Sport/Fußball

Die Praktiken der Wett-Mafia

Folgende Geschichte ist tatsächlich passiert: Am 18. September 2001 spielt Fenerbahçe in der Champions League gegen Barcelona. Der Favorit aus Spanien erzielt durch Saviola in der 66. Minute das 3:0. In Asien zuckt in diesem Moment einer der großen Wettpaten zusammen. Er hat drei Millionen Euro auf das Spiel gesetzt, und Barcelona hat soeben die Wette zerstört. Vier Minuten später geht das Licht aus im Şükrü-Saracoğlu-Stadion.

Wäre das Spiel abgebrochen worden, hätte Tan Seet Eng, auch Dan Tan genannt, im fernen Singapur zumindest seinen Einsatz zurückbekommen. Doch die Türken hatten ein Notstromaggregat und konnten nach 20 Minuten das Spiel fortsetzen.

„Ich habe vier Stadiontechniker gehabt“, erklärt Dan Tan in einem Chat mit Journalisten des Spiegel, die im Frühjahr dieses Jahres den Wett-Paten online kontaktieren konnten. Er hätte es nicht erzählen müssen: Sein im Frühjahr 2011 verhafteter Komplize Wilson Raj Perumal hatte schon ein umfangreiches Geständnis abgelegt und erzählte den Behörden auch Details aus Istanbul.

Nach der Verhaftung von Perumal wurde die Schlinge um Dan Tans Hals immer enger. Denn der 48-Jährige hat nicht nur Flutlicht sabotiert. Diese Woche wurde Dan Tan in Singapur verhaftet.

In den mehr als hunderttausend Seiten dicken Ermittlungsakten ist das Geschäftsmodell seiner Organisation dokumentiert. Dan Tan soll an der Manipulation von mehr als 300 Spielen beteiligt gewesen sein. Vorwiegend in Italien, aber auch in Finnland, Ungarn, Österreich und in Südamerika sowie Afrika. In Italien und Ungarn sollen es alleine 60 Partien gewesen sein.

Dan Tan habe Geld von Kunden für Wetten bekommen. Dieses habe er bei Wettanbietern investiert. Ein Teil davon wurde für die Bestechung von Spielern und Referees gebraucht. Für die Abwicklung der fixierten Spiele waren Mitarbeiter vor Ort zuständig. Diese sogenannten Runner kontaktierten und bezahlten Spieler. Im Chat mit dem Spiegel schrieb Dan Tan vor seiner Verhaftung, dass manche bis zu 800.000 Euro bekommen hätten. Eine Summe, die Klubfunktionären Unbehagen bereitet: Bei solchen Beträgen könnten auch Profis in den Top-Ligen schwach werden.

Und das sind sie auch geworden. Vor allem in Italien. „Wir haben sie zu nichts gezwungen. Sie stellten sich gerne zur Verfügung“, sagte ein inhaftierter Komplize. Für die Organisation war es ein gutes Geschäft: Üblicherweise belief sich der Gewinn pro Spiel auf 500.000 bis 1,5 Millionen Euro. Den Rekord habe Dan Tan in der Serie A mit 15 Millionen Euro in einer einzigen Partie ergaunert. Sein Vermögen wird auf 200 Millionen Euro geschätzt.

Der Geldtransport

Das Geld für die Bestechung kam bis 2009 per Überweisung. Nachdem die Bochumer Staatsanwaltschaft den in Berlin tätigen Ante Sapina verhaftet hatte, wurde Dan Tan vorsichtig: Die nächsten zwei Jahre wurde Bargeld in 26 Flügen von Singapur nach Mailand gebracht. Am 4. November 2001 beobachteten italienische Ermittler einen Komplizen Dan Tans, der mit einem neun Kilo schweren Koffer in Mailand ankam, drei Stunden im Sheraton-Hotel blieb und danach mit einem acht Kilo schweren Koffer wieder Richtung Singapur eincheckte.

Mit der Verhaftung der Dan-Tan-Führungsspitze ist Interpol ein Schlag gegen die Wett-Mafia gelungen. Allerdings wiesen laut der Monitoring-Firma Sportradar fast ein Prozent aller europäischen Fußball-Spiele 2012 auffällige Quoten-Veränderungen auf. Es wäre blauäugig zu glauben, dass Dan Tans Team dafür alleine verantwortlich war.

Für Experten wie den früheren FIFA-Sicherheitschef Chris Eaton war es keine Überraschung: Der ÖFB räumte am 13. September erstmals ein, dass die Wett-Mafia auch in Österreichs Profifußball eine Heimat gefunden hat. „Ich habe von mehreren ernsthaften Fällen in Österreich gehört. In diesen wird auch ermittelt“, erklärte der Australier im Juni im KURIER.

Der Verband hat nun die Suspendierung von zwei dringend Verdächtigen eingeleitet. Auf Servus TV erklärte der leitende Ermittler Andreas Holzer, dass noch weitere acht Verdächtige (keine Fußballer) vor der Anklage stehen. Die beiden Spieler waren in der Bundesliga aktiv: Der Ex-Austrianer Mario Majstorovic soll bei Kapfenberg in versuchte Spielmanipulationen verwickelt gewesen sein. Erdzan Beciri soll als Vienna-Verteidiger mit krimineller Absicht Handspiele im eigenen Strafraum begangen haben – für Majstorovic und Beciri gilt die Unschuldsvermutung.

Für Beciri ganz besonders in Heiligenkreuz am Waasen: Beim steirischen Amateurverein ist der Slowene ein Leistungsträger. „So lange er fit und nicht gesperrt ist, spielt er“, stellt Sektionsleiter Christian Schmid fest. Obwohl der ÖFB bereits bei der Anmeldung des 28-Jährigen im Jänner eine Warnung geschickt hatte. „Sie haben uns mitgeteilt, dass er verdächtig ist, aber nicht mehr. Was hat sich seither geändert? Nichts!“, sagt Schmid.

Nur keine Eile

Der steirische Verband lässt sich mit der eingeleiteten Suspendierung Zeit: Während der burgenländische Verband Majstorovic bei seinem Verein Draßmarkt umgehend sperren ließ, drehte der in seiner Heimat gesperrte Beciri gegen Voitsberg als zweifacher Torschütze noch auf. Schmid: „Beciri soll am Dienstag zum Verband. Dann wissen wir mehr.“

Beciri war bei der Vienna kein Einzeltäter: Eine Handvoll Spieler (alle nicht mehr beim Verein) soll mehrere Partien verschoben haben.

Laut Insidern gilt der österreichische Profi-Fußball für Wettbetrüger nach wie vor als interessanter Markt.