Rapid-Präsident Krammer: "Wollten zu rasch zu viel"
In einem offenen Brief an die Anhängerschaft von Rapid Wien hat Club-Präsident Michael Krammer am Samstag um "Zusammenhalt und Vertrauen" innerhalb der grün-weißen Anhängerschaft aufgerufen. Damit reagierte der 58-Jährige auf die anhaltenden Proteste in- und außerhalb des Stadions beim derzeitigen Siebenten in der Fußball-Meisterschaft.
Krammer äußerte Verständnis für den Frust der Anhänger: "Zehn Jahre kein Titel, ein derzeit 7. Platz in der Meisterschaft nach den Rängen 5 und 3 in den vergangenen Saisonen: Das ist auf keinen Fall der Anspruch von Rapid." Gleichzeitig verurteilte er aber "Methoden, die mir als Rapidler und Mensch manch kalte Schauer über den Rücken laufen lassen". Konkret gehe es vor allem um "Diffamierungen in den "(a)sozialen Medien", die sich hauptsächlich gegen Coach Goran Djuricin, Sportchef Fredy Bickel aber auch Krammer selbst richten sollen.
Die Unzufriedenheit über die aktuelle Situation bei den Hütteldorfern äußert sich im Stadion seit Wochen in "Gogo raus"-Rufen. Daran änderten auch der Einzug in die Gruppenphase der Europa League bzw. der Sieg im ersten Spiel gegen Spartak Moskau sowie der Einzug ins Cup-Achtelfinale nichts. Nach dem Sieg gegen Mattersburg am Mittwoch hatte hingegen vielmehr eine Geste Djuricins, die als "Vogel" Richtung Anhängerschaft interpretiert werden konnte, für Aufregung gesorgt. Der 43-Jährige wies diesbezüglich jegliche böse Absichten energisch von sich.
Erwartungen in die Höhe getrieben
Krammer zog über seine bisherige Amtszeit (seit November 2013) Bilanz und räumte dabei ein, die Erwartungshaltung mit dem Einzug in das neue Allianz Stadion "verbunden mit unseren durchaus kostenintensiven Transferaktivitäten" in die Höhe getrieben zu haben. Die Premierensaison 2016/17 im neuen Stadion endete nach zwischenzeitlichen Abstiegssorgen auf einem "natürlich trotzdem unbefriedigenden fünften Platz", erinnerte Krammer auch daran, dass es Djuricin war, der Rapid damals aus der Abstiegszone und in das erste Cupfinale nach zwölf Jahren geführt hat.
Um der vermeintlichen Abwärtsspirale zu entkommen gelte es fortan gemeinsam an der Besserung der Situation zu arbeiten. "Ein halb volles Glas gilt es mit gemeinsamer Anstrengung ganz voll zu machen und nicht, dieses frustriert vom Tisch zu wischen und zu zerbrechen."
Auch der Rapid-Ethikrat um Nationalrats-Abgeordnete Nurten Yilmaz ( SPÖ) und Ex-Profi Michael Hatz rief in einem Statement zu einem respektvollen Meinungsaustausch auf.
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Das Schreiben des Rapid-Präsidenten im Wortlaut:
Gerne würde ich mit jedem von Euch persönlich sprechen. Da dies leider nicht möglich ist, wende ich mich mit nachfolgenden Worten in Form eines offenen Briefes an die gesamte Rapid-Familie.
Zehn Jahre kein Titel, ein derzeit 7. Platz in der Meisterschaft nach den Rängen 5 und 3 in den vergangenen Saisonen: Das ist auf keinen Fall der Anspruch von
Rapid.
Da sind wir uns alle einig. Vielmehr frustriert uns diese Bilanz. Manche von Euch protestieren laut, manche still und kommen nicht mehr ins Stadion, manche kommen weiterhin und sind enttäuscht. Leider greifen aber manche auch zu Methoden, die mir als Rapidler und Mensch manch kalte Schauer über den Rücken laufen lassen: Das Ausmachen von Schuldigen (für die meisten der Trainer, aber auch unser Geschäftsführer Sport, die Spieler oder ich selbst) und deren Diffamierung in den (a)sozialen Medien greift immer mehr um sich. Das soll und darf – gerade unter Rapidlern – so nicht sein!
Was ist die Ursache für diese Missstimmung?
„Erfolg ist uns Erbe und Gebot zugleich. Daher ist es unser Anspruch, immer ganz oben zu stehen. Egal in welchem Bewerb und wo in der Welt wir antreten: Wir wollen gewinnen.“ – Diese Sätze sind in unserem Leitbild aus gutem Grunde verankert.
Ich darf diesem großartigen Verein seit fast einem halben Jahrzehnt als Präsident dienen. In diesen fünf Jahren hat der FC Salzburg neun von zehn nationalen Titel gewonnen. Lediglich der SK Sturm Graz konnte im letzten Jahr im ÖFB-Cup-Finale das fünfte Double der Mozartstädter in Serie verhindern.
Die Saisonen 2013/14, 14/15 und 15/16 waren für uns auch durch ein sportliches Wellental gekennzeichnet. Der souveränen Qualifikation zur Europa League-Gruppenphase 2013, dem Gewinn der Europa League-Gruppe im Herbst vor drei Jahren und drei zweiten Plätzen in der Meisterschaft in Serie stehen das Scheitern im Europa-League-Playoff 2014 und jeweils frühe Ausscheiden im nationalen Pokalbewerb entgegen. Kein Titel, kein Grund für grenzenlose Begeisterung oder gar Euphorie.
Und trotzdem habe ich gerade in diesen Jahren große Begeisterung unter uns Rapidlern gespürt. Wir haben gemeinsam am Jahrhundertprojekt Allianz Stadion bzw. Weststadion gearbeitet. Durch diesen Zusammenhalt haben wir uns ein neues Zuhause geschaffen, das für die Zukunft überlebenswichtig war und die wirtschaftliche Basis für sportliche Erfolge ist.
Unsere gemeinsame Erwartungshaltung nach dem Einzug in unsere neue Heimstätte war hoch, wir wollten die wirtschaftlich auch damals in einer anderen Liga spielenden Salzburger angreifen und möglichst in der ersten Saison nach dem Meisterteller greifen. Wir wollten zu rasch zu viel und auch ich persönlich nährte, mit bestem Gewissen und voll selbstbewusster Überzeugung, die Hoffnungen und Sehnsüchte der großen grün-weißen
Anhängerschaft. Ja, wir waren überzeugt, dass das neue Stadion nicht nur wirtschaftlich, sondern verbunden mit unseren durchaus kostenintensiven Transferaktivitäten, auch sportlich der ersehnte Turbo wird. Wir haben diese erste Saison noch alle in Erinnerung, der Supergau schien nicht mehr unmöglich, die „Rote Laterne“ rückte bedrohlich nahe an uns heran. Schlussendlich landeten wir noch auf dem - natürlich trotzdem unbefriedigenden - fünften Platz und es war übrigens
Goran Djuricin, der uns damals aus der Abstiegszone und zudem auch ins erste Cupfinale seit zwölf Jahren geführt hat!
Zufriedenheit ist das Ergebnis aus Erreichtem minus dem Erwarteten. Ist also Erwartetes größer als das Erreichte, entsteht Unzufriedenheit. Diese und der daraus resultierende Frust sind der Inhalt des Rucksacks, der bis heute schwer auf unseren Schultern lastet und uns nach unten zieht.
Mit weiteren gegenseitigen Schuldzuweisungen und Anfeindungen, stillem oder lautem Protest, werden wir diesen aber nicht ablegen können. Auch unsere Mannschaft wird es so nicht schaffen, ihn unter diesen Umständen nachhaltig abzulegen! Dieser Rucksack ist auch eine große Bürde für jeden Cheftrainer – egal, wie er auch heißen mag!
Als Euer Präsident empfinde ich eine große Verantwortung und Verpflichtung für das Wohlergehen und den Erfolg unseres Vereins.
Deshalb kann ich Euch versichern, dass wir alles unternehmen werden, den SK Rapid voran zu bringen.
Wir haben uns in allen Bereichen - in den letzten beiden Jahren vor allem auch im sportlichen Umfeld - weiterentwickelt und werden dies weiter tun. Die Errichtung eines neuen Trainingszentrums ist unser nächstes großes Ziel.
Für die derzeitige Situation und unmittelbare Zukunft aber noch wichtiger scheint mir: Wir legen bei der Vorbereitung von Entscheidungen höchste Maßstäbe an. Daten, Fakten, aber auch psychologische Faktoren sind die Grundlage insbesondere für Personalentscheidungen. Oberste Prämisse für jede Entscheidung ist das Wohl des SK Rapid!
Meine ganz persönliche Erfahrung in mehr als 30 Jahren Führung von unterschiedlichen Unternehmen und Organisationen sagt mir: Die Grundlage für Erfolg ist Zusammenhalt und Vertrauen.
„Der Sportklub Rapid ist eine Gemeinschaft. Unser legendärer Zusammenhalt wurzelt in der Solidarität unter den Familien, Nachbarn und Arbeitern auf der Schmelz.“ – Diese Worte bilden nicht umsonst die ersten Sätze unseres gemeinsam entwickelten Leitbildes. Gerade jetzt sind diesen allergrößte Bedeutung zuzuschreiben.
Alle, die mich kennen, wissen, dass ich mich jeder kritischen Diskussion stelle und auch gerne zuhöre. Dadurch habe ich diesen Verein, der durch seine Mitglieder und Fans geprägt wird wie kein anderer in unserem Land, sehr gut kennengelernt. Konstruktive Kritik und Selbstkritik, der ich mich keinesfalls verschließe, gehören auch dazu.
Was wir jetzt für den Erfolg brauchen ist Zusammenhalt, gegenseitige Unterstützung und einen gleichwürdigen und respektvollen Umgang. Schuldzuweisungen und Anfeindungen hingegen werden uns allen nicht weiterhelfen.
Das Rapid-Glas ist derzeit halb gefüllt. Halb voll, wenn wir die Erfolge im Europacup und den Aufstieg ins Achtelfinale des ÖFB-Cup betrachten. Halb leer, wenn wir unser bisheriges Abschneiden in der Meisterschaft in den Vordergrund stellen. Mein Vater, der von Kindesbeinen an und bis zu seinem Ableben ein glühender Grün-Weißer war, hat mich gelehrt, dass Rapidler sein eine Lebenseinstellung ist. Ein halb volles Glas gilt es mit gemeinsamer Anstrengung ganz voll zu machen und nicht, dieses frustriert vom Tisch zu wischen und zu zerbrechen!
„Wer zusammenhält, gewinnt“
Dieser Leitsatz unseres legendären Dionys Schönecker ist wichtiger denn je.Zusammenhalt ist die Voraussetzung für Erfolg. Eine Kultur des Misstrauens und der gegenseitigen Schuldzuweisungen ist jedoch der absolute Garant für Misserfolg.
Ich bin überzeugt, dass wir mit unserem legendären Rapid-Geist zurück in die Erfolgsspur finden und unsere Ziele erreichen können. Tragen wir alle dazu bei!
Lang lebe Rapid!
Euer Michael Krammer