dem Platz zu hören, aber wir zeigten eine großartige Reaktion und ein großes Miteinander, und letztendlich haben wir den Fußball sprechen lassen“, sagte Mings.

Warnung

Der Stadionsprecher warnte nach Aufforderung durch den Referee vor dem Abbruch der Partie. „Die unglücklichen Vorfälle im Spiel wurden so gut wie möglich behandelt und wir sind stolz darauf, wie wir damit umgegangen sind“, twitterte der 26-jährige Mings von Aston Villa. „Wir alle haben die Entscheidung getroffen. Wir sind glücklich, das wir auf das Spielfeld zurückgekehrt sind“, schilderte er.

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Meiste Bulgaren bekamen nichts mit

Sterling schrieb auf Twitter, er habe Mitleid mit Bulgarien, "von solchen Idioten im Stadion repräsentiert zu werden". Marcus Rashford erinnerte an Bulgariens Kapitän Iwelin Popow, der in der Pause auf dem Spielfeld blieb und das Gespräch mit den Fans suchte. Dem gegenüber stand allerdings, dass viele bulgarische Akteure angaben, von rassistischen Bemerkungen nichts mitbekommen zu haben.

"Die Zuschauer haben sich benommen, ich habe keine Beschimpfungen gehört", meinte Torhüter Plamen Iljew. Teamchef Krassimir Balakow sprach von einem "sehr heiklen Thema". Es sei sehr ungewöhnlich, wie Rassismus im Fußball interpretiert werde. "Ich habe absolut nichts gehört", meinte der ehemalige Weltklasse-Spieler Balakow weiter. Im Gegenteil hätten sich englische Fans ungebührend gegen bulgarische verhalten. "Ich habe in der zweite Halbzeit Wörter gehört, die ich unakzeptabel finde."

Regierung greift durch

Die bulgarische Regierung sah dies offenbar anders. Sie forderte am Dienstag den Rücktritt des Präsidenten des bulgarischen Fußballverbandes, Borislaw Michailow. Bis Michailows Rücktritt wolle die Regierung die Beziehungen zum Fußballverband aussetzen - auch die finanziellen Zuwendungen sollen eingestellt werden, sagte Sportminister Krassen Kralew. Eine Rücktrittsforderung an Michailow kam direkt von Regierungschef Boiko Borissow, der als leidenschaftlicher Fußball-Fan gilt. "Es ist unakzeptabel für Bulgarien, das eines der tolerantesten Länder der Welt ist, mit Rassismus und Xenophobie in Zusammenhang gebracht zu werden", schrieb Borissow in einem Statement.

Michailo reichte noch am Dienstag seinen Rücktritt ein, der den Mitgliedern des Exekutivkomitees bei einer Tagung am Freitag vorgelegt werden soll. Das teilte der bulgarische Fußballverband am Dienstag auf seiner Internetseite mit.

Die Partie gegen England war bereits vor teilweise leeren Rängen ausgetragen worden, weil bulgarische Fans schon in den Spielen gegen Tschechien und den Kosovo im Juni durch rassistische Äußerungen negativ aufgefallen waren.

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Auch der britische Premierminister Boris Johnson meldete sich zu Wort. "Der abscheuliche Rassismus, den wir letzte Nacht gesehen und gehört haben, hat keinen Platz im Fußball oder anderswo", schrieb Johnson am Dienstag auf Twitter und forderte: "Wir brauchen eine schnelle Reaktion der UEFA." Bereits am Montagabend hatte Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei seine Solidarität mit den England-Spielern erklärt, die "entsetzlichem Rassismus“ erlebt hätten. "Die UEFA muss deutlich mehr tun, um diese Art von Beschimpfungen zu bekämpfen", forderte Corbyn.

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Internationale Pressestimmen zu den Vorfällen in Sofia und Paris: 

ENGLAND

The Guardian: „Willkommen in der neuen Welt. Wir haben ein Fußballspiel erwartet. Was wir bekommen haben, war ein miserables Ereignis in einer miserablen Nacht in einem miserablen Stadion (...) vor einem miserablen Hintergrund von Beschuldigungen und bösem Blut. Am Ende hat sich das kein bisschen wie ein Sportereignis angefühlt. Es fühlte sich an wie eine offene Wunde, ein Angriff auf die grundlegende Idee von Nationen, die zusammenkommen.“

Daily Mirror: „Das Traurige daran ist, dass niemand sich an den Fußball erinnern wird. Niemand wird sich an den klaren Sieg erinnern, Ross Barkleys Auftritt als bester Mann des Spiels, Marcus Rashfords fantastischen Treffer oder Raheem Sterlings genialen Doppeltreffer. Alle werden sich an eine Nacht erinnern, die eine Schande für den Fußball war.“

The Sun: „Eine Umgebung wie diese, eine giftige Mischung aus schändlichen und beschämenden Beschimpfungen und Gesängen, ist nicht das, woran man sich bei einem Fußballspiel erinnern sollte. So sieht die Zukunft für den Sport in vielen Austragungsorten aus - mit Unterbrechungen, Verzögerungen und Beobachtern im Publikum, die die vierten Offiziellen informieren.“

Telegraph: England hat Bulgarien mit drei Punkten, sechs Toren und einer deutlich gezogenen Linie verlassen. Diese Qualifikation für die Euro 2020 muss ein Wendepunkt sein, ein entscheidender Moment, in dem dieser “abscheuliche rassistische Missbrauch„, wie ihn der Fußballverband in seiner Erklärung sofort und unmissverständlich genannt und eine Untersuchung der UEFA gefordert hat, aufhören muss.“

The Independent: „Es war ein Abend mit hässlichen, beispiellosen Szenen in Sofia, der so viele aktuelle Probleme im Fußball und in der Gesellschaft zur Schau gestellte hat, der sich jedoch als Meilenstein für die Zukunft erweisen könnte.“

BBC Sport: „Man kann nur erwarten, dass dem bulgarischen Verband (BFU) die schwerwiegendsten Sanktionen drohen, nachdem ein weiterer schwerwiegender Vorfall von Rassismus ein Euro-2020-Spiel überschattet hat. (...) Es ist nun an der Uefa zu handeln, sobald der Bericht des Schiedsrichters und der Beobachter vorliegt.“

SPANIEN

Marca: „Das Beste für England war der Sieg, der die Niederlage gegen Tschechien am Freitag korrigiert hat. Die Manschaft von (Gareth) Southgate kann trotz der vergeblichen rassistischen Versuche eines Teils des Publikums lächeln.“

El Mundo: „Aus irgendeinem Grund war die Uefa der Ansicht, dass die Schließung von Teilen des Vasil-Levski-Nationalstadions in Sofia für zwei Spiele wegen rassistischer Parolen der bulgarischen Fans gegen Tschechien genug Strafe sei. Und dass das Platzieren einiger Plakate mit dem Motto “Respekt„ verhindern würde, dass es sich wiederholt. “Überraschenderweise„ hat es nicht funktioniert und England hat Bulgarien unter rassistischen Gesängen 0:6 besiegt.“

ITALIEN

La Stampa: „Sie haben es wieder getan, aber in Paris und ins Gesicht Europas ist das - nach allem, was geschehen ist - schlimmer als eine Kriegserklärung. Die türkischen Spieler haben erneut mit dem militärischen Gruß gejubelt, gestern Abend beim 1:1 von Kaan gegen Weltmeister Frankreich, zur Freude der 30 000 in Saint-Denis anwesenden Fans und zur Zufriedenheit Erdogans. Der Sultan-Präsident hat die Unterstützung des türkischen Sports erbeten, wie einen patriotischen Spot, nachdem er in Syrien einmarschiert war, und der Kraftprobe seiner Fußballspieler dürfte ihn erfreut haben.“

La Repubblica: „Die (türkische) Frage hat auch den italienischen Fußball ins Herz getroffen. Die Fans der Roma (AS Rom) haben einen ihrer Spieler, Cengiz Ünder, gesehen, wie er denselben militärischen Gruß über die sozialen Medien verbreitete, aber im gelb-roten Trikot. Ein Geschrei, in das die Roma nicht einstimmen wollte oder konnte, um nicht noch die Spannungen anzuheizen mit Blick auf das Auswärtsspiel der Mannschaft in Istanbul Ende November, gegen Basaksehir, die Präsident Erdogan nahe stehende Mannschaft. Gleiche Rede bei der Juve, die es vorgezogen hat, einen Post des Verteidigers Merih Demiral zur Unterstützung des Angriffs auf die Kurden zu ignorieren. Der einige europäische Club, der da anders reagiert, ist St. Pauli.“