Sport/Fußball

Leipzig - Hoffenheim: Das Un-Spiel für Traditionalisten

Deutscher Spitzenfußball braucht keine Tradition. Im Spitzenspiel der 18. Runde empfängt der Zweite den Dritten, spielt am Samstag (15.30 Uhr/live Sky) Hoffenheim in Leipzig. Angesichts dieses Duells der beiden Bayern-Jäger wird den Hütern der hehren deutschen Fußballtradition flau im Magen.

Alle Inhalte anzeigen
Die TSG 1899 Hoffenheim ist vor 117 Jahren gegründet worden. Seit 1972 ist die Gemeinde (3148 Einwohner) Teil des Städtchens Sinsheim (35.175 Einwohner). Erst seit SAP-Gründer Dietmar Hopp (aufgewachsen in Hoffenheim) seit 1990 Geld zuschießt, gelang der Aufstieg aus der Kreisliga in die Bundesliga. RB Leipzig wurde 2009 gegründet und spielte an Stelle des SSV Markranstädt in der fünfthöchsten Spielklasse. Seit Sommer ist der Klub erstklassig.

Der Dosenklub

Leipzig wird als Dosenklub abgekanzelt, dessen RB für RasenBallsport steht, aber auch für Red Bull und die Millionen von Dietrich Mateschitz. Der aktuelle Spiegel veröffentlicht ein Interview mit Ralph Hasenhüttl, Trainer von RB Leipzig. Der Österreicher wird gefragt: "Wollen Sie dem Markenklub eines Dosengetränks, das keine Tradition hat, ein freundliches Image verleihen?" Die pragmatische Antwort des 49-Jährigen: "Sehen Sie, für einen Trainer ist es überhaupt kein Nachteil, wenn der Verein keine große Tradition hat." Warum nicht? "Selten kommt dort einer um die Ecke und erzählt, wie toll alles vor 20 Jahren war."

Alle Inhalte anzeigen
Ähnlich sieht es Ralf Rangnick: "Ich weiß, dass es mitunter Menschen gibt, die meinen, die Asche feiern zu müssen. Ich kann damit nichts anfangen." Der Schwabe war an beiden Projekten als Trainer beteiligt, ist jetzt sportlicher Leiter bei RB.Vor eineinhalb Jahren wurde das Trainingszentrum eröffnet, erbaut von der firmeneigenen Bull Bau GmbH in Kooperation mit regionalen Handwerkern und unter anderem Platz für 50 Nachwuchsspieler bietend. Henning Zülch von der HHL Leipzig Graduate School of Management schätzt vorsichtig, dass allein der RB-Aufstieg in die Bundesliga der Region 16 Millionen Euro Einnahmen und der Stadt fast fünf Millionen Euro an Steuern bringt. "Wir vermuten, dass bis zu 1500 neue Arbeitsplätze entstehen werden."

Leipzig stieg im Sommer 2016 auf, Hoffenheim im Sommer 2008. Mit dem "Brause-Klub" hat Hoffenheim inzwischen einen ernsthaften Gegner in der inoffiziellen Missgunst-Tabelle der Bundesligavereine bekommen.

Die Selbstironie

Beim Ligaauftakt im August (2:2) sorgten selbstironische Transparente der Hoffenheim-Fans für Lacher. "Den Fußball zerstört nur einer, Hoffe und sonst keiner", war auf einem Transparent zu lesen. Auf einem anderen forderten die Fans: "Gebt uns unseren Hass zurück" – eine Anspielung darauf, dass sich der Spott der Liga von Hoffenheim auf RB Leipzig verteilt hat. Auf weiteren Plakaten war zu lesen: "Geld regiert die Welt" oder "Traditionslose Arschlöcher im Stadion".

Nur einen Monat später verging den Hoffenheimer Fans das Lachen. Sie fuhren mit einem Schiff von Mannheim aus zum Spiel in Mainz, als plötzlich unter der Rheinbrücke nach Ludwigshafen Urin und Kot auf das Deck flogen. Schon kurz nach dem Aufstieg war Hoffenheim-Geldgeber Dietmar Hopp von gegnerischen Fans als "Sohn einer Hure" beschimpft worden.

Die Fans des 1. FC Kaiserslautern, eines nicht weit von Hoffenheim entfernten sogenannten Traditionsklubs, schrieben einst: "Ihr Verein, Herr Hopp, hat alle Evolutionsstufen eines Traditionsvereins ausgelassen, kann keine Wurzeln im Fußballsport vorweisen und tritt alle Werte, die Millionen Fußballanhänger im Herzen tragen, mit Füßen."

Die Wertedebatte

Dabei vergessen die Fans gerne, dass die Wurzeln etlicher anderer Vereine künstlich oder historisch belastet sind. So fusionierten in Köln erst 1948 zwei mittelmäßige Regionalligaklubs zum 1. FC. So hat in Berlin die aktuelle Hertha nichts mehr mit dem Arbeiterklub der 20er- und 30er-Jahre zu tun und wurde Ende der 90er-Jahre mit Geldern eines Sportrechtevermarkters zum Spitzenklub. So war 1860 in München der Nazi-Klub. Und Leverkusen und Wolfsburg sind ohnehin Werkssportvereine, die nur wegen Zuwendungen des Chemiekonzerns Bayer oder des Autobauers Volkswagen Spitzenfußball bieten.

Alle Inhalte anzeigen
Hoffenheim wird von Julian Nagelsmann, dem jüngste Bundesligatrainer, gecoacht. Der 1987 Geborene hält nicht viel von Nostalgie. Er sagt: "Wenn in der Wirtschaft ein Start-up mit tollen Erfindungen kommt, sagt keiner: ,Die haben keine Tradition, das ist ein Scheißprodukt, das will ich nicht.‘ Da ist es dann ein geiles, junges Unternehmen, dessen Produkt jeder braucht." Für den Fußball heißt das: "Natürlich gibt es Klubs, die total emotionalisieren. Wenn in Gladbach oder Köln Fans seit Jahrtausenden ihre Lieder singen, ist das etwas Tolles. Man sollte aber vor allem die Arbeit wertschätzen."

Das wird im Fall Hoffenheim zumindest von der Konkurrenz gemacht. Im Sommer übersiedeln Verteidiger-Talent Niklas Süle und Mittelfeldspieler Sebastian Rudy nach München. Denn zumindest Bayerns Einkaufstouren bei der Liga-Konkurrenz haben Tradition.