Sport/Fußball

"Piefke höre ich heut’ gar nicht mehr"

Immer wieder, immer wieder, immer wieder Österreich ... gegen Deutschland. Die beiden Nachbarn eint nicht nur eine lange Tradition emotionaler sportlicher Duelle, sondern auch eine tiefe Rivalität – freilich mit einem Augenzwinkern.

Da passt es nur zu gut, dass einander die geliebten Nachbarn auch bei dieser WM-Qualifikation wieder einmal gegenüberstehen und die alte Rivalität aufleben lassen können. Am 11. September erlebt das ewige Duell Österreich gegen Deutschland im Happel-Stadion eine Neuauflage. Zeit für einen Blick auf Unsitten und Bräuche, Klischees und Vorurteile, Erfahrungen und Erkenntnisse. Der KURIER präsentiert bis zum Match prominente Deutsche, die in Österreich leben und Österreicher, die es nach Deutschland verschlagen hat.

Dirk Stermann, deutsche Hälfte des bissigen Kabarett-Duos Stermann & Grissemann, lebt seit 1987 in Österreich.

KURIER: Herr Stermann, wie ist es Ihnen damals ergangen, als Sie nach Österreich gekommen sind?
Dirk Stermann:
Damals hatte es ein Deutscher in Österreich sicher schwerer als heute.

Inwiefern schwerer?
Das war vor dem Mauerfall, die Deutschen waren damals reicher und arroganter als heute. Ganz ehrlich: Kein Deutscher hatte zu dieser Zeit irgendeine Meinung zu Österreich, das war ihnen wurscht. Da ist dann die deutsche Arroganz auf den Minderwertigkeitskomplex getroffen, der hierzulande ja ein wenig ausgeprägter ist. Was für eine Mischung! Ich hatte damals irgendwie den Eindruck: Alle Wiener finden Deutsche geschissen.

Haben Sie denn persönliche negative Erfahrungen gemacht?
Zu mir waren eigentlich immer alle nett. Ich war im Grunde ein Hightech-Gastarbeiter. Aber ich hatte zum Beispiel damals auch einen Sendeverantwortlichen, der mich jeden Tag in der Früh mit Scheipi gegrüßt hat.

Scheipi?
Das sollte die Übersetzung für Scheißpiefke sein. Wenn du das ein halbes Jahr lang jeden Tag hörst, nervt es irgendwann einmal brutal.

Und heute?
Heut’ fühle ich mich bei `Piefke` gar nicht mehr angesprochen und höre es auch gar nicht mehr. Was ich dafür lustig finde, wenn Leute mich immer noch für einen Touristen halten und zu mir sagen: ,Noch einen schönen Aufenthalt in Wien." Dabei lebe ich jetzt in Summe schon länger in Österreich als zuvor in Deutschland.

Das klingt nach einem Interessenskonflikt für das Länderspiel Österreich gegen Deutschland.
Habe ich eigentlich schon gesagt, dass das ein Fußballspiel ist, das ich nicht sehen will?

Wieso das denn?
Weil es kein Ergebnis gibt, das ich gut finden kann. Gewinnt Österreich, dann blutet mein deutsches Herz. Gewinnt aber Deutschland, dann ist mir das auch wieder nicht recht.

Und wie wär’s zum Beispiel mit einem brüderlichen Unentschieden?
Unentschieden sind doch furchtbar langweilig. Ich plädiere dafür, dass es dieses Duell in Zukunft einfach nicht mehr geben sollte.

Sie sind jetzt 25 Jahre in Österreich. Seien Sie ehrlich: Gibt es etwas, was Sie an den Österreichern stört?
Das, was zum Beispiel gerade bei den Olympischen Spielen abgegangen ist, hat mich extrem genervt.

Die Medaillendebatte?
Genau. Es ist doch völliger Wahnsinn, zu glauben, dass Österreich bei Sommerspielen zehn Medaillen holt. Da sind die Besten der Welt dabei, der ganzen Welt. Was soll diese Arroganz? Es findet ja nicht jeder Sport auf zwei Brettln statt. Diese Diskussionen über nicht gewonnene Medaillen halte ich für eine völlig falsche Selbsteinschätzung. Aber an das gewöhnt man sich, wenn man länger in Österreich lebt.

Was mussten Sie noch erst lernen?
Das Kaffeemachen. Das hat mir nämlich niemand zugetraut. Ich meiner Wiener WG durfte ich im ersten halben Jahr nie an die Kaffeemaschine. Die dachten alle, der ist Deutscher, der nimmt sicher nur eine Bohne für einen Liter Wasser. Heute beschweren sich die Deutschen, dass der Kaffee so stark ist, wenn ich ihn mache. Aber grundsätzlich ...

... aber grundsätzlich?
Grundsätzlich finde ich es besser, in einem kleineren Land zu leben. Hier kannst du viel schneller etwas erreichen und Karriere machen. Es ist kein Zufall, dass es sehr viele österreichische Chefs bei deutschen Konzernen und Unternehmen gibt. Das liegt sicher nicht nur daran, dass die Österreicher schöner reden. Aber ich finde im Moment auch Deutschland nicht so schlecht. Die Weltmeisterschaft 2006 hat dem Land gut getan.

Apropos Weltmeisterschaft: Werden Sie jetzt das Match am 11. September anschauen, oder verweigern Sie?
Natürlich werde ich es mir ansehen. Und davon träumen, dass ein Gewitter kommt und das Spiel abgesagt werden muss. Oder dass Rapid-Fans aufs Feld stürmen. Hauptsache das Match kommt nicht in die Wertung.

Dirk Stermann: Deutscher mit Kultstatus

Leben & Karriere
Dirk Stermann (*7. Dezember 1965 in Duisburg) studierte Geschichte und Theater-Wissenschaften, ehe er 1987 nach Österreich übersiedelte. Seit 1988 arbeitet Stermann für den ORF, seit 1990 bildet er zusammen mit Christoph Grissemann ein Duo.

Stermann & Grissemann
Mit bissigen Kommentaren machten sich die beiden vorerst im Radio einen Namen. Ihre Sendungen Salon Helga bzw. Radio Blume hatten Kultcharakter. Seit 2007 moderieren sie die TV-Sendung Willkommen Österreich.

Autor & Stimme
Dirk Stermanns sonore Stimme ist bei zahlreichen Werbespots zu hören. Der Wahl-Österreicher hat auch einige Bücher geschrieben, darunter "Die Speibbanane"

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