Ruttensteiner: "Österreich wird ins EM-Achtelfinale einziehen"
Eine Kolumne von Willi Ruttensteiner
Fünf Jahre nach dem frühen Aus bei der EURO 2016 werde ich noch oft gefragt: Was ist in Frankreich eigentlich schiefgegangen? Warum konnte eine Mannschaft, die mit 28 Punkten durch die Qualifikation gerauscht ist wie ein Railjet und als Geheimfavorit gehandelt wurde, die PS nicht mehr auf den Rasen bringen?
Die damalige Vorbereitung in der Schweiz verlief exzellent. Das lasse ich mir auch durch Scheinargumente nicht schlecht reden. Aber: Viele Spieler waren verletzt und nicht auf dem höchsten Fitness-Niveau. Die Euphorie in Österreich war riesengroß, die Erwartungen fast irrational – da hätten wir konsequenter auf die Bremse steigen müssen. Ein Christian Fuchs etwa ist nach dem Titel mit Leicester in der Premier League auf Wolke sieben geschwebt.
Fehlender Mut
Und für das Achtelfinale war trotz der Niederlage gegen Ungarn und einem respektablen Remis gegen Portugal alles angerichtet. 70 Prozent der Fans im Stade de France kamen aus Österreich und verwandelten das Gruppenfinale gegen Island in ein Heimspiel. Gescheitert sind wir dann nicht nur am extremen Druck der Öffentlichkeit und an den Nerven der Spieler, die noch nicht so erfahren waren wie heute: Mit mehr Mut und Risiko wären wir trotzdem aufgestiegen.
Die taktische Umstellung auf eine Dreierkette ist im Spiel gegen die Isländer leider nicht aufgegangen.
Heute trifft Österreich auf Nordmazedonien – eine Mannschaft, die aus Topf 4 der Nations League kommt und normal nie bei einer Europameisterschaft dabei ist. Der Wunschgegner aller Teams, da kann man ohne Wenn und Aber von einem Pflichtsieg sprechen.
Die Diskussionen um die Position von David Alaba und die Forderung nach dem Pressing-Stil Marke Red Bull kann ich nicht nachvollziehen. Ein Profi, der sich auf das Niveau eines Nationalspielers begeben hat, kann sich auf jedes System schnell umstellen.
Dazu bedarf es aber klarer Vorgaben von Franco Foda. Vorgaben, die von den Spielern umgesetzt werden müssen.
Für mich steht fest: Österreich wird ins Achtelfinale einziehen – weil die Mannschaft viel besser ist als die von 2016. Spieler wie David Alaba, Marcel Sabitzer oder Martin Hinteregger haben sich toll entwickelt.
Ich selbst bin bei der EURO als Technical Observer für die Gruppe mit Italien, Schweiz, Türkei und Wales zuständig und ab dem Achtelfinale in München direkt vor Ort. Für mich stellen sich unter Berücksichtigung der aktuellen Probleme drei zentrale Fragen:
Wem gelingt es, trotz Pandemie und einer Unzahl an Spielen, ein perfektes Fitnessniveau zu erreichen? Enthüllt ein Trainer neue, systemverändernde Ideen? Und setzen sich wieder die üblichen Verdächtigen durch, oder erleben wir eine Sensation?
Willi Ruttensteiner war von 2001 bis 2017 Sportdirektor des ÖFB und danach von Israel. Der 58-Jährige trainiert das Nationalteam Israels und ist ein Gegner der Österreicher in der anstehenden WM-Qualifikation.