Große Euphorie vor dem Duell um Platz eins
Der Tisch ist gedeckt, die Fans haben das Besteck griffbereit – es ist angerichtet für einen fußballerischen Leckerbissen. Österreich empfängt am Samstag (18 Uhr/ORF eins) im Wiener Happel-Stadion Gruppenfavoriten Russland. Die Stimmung unter den Anhängern ist trotz des Ausfalls von David Alaba positiv wie schon lange nicht, ein Verdienst von Teamchef Marcel Koller und seinen Spielern, die derzeit die Tabelle anführen.
Wenngleich die Aktiven genau wissen, welches Kaliber ihnen mit den Russen gegenübersteht, so gibt es auch einige gute Gründe für den Optimismus, der im Land herrscht.
Große Spiele
In Wien hat Österreich in fast allen wichtigen Qualifikationsspielen gute Leistungen gebracht. Vor exakt 25 Jahren schoss man sich mit einem 3:0 über die DDR zur WM nach Italien, im Herbst 1997 legte man mit dem legendären 1:0 gegen die Schweden den Grundstein für die WM 1998 in Frankreich.
Das Publikum
Spielerische Dominanz
Als vielleicht größter Fortschritt in der Ära Koller kann die Tatsache angesehen werden, dass das österreichische Team ebenbürtige oder gar bessere Gegner in Heimspielen mit spielerischen Mitteln kontrollieren oder auch dominieren kann. Grund dafür ist sicherlich der Umstand, dass die Startelf meist ausschließlich aus Legionären gebildet wird, die sich auf internationalem Niveau an das Tempo, die Härte und die spielerische Note gewöhnt haben. Vor dem Duell mit Russland hält Koller jedoch fest: "Ich sehe keine spielerischen Vorteile für uns. Russland ist und bleibt für mich das stärkste Team in der Gruppe." Kapitän Christian Fuchs pflichtet seinem Chef bei: "Russland ist das beste Team, war bei den letzten drei Europameisterschaften und im Sommer auch bei der Weltmeisterschaft. Diese Fakten allein zeigen schon die Qualität, die der Gegner besitzt. Russland ist der Favorit auf den Gruppensieg, aber Angst oder zu großen Respekt haben wir deswegen nicht."
Der Faktor Alaba
Alle für einen, der auf der Tribüne sitzt und die Daumen drückt. Das Fehlen von Alaba lässt das Team vielleicht noch mehr zusammenrücken, als dies ohnehin der Fall ist. Persönliche Befindlichkeiten, Neid und Missgunst stehen erstaunlich weit im Hintergrund. Die Aussagen sämtlicher Spieler, dass es um das große Ganze, sprich die Qualifikation, geht, wirken alles andere als gekünstelt. Fuchs: "Wir haben noch nichts erreicht, auch wenn wir derzeit Erster sind. Das wissen wir alle. Wir wollen uns endlich für ein Turnier qualifizieren."
Die Routine
Vor fast jeder Qualifikation in der jüngsten Vergangenheit wurde – teilweise zu Recht – die Frage gestellt: Kommt die EM- und WM-Endrunde noch zu früh für dieses Team, das sich im Aufbau und in der Entwicklung befindet? Das Koller’sche Team hat sich entwickelt und Schritte vorwärts getätigt. Die Qualifikation erscheint nun realistischer denn je, weil die Vielzahl an Legionären ein Mindest-Level an Qualität mit sich bringt. Dennoch weiß Fuchs: "Ein Sieg gegen Russland wäre toll, würde aber noch lange nicht die Qualifikation bedeuten." Koller legt nach: "Dann sind noch sechs Spiele zu absolvieren. Und wir müssen gegen alle direkten Konkurrenten im nächsten Jahr auswärts antreten."
Eingespieltes Kollektiv
Was die Wahl seines Personals betrifft, denkt und handelt Koller konservativ. "Ich werde nicht alles auf den Kopf stellen oder durchmischen. Keine Sorge, ich werde nicht fünf oder sechs Veränderungen vornehmen", so sein Versprechen von gestern. Daher kann man davon ausgehen, dass Janko wieder stürmt, und Leitgeb im zentralen Mittelfeld Alaba ersetzt.
Bei all diesen positiven Punkten muss der Seitenblick auf Gegner Russland getätigt werden. "Die Russen sind ein sehr schwerer Brocken, sie sind defensiv gut organisiert. Es könnte ein Geduldspiel werden", vermutete Kapitän Fuchs. Besondere Gefahr dürfte von der hängenden Spitze Alexander Kokorin ausgehen. "Er ist ein Spieler, der alles mitbringt – Dynamik und Kopfballstärke. Aber die Russen sind auch auf den Außenpositionen stark." Die russische Elf liest sich wie eine Moskauer Auswahl. Zehn der elf Spieler der möglichen Startformation spielen entweder bei Spartak, ZSKA oder Lok.
Aleksandar Dragovic und Julian Baumgartlinger halten bei zwei Gelben Karten, bei einer weiteren wären sie am 27. März 2015 in Liechtenstein gesperrt.
Er ist im Stadion und dennoch der große Abwesende beim Spiel gegen Russland. "Ich werde versuchen, die Mannschaft von außen so gut wie möglich zu unterstützen", sagt David Alaba. Um in Wien sein zu können, unterbricht er nach seiner Knieverletzung die Physiotherapie in München. Der KURIER sprach mit Österreichs Sportler des Jahres.
KURIER: Wie geht es Ihnen mental nach der Verletzung?
David Alaba: Schon viel besser. Ich bin vom Kopf her wieder sehr stark nach vorne gerichtet und hab’ mir neue Ziele gesetzt. Ich bin bis in die Haarspitzen motiviert.
Wie fühlt sich Ihr Knie an?
Sehr gut, es gibt kaum Schwellungen, ich habe auch keine Schmerzen.
Wie sieht Ihr derzeitiges Programm aus?
Im Moment kann ich nicht viel tun. Eine Woche muss ich noch auf Krücken gehen. Ich fahr’ täglich an die Säbener Straße zum Trainingsgelände, um die Therapie mit dem Physiotherapeuten zu absolvieren. Das gehört leider dazu, ich kann es gar nicht mehr erwarten, mit der Reha zu beginnen und Kraft aufzubauen. Ich will so schnell wie möglich wieder dorthin kommen, wo ich zuletzt war.
Sie haben bis zur Verletzung 20 Spiele absolviert und immer durchgespielt. War das vielleicht zu viel Belastung?
Ich bin das gewohnt und es ist auch mein Anspruch, so viele Spiele wie möglich zu spielen. Es ist auch jede Saison eines meiner Ziele, so oft wie möglich auf dem Platz zu stehen. Ich hab’ mich zuletzt immer gut gefühlt und ich glaub’, man hat auch sehen können, dass ich auf einem sehr guten Niveau unterwegs war. Mental und körperlich. Daran ist es also nicht gelegen.
Dass Sie viel Selbstvertrauen und Spaß hatten, war nicht zu übersehen. Lag das auch daran, dass Sie vermehrt im Mittelfeld spielen durften?
Vielleicht irgendwo. Aber es war zweitrangig. Ich erwähne ja immer, dass ich mich weiterentwickeln und jeden Tag besser werden will. Dass ich noch nicht am Ende meiner Entwicklung bin und noch viel erreichen möchte. Ich lebe als Profifußballer meinen Traum, das versuche ich täglich zu genießen. Gut, dass man das sieht.
Das Nationalteam muss am Samstag gegen Russland ohne Sie auskommen. Wie kann es gelingen, Sie zu ersetzen?
Wir haben genügend Spieler, die mich ersetzen können. Wir haben eine sehr junge, aber gute, ehrgeizige und hungrige Mannschaft. Wir haben in den letzten ein, zwei Jahren viele Schritte vorwärts gemacht und sind als Mannschaft sehr stark. Da braucht man keine einzelnen Spieler herauszupicken. Wir sind sehr gut aufgestellt, ich mach’ mir keine Sorgen. Die Chancen auf einen Sieg stehen auch ohne mich sehr, sehr gut. Ich bin zuversichtlich.
1400 VIPs inklusive Kanzler, Alpenrocker Gabalier und Ski-Boss Schröcksnadel werden wie 48.000 normal zahlende Gäste bereits auf dem Weg ins Stadion sein. Anderen Sportfreunden kann geraten werden, schon ab 16.15 Uhr ihr TV-Gerät einzuschalten. Weil sie dann in einer 35-minütigen Dokumentation via ORFeins daran erinnert werden, ...
... wie Österreich sich vor genau 25 Jahren mit einem 3:0 über die DDR für die WM qualifizierte;
... wie sich die DDR-Staatsprofis sechs Tage nach dem Fall der Mauer für ihr – allerletztes – Bewerbsspiel in Wien motivierten;
... wie Toni Polster vor Anpfiff gnadenlos ausgepfiffen wurde;
... wie ein polnischer Referee der ÖFB-Nationalelf besser gesinnt war als das Prater-Publikum.
Jetzt genieße das Team eine ganz andere Akzeptanz, sagt Ex-Teamchef Hickersberger, der 1989 Morddrohungen bekam, weil er an Polster festhielt. Doch weder Polsters drei Tore noch der Schiedsrichter hätten geholfen, wenn zur selben Zeit nicht Sowjetcoach Walerij Lobanowski seine Spieler in der Kabine vor dem Türkei-Match gewarnt hätte: "Okay, wir sind schon fix bei der WM. Doch wer heute nicht auf Sieg spielt, den nehm’ ich nicht mit nach Italien." Folge: Die Türkei wurde 2:0 besiegt und Österreich war WM-Starter.
Der so österreich-freundlich gewesene Lobanowski, vor dem ganz Fußball-Russland habt acht stand, war übrigens Ukrainer. Heute gibt’s weder die Sowjetunion noch eine Russen-Hilfe.