Erster Titel seit 1966? Englands Frauen sollen das Trauma beenden
Den Frauenfußball revolutionieren, die Männerfußball-Misere seit 1966 endlich beenden, Krisenhilfe für die englische Gesellschaft leisten. Es ist nicht gerade wenig, was den englischen Fußballerinnen aufgebürdet wird und was sie sich auch selbst aufladen. Englands Teamspielerin Fran Kirby sagte bei einem Pressegespräch vor dem Semifinale gegen Schweden, dass sie erfolgreich sein wollen, um den Menschen in Zeiten wie diesen ein bisschen Freude zu bereiten.
Die Menschen in England seien durch die gestiegenen Lebenserhaltungskosten und der Unsicherheit aufgrund des Ukrainekrieges mit großen Problemen konfrontiert. Man wolle den Menschen eine Fluchtmöglichkeit aus dieser Krise geben – und wenn es nur für 90 oder vielleicht 120 Minuten ist. "So sehr wir gewinnen wollen, wollen wir den Leuten auch ein Lächeln ins Gesicht zaubern."
Überwindung des Traumas
Mit der Begeisterung wächst freilich auch der Druck auf das Gastgeberteam. Der Daily Telegraph titelte dieser Tage: "Englands Frauen könnten den Fußball in diesem Land diese Woche für immer verändern." Gemeint war nicht nur die Etablierung des Fußballs der Frauen auf den vorderen Sportseiten, Teil des Mainstreams zu werden, sondern auch die Überwindung eines Traumas, das bislang vor allem männlich gelesen wurde: Endlich wieder nach 1966 einen Titel für England zu gewinnen.
Die Bramall Lane in Sheffield - das älteste Stadion der Welt, in dem noch Profifußball gespielt wird - war mit seinen 28.900 Plätzen am Dienstag natürlich ausverkauft. Angesichts der Euphorie in England hätte man für das Halbfinale gegen Schweden wohl jedes Stadion gefüllt. Aber in Sheffield dürfte der seit der Männer-EM 2021 hierzulande ritualisierte Fangesang "Football’s coming home" eine ganz besondere Magie entfalten. Am zentralen Londoner Trafalgar Square richten die Stadtbehörden erstmals ein Public Viewing für ein Spiel der Fußballerinnen aus.
Fans rasteten aus
Englands Mittelfeldspielerin Fran Kirby berichtet von "erstaunlichen Videos", auf denen Menschen zu sehen gewesen seien, die total ausrasteten, als die Lionesses - so lautet der Kosename des englischen Frauenfußball-Teams - ein Tor gegen Spanien erzielten. Ein seltsames Gefühl sei es auch, dass die Menschen ihnen Beifall klatschen, wenn sie in diesen Tagen außerhalb des EM-Quartiers einen Spaziergang machen.
Verdient haben sie sich das allemal: Englands Frauen haben immerhin das erste Finale bei einem wichtigen Turnier seit 2009 erreicht.