Sport/Fußball

Wenn der Fußball im Pulverfass rollt

Es ist das Fußballspiel, das gewöhnlich das ganze Land bewegt: Hauptstadt gegen Industriemetropole. Traditionsverein gegen Oligarchen- Klub. Amtierender Cupsieger gegen amtierender Meister. Doch wenn sich heute Dynamo Kiew und Schachtar Donezk im Supercup gegenüberstehen, dann verkommt das Duell der Erzrivalen in der Ukraine zur unwichtigsten Nebensache der Welt.

Wer kann sich schon auf ein Fußballmatch freuen, wenn in Teilen des Landes Bürgerkrieg herrscht und jeden Tag neue Tote zu beklagen sind? Wer will schon über den Sport sprechen, wenn es im ganzen Land nur ein Thema gibt? "In der Kabine ist in den letzten Wochen sehr oft über die aktuelle Situation im Land gesprochen worden", berichtet Aleksandar Dragovic. Für den Teamverteidiger im Trikot von Dynamo Kiew beginnt heute mit dem Supercup, der wegen der brisanten Lage in Lwiw ausgetragen wird, offiziell die neue Saison. Aber welche Saison eigentlich?

Dem Gegner Schachtar Donezk kommen mittlerweile bereits die Spieler abhanden. Nach dem letzten Testspiel des ukrainischen Meisters in Frankreich gegen Lyon verweigerten fünf Profis den Rückflug in die Krisenregion. Alex Teixeira, Fred, Douglas Costa und Dentinho (alle Brasilien) sowie Facundo Ferreyra (Argentinien) wollen vorerst keinen Fuß mehr in die Ukraine setzen.

Eine verständliche Reaktion, für die aber Schachtar-Präsident Rinat Achmetow überhaupt kein Verständnis hat. "Falls sie nicht kommen, denke ich, werden sie zuerst leiden", warnte der Oligarch Rinat Achmetow die Profis und kündigte Kompensationszahlungen in Millionenhöhe an.

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Andere haben schon früher das Weite gesucht. Der spanische Coach Juande Ramos, der Dnipro Dnipropetrowsk auf den zweiten Rang geführt hatte, schlug ein lukratives Angebot aus und verließ schon nach Ende der letzten Saison im Mai freiwillig das Land. Angesichts der schwierigen politischen Lage könne und wolle er nicht mehr in der Ukraine arbeiten.

Der Argentinier Sebastian Blanco sagte: "Nach dem Absturz des malaysischen Flugzeugs sehe ich keinen Anlass, in die Ukraine zu fliegen. Ich werde vorerst in Buenos Aires bleiben." Er flog nicht zu seinem Klub Metalist nach Charkiw.

Unbedenklich

Der FC Kopenhagen jedoch muss nach Dnipropetrowsk reisen, zum Hinspiel der dritten Champions-League-Qualifikationsrunde Ende Juli. Die Dänen hatten die UEFA nach der Auslosung gebeten, die Sicherheitslage und die Reisemöglichkeiten zu prüfen. Die UEFA erteilte Dnjepropetrowsk ein Unbedenklichkeitszertifikat. Das war bei Israel nicht der Fall: Bis auf Weiteres hat die Dringlichkeitskommission der UEFA wegen des Gaza-Konflikts Europacupspiele in Isreal untersagt. Dienstag und Donnerstag spielen daher drei israelische Klubs in der Qualifikation für Champions und Europa League in Larnaca auf Zypern.

Bedenken hat die UEFA auch bei Partien zwischen Klubs aus der Ukraine und Russland: Bei der Auslosung wurde vermieden, das Dnipropetrowsk und Zenit St. Petersburg aufeinandertreffen.

Der blutige Konflikt in der Ukraine hat nach Aussage von Russlands Sportminister Witali Mutko keine Auswirkungen auf die Vorbereitungen zur Weltmeisterschaft 2018. "Ich kann diesbezüglich keinen Zusammenhang sehen. Das sind unterschiedliche Dinge."

Allerdings mehrt sich die Kritik an den Russen.

Der ehemalige niederländische Nationalspieler John van ’t Schip – jetzt Trainer in Melbourne – twitterte nach dem Flugzeugabsturz: "Aufruf an KNVB, niederländische Regierung und FIFA, um die WM 2018 in Russland zu boykottieren!" Von den 298 Opfern der Katastrophe waren 193 Niederländer und 27 Australier. Der Aufruf des ehemaligen Fußball-Profis, der 1988 Europameister wurde, bekam im Internet viel Beifall. In Deutschland sagte CDU-Sportpolitiker Frank Steffel: "Die FIFA muss Putin klar machen, dass die Einhaltung des Völkerrechts die Voraussetzung für eine Fußball-Weltmeisterschaft in Russland ist. Wenn sich Putin nicht ans Völkerrecht hält, sollte die WM in einem anderen Land stattfinden."

Anfang März löste Markus Berger seinen Vertrag bei Odessa auf und flüchtete mit der Familie im Auto aus der Krisenregion. Mitte Juni unterschrieb der 29-jährige Innenverteidiger beim russischen Erstligisten FK Ural aus Jekaterinburg. Im KURIER-Interview vor einem Trainingscamp in Moskau spricht der Salzburger über ...

... die Situation des ukrainischen Fußballs "Neben den prominenten Legionären, die nicht zurückkommen wollen, gibt es auch viele im Westen nicht so bekannte Spieler, die aus der Liga flüchten. Wir haben jetzt auch noch einen guten Ukrainer verpflichtet."

... das Verständnis für die Angst der Legionäre "Bei mir lag bei Ausbruch der Krise der Fokus bei der Sicherheit der Familie. Deswegen hab’ ich sofort um eine Vertragsauflösung angesucht. Wenn ein Verein wie Donezk 25 Millionen Euro Ablöse für den brasilianischen Teamspieler Bernard ausgibt, kann ich aber auch verstehen, dass ihn die Klubführung nicht so leicht gehen lässt wie Odessa damals mich."

... den Start der ukrainischen Liga am Freitag "Die nächsten Wochen werden entscheiden, ob eine ‚normale‘ Meisterschaft möglich ist. Wird es etwa Heimspiele in Donezk geben? Derzeit kann ich mir das kaum vorstellen. Es weiß ja auch keiner, wie es mit den beiden Erstliga-Vereinen auf der Krim weitergeht."

... die Berichterstattung in Odessa und aktuell in Jekaterinburg "Da wie dort ist die Ukraine-Krise rund um die Uhr in den Medien. Man spürt natürlich auch in der Berichterstattung die Front, die hier verläuft. Ich haben beide Seiten kennengelernt und maße mir nicht an, zu behaupten, was stimmt und was nicht."

Seit drei Tagen befindet sich Aleksandar Dragovic wieder in der Ukraine. Und der österreichische Teamverteidiger würde lügen, wenn er nicht mit einem mulmigen Gefühl aus dem einmonatigen Trainingscamp in Seefeld zurück nach Kiew geflogen wäre. Innerhalb der Mannschaft wird viel über die brisante Lage im Land gesprochen, nicht erst seit dem Abschuss der Passagiermaschine in der vergangenen Woche. "Als Spieler versuchst du dich natürlich auf deine Arbeit zu konzentrieren, dafür werden wir ja auch bezahlt. Aber das ist uns allen zuletzt immer schwerer gefallen", berichtet Dragovic.

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew bekommt der Österreicher von der Krisenstimmung im Land derzeit allerdings nur wenig mit. "Hier geht alles seinen normalen Lauf", berichtet der 23-Jährige.Das war vor wenigen Monaten noch anders, als in Kiew die Menschen zu Tausenden auf die Straße gegangen waren und das Zentrum hermetisch abgeriegelt worden war. "Ich habe im Frühjahr den großen Teil der Freizeit daheim verbracht und die Innenstadt gemieden", erzählt Dragovic. "Aber es hat in der ganzen Zeit nie einen Moment gegeben, in dem ich persönlich Angst oder Sorge gehabt hätte. Der Klub hat sich aber auch immer sehr gut um uns und unsere Sicherheit gekümmert."

Eine große Ungewissheit bleibt freilich. Denn keiner weiß, wie es in der Ukraine weitergeht und ob die Meisterschaft überhaupt plangemäß durchgeführt werden kann. Trotzdem ist Dragovic, der bei Dynamo noch einen Vertrag bis 2018 hat, davon überzeugt, dass es der richtige Schritt war, in die Ukraine zu wechseln. "Ich war noch nie einer, der den einfachsten Weg gegangen ist."

Der Brasilianer Douglas Costa sieht das Leben der Profis bei Schachtar Donezk in der Ukraine in Gefahr. Die Spieler gingen "ein tödliches Risiko ein, falls sie in der Region sind", teilte Costa mit. Er und seine Landsleute Alex Teixeira, Fred, Dentinho, Ismaily und der Argentinier Facundo Ferreyra hatten am Samstag nach einem Spiel in Frankreich den Rückflug nach Donezk verweigert.

Man wolle den Verein nicht wechseln, aber während des Ukraine-Konflikts anderswo trainieren, sagte Costa.

FC Kopenhagen vor Spiel besorgt

Der dänische Fußball-Verband (DBU) unterstützt indessen den FC Kopenhagen bei seinem Bemühen, das Qualifikationsspiel zur Champions League gegen Dnjepr Dnjeprpetrowsk am 29. Juli aus der Ukraine an einen neutralen Ort zu verlegen. DBU-Präsident Jesper Möller zeigte sich überrascht, dass die UEFA das Match weiterhin wie geplant ansetzt. "Wir sind sehr besorgt, dass die UEFA ein dänisches Klub-Team in ein Land, eine Region schickt, wo überhaupt nur wenige Fluglinien hinfliegen und das unser Außenministerium als unsicher bezeichnet", sagte Möller.