Sport/Fußball

Klinsmann: „Ich bin ein Brückenbauer“

Er wurde als Spieler Welt- und Europameister, kickte in Italien, Monaco, Deutschland, England und den USA. Jürgen Klinsmann hat in seinem Beruf schon viel gesehen und erlebt. Als Teamchef der USA testet er heute in Wien gegen Österreich für das WM-Turnier 2014 (20.45 Uhr/live ORFeins). Der 49-Jährige war stets einer, der über den Tellerrand hinausblickte. Denn für ihn ist die Erde weit mehr als ein (Fuß)-Ball.

KURIER: Was ist für Sie Sinn und Zweck des heutigen Tests?

Jürgen Klinsmann: Zum einen sind wir dankbar, dass wir in Europa spielen können, dass der Andi Herzog ein Heimspiel hat. Andererseits wollen wir schauen, wo wir stehen im Vergleich.

Was ist denn für die USA bei der WM 2014 möglich?

Wir sind froh, dass wir uns seit 1990 für jede WM qualifiziert haben. Der Fußball ist weiter im Kommen, etabliert sich in der Nation. Sponsoren steigen ein, die nur mit jenen in der englischen Premier League zu vergleichen sind. Es ist eine aufregende Zeit für uns. Mit alldem steigen natürlich auch die Erwartungen – die Gruppe müssen wir überstehen. Wir wollen den Spielern den Glauben geben, dass wir auch einen Großen schlagen können.

Haben Sie schon geträumt, Deutschland zu eliminieren?

Nein, wir sind realistisch genug, zu wissen, dass wir nicht zu den Großen gehören. Langfristig wollen wir aber in diese Weltspitze vorstoßen.

Sie haben in vielen Ländern selbst gespielt. Fühlen Sie sich als Kosmopolit?

Ja, ich fühle mich wohl in der Rolle, in der es viel Netzwerkarbeit gibt. Unsere Spieler sind großteils in Europa tätig. Diese Konstellation deckt sich ein wenig mit meinem Werdegang. Ich kann ihnen helfen, weil ich in vielen Ländern die Kulturen und einige Leute kenne. Das kommt mir zugute. Ich spreche einige Sprachen und habe die Kontakte. Jeder Zeitabschnitt war schön. Und am Ende sind es die Menschen, die dich prägen.

Passt Ihre positive Lebenseinstellung nicht ideal zum „American way of life“?

Ja. Ich bin schon früh regelmäßig in die USA gereist, das ging als 18-Jähriger los.

Was fasziniert Sie daran?

Die Lebensfreude der Menschen, die Weite des Landes. Ich habe mich in Europa hochgearbeitet. In Amerika wurde ich in Ruhe gelassen. Dazu ist meine Frau Amerikanerin. Und irgendwann mussten wir uns auch wegen der Kinder quasi für eine Familie entscheiden. Jetzt bin ich irgendwie ein Brückenbauer.

Fühlen Sie sich als Amerikaner, als Europäer oder als Deutscher?

Ich fühle mich in den USA unglaublich wohl. Aber ich habe von jeder Kultur das mitgenommen, was mir Spaß gemacht hat. Wenn man im Ausland lebt, lernt man umgekehrt viele Dinge seiner Heimat besonders zu schätzen.

Was denn?

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Die Kultur, die Arbeitsweise, die Pünktlichkeit, die Korrektheit, die Sicherheit. Deutschland, die Schweiz, Österreich sind sicherlich top in der Welt. Der Andi Herzog hat uns hier in Wien am Abend durch die Innenstadt geführt. Bei unseren Spielern standen Münder und Augen ganz weit offen.

Was vermissen Sie denn an Deutschland?

Meine Familie: meine Brüder und meine Mutter. Zum Glück sind wir technisch sehr gut verbunden.

Wie sehen Sie aus der Ferne Europa? Mit der EU sind es ja irgendwie die Vereinigten Staaten von Europa.

Man hat noch mehr Bewunderung übrig. Allein die Nähe der Länder zueinander. Man kann innerhalb von zwei Stunden in fast alle Hauptstädte fliegen. Wenn ich den Verbandspräsidenten in New York kurz treffe, fliege ich fünf Stunden. Europa ist das Sinnbild der Nähe zueinander, aber dennoch von grundverschiedenen Kulturen geprägt. Die Geschichte Europas ist eine viel tiefere, viel faszinierender. Diese Geschichte zu spüren, wenn man von Amerika nach Europa kommt, das ist wundervoll. Das Schöne ist, dass es immer mehr Amerikaner gibt, die Europa erforschen und besuchen. Auf so engem Raum so viele Sprachen und Kulturen zu haben, das ist doch schön.

Sagen Sie Ihren jungen Spielern, dass sie den schönsten Job der Welt haben?

Ja. Wir Trainer, gleich ob in den USA oder Europa, versuchen den Spielern klarzumachen: Nützt diesen Moment eures Lebens. Lasst ihn nicht durch die Hände rutschen. Der Spieler entscheidet selbst, wie weit er es schafft in seiner Karriere. Der Trainer ist nur Hilfesteller. Entscheidend ist der Hunger des Spielers.

Mit Andi Herzog verbindet Sie auch der Abgang von den Bayern – mit einem bitteren Beigeschmack. Kränkt so etwas?

Nein, denn jeder Schritt im Leben hat seine Gründe. Das Wichtigste ist, dass man diese Dinge aufarbeitet und die Gründe dann erkennt. Und dann kommt schon wieder die nächste Aufgabe.