Grünes Licht für eine Party in Gelb
Dortmund-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke musste Baldrian-Tropfen literweise schlucken, um sich zu beruhigen. Er saß auf der Ehrentribüne neben Spaniens König Juan Carlos, der ihn in den kritischen Phasen des Spiels sogar an der Hand nahm. Nach dem 0:1 wenige Minuten vor dem Ende verschwand Watzke in den Katakomben des Bernabeu-Stadions zu Madrid, weil er das Finish nicht mehr mitansehen konnte.
Dortmund erhielt noch ein zweites Gegentor von Real, zog aber dank des 4:1 aus dem Hinspiel doch ins Endspiel ein. Ende gut, alles gut. „Wir können einfach nur dramatisch“, wischte sich Watzke dann den Schweiß von der Stirn.
Selbst Trainer Jürgen Klopp hatte keine Einwände gegen eine rauschende Party: „Wenn ich der Mannschaft jetzt nicht gestatte auszugehen, bin ich ja ein Vollhorst.“ Nuri Sahin, der vor Kurzem noch bei Real Madrid seine Schuhe schnürte, machte seine Dortmunder Kollegen mit den Lokalitäten der spanischen Hauptstadt bekannt.
Sprachlos
Das spanische Sportblatt Marca titelte: „Klopp nimmt das Bernabeu ein und verlässt das Stadion im Stil eines Triumphators.“
„Wembley calling“ stand auf den Shirts, mit denen der überragende Torhüter Roman Weidenfeller und seine Mitstreiter in die nächtliche Fiesta von Madrid starteten. Mit leuchtenden Augen ließ Sportdirektor Michael Zorc die wundersame Reise des noch 2005 von der Insolvenz bedrohten Klubs Revue passieren: „Man muss die Entwicklung sehen. Erst Meister, dann Meister und Pokalsieger und nun im Champions-League-Finale. Das ist ein Meilenstein.“
Die Bilder vom Dortmunder Finaleinzug
Zitterpartien
Trotz des üppigen 4:1-Polsters aus dem Hinspiel geriet der BVB im lauten Bernabeu mächtig ins Wanken. Das passte ins Bild der BVB-Saison auf internationaler Bühne. Schließlich war bei fast allen Partien höchster Unterhaltungswert garantiert. In den Gruppenspielen gegen Manchester City und Real kassierte der BVB in den Schlussminuten den Ausgleich. Beim 3:2 im Duell mit Malaga ebneten erst zwei Tore in der Nachspielzeit den Weg ins Halbfinale.
Sichtlich übernächtig bestiegen die Dortmunder am Mittwoch in der Früh das Flugzeug Richtung Heimat. „Finale hört sich so an, dass man es eigentlich noch nicht glauben kann“, sinnierte der Dortmunder Torhüter Roman Weidenfeller mit glücklich strahlenden, aber rot unterlaufenen Augen nach einer kurzen Nacht. „Aber wir haben es geschafft. Es ist einfach geil.“ Der Goalie war ein entscheidender Rückhalt für die Mannschaft, wehrte Großchancen von Cristiano Ronaldo ab. „Wunder! Wahnsinn! Weidenfeller!“, pries Bild den Borussia-Schlussmann.
Am kommenden Samstag (18.30 Uhr) steigt in der Bundesliga das Spitzenduell mit den Bayern. Trainer Klopp verriet schon, dass er einige seiner Europacup-Helden schonen wird.
Es ist vollbracht. Borussia Dortmund steht zum ersten Mal seit 1997 wieder in einem Endspiel der Champions League. Die Deutschen verloren bei Real Madrid 0:2, zitterten sich am Ende aber in der Addition der beiden Halbfinal-Spiele mit einem 4:3 ins Finale. Es war nichts für schwache Nerven. Gelingt am Mittwoch den Bayern der Aufstieg bei Barcelona, ist ein gänzlich deutsches Endspiel am 25. Mai in London perfekt.
Allesamt verjuxten sie ihre Möglichkeiten und die Chance, Dortmund tatsächlich noch ins Wanken zu bringen. Noch dazu, wo der Dortmunder Spielmacher Götze nach wenigen Minuten mit einer Oberschenkelverletzung dem Spiel den Rücken kehrte. Er erspart sich am Wochenende in der Liga wohl das Duell mit seinem künftigen Arbeitgeber Bayern München. Pikant.
Erste Anzeichen von Frustration waren in manchen Zweikämpfen zu erkennen. Vor allem Sergio Ramos bearbeitete mit seinen Ellenbogen immer wieder das Gesicht von Stürmer Lewandowski. Dortmund ließ sich aber nicht aus der Ruhe und dem Konzept bringen, wartete geduldig auf Kontermöglichkeiten.
Konter-Chancen
Nach dem Wechsel versuchte Real ein ähnliches Bild wie zu Beginn der Partie zu zeichnen. Man bemühte sich um Überlegenheit, allein die Torgefahr strahlte man nicht mehr so aus, weil Dortmund in der Verteidigung nicht mehr die Ordnung verlor. Die Zeit verstrich. Die Hoffnung schwand bei Real, die Sicherheit stieg bei Dortmund.
Der entthronte deutsche Meister hätte in der 50. Minute die Angelegenheit endgültig entscheiden können: Reus spielte in einem Konter Lewandowski frei. Der Torjäger, im Hinspiel noch vier Mal erfolgreich, knallte den Ball aber an die Latte.
Jürgen Klopp (Dortmund-Trainer): "Das war hinten heraus ein bisschen eng. Wir haben Riesenchancen gehabt aus dem Konter. Dass Real so hart und aggressiv draufgehen würde, war klar. Nach 20-25 Minuten hat sich das Ganze ein bisschen beruhigt. Wenn wir nach der Pause ein Ding machen, ist die Sache gegessen. So ist es noch einmal ein bisschen eng geworden, aber Borussia Dortmund gibt es nur 'all inclusive'. Real Madrid kann schon ein bisschen Ballspielen, das haben sie heute gezeigt. Wir werden diese Situation genießen. Das ist außergewöhnlich und großartig."
Jose Mourinho (Real-Trainer): "Wir sind ausgeschieden. Mein Team hat ein großes Spiel gemacht und alles gegeben. Irgendwann haben wir aber den Schlüssel zum Spiel verloren. Es hat eine wichtige Entscheidung gegeben, die ich nicht verstehe - dass Mats Hummels nach seinem Handspiel (70.) nicht ausgeschlossen worden ist. Ich werde erst nach Saisonende über meine Zukunft sprechen. Das hängt von mir ab, nur von mir. Das wird alles in Ruhe passieren."
Nein, Dortmund-Trainer Jürgen Klopp ist kein Mediziner. Dennoch gab er nach Schlusspfiff im Bernabeu-Stadion ein erstes Bulletin heraus: „Es wird eng für alles, was noch ansteht.“
Gemeint war Spielmacher Mario Götze, der nach 14 Minuten die Partie verlassen musste wegen eines Muskelfaserrisses im Oberschenkel. Der aus seiner Sicht höchst brisante Bundesliga-Gipfel am Samstag gegen die Bayern aus München wird deshalb ohne ihn stattfinden. Sogar sein Einsatz im Champions-League-Finale am 25. Mai in London ist mehr als fraglich.
Götze wechselt ja mit Sommer von Dortmund zu den Bayern, fällt aber jetzt mehrere Wochen aus. Es wird ein Wettlauf mit der Zeit.
Keine Ausstiegsklausel
In Mario Götzes Kontrakt mit seinem künftigen Klub Bayern gibt es doch keine Ausstiegsklausel. „Es ist zwar versucht worden, diese in den Vertrag zu verhandeln. Aber das ist von uns abgelehnt worden“, sagte Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Der deutsche Rekordmeister hatte den Nationalspieler eben dank einer Ausstiegsklausel zur kommenden Saison für 37 Millionen Euro von Borussia Dortmund verpflichtet, obwohl der 20-Jährige noch einen Kontrakt bis 2016 besaß.
Rummenigge ergänzte, kein Bayern-Profi habe eine Ausstiegsklausel im Vertrag: „Wenn du Spielern die Möglichkeit gibst, sich mit Klauseln aus dem Vertrag zu lösen, dann darfst du am Ende des Tages auch nicht klagen, dass es passiert.“
So sehr der mögliche Ausfall von Götze auch schmerzt, finanziell ist die Saison für die Borussia ein Gewinn. Durch den Final-Einzug hat Dortmund weitere 6,5 Millionen Euro sicher. So viel Geld bekommt der Verlierer des Endspiels. Der Sieger darf sich sogar über 10,5 Millionen Euro freuen.
Insgesamt haben die Dortmunder im Wettbewerb bereits über 60 Millionen Euro eingenommen. Die Summe setzt sich aus Prämien der UEFA, Geldern aus dem Marktpool und Zuschauereinnahmen zusammen.
Nach dem Halbfinal-Aus in der Champions-League stehen bei Real-Madrid-Trainer Jose Mourinho die Zeichen auf Abschied. Der Portugiese könnte Madrid mit Saisonende in Richtung seiner "alten Liebe" Chelsea nach England verlassen.
Nach dem knappen Out am Dienstagabend gegen Borussia Dortmund mit einem Gesamtscore von 3:4 bemängelte Mourinho vor allem mangelnden Respekt seitens einiger spanischer Medien.
"Ich weiß, dass ich in England geliebt werde. Von den Fans und von den Medien, die mich fair behandeln. Ich werde kritisiert, wenn ich es verdiene. Und ich werde gefeiert, wenn ich es verdiene", erklärte Mourinho und fügte hinzu: "In Spanien ist die Situation anders, weil mich einige Leute hier hassen. Deshalb ist die Entscheidung so schwierig, weil ich Real wirklich mag."
Mourinhos Vertrag bei Real läuft eigentlich noch bis 2016. Seit seinem Amtsantritt 2010 holte Real einen Meistertitel, einen Cupsieg und scheiterte zuletzt dreimal in Serie im Halbfinale der Champions League.
Nachfolger
Klub-Boss Florentino Perez würde mit Saisonende plötzlich ohne den von ihm als "besten Trainer der Welt" bezeichneten Mourinho dastehen. Und Perez, der seit 2002 wie besessen dem zehnten Meistercup- bzw. Champions-League-Titel hinterherläuft, bräuchte rasch prominenten Ersatz. Zahlreiche spanische Zeitungen haben bereits den aktuellen Paris-Trainer Carlo Ancelotti ins Spiel gebracht.
Kritische Worte fand Mourinho auch für Howard Webb, den englischen Schiedsrichter beim 2:0-Heimsieg am Dienstagabend. Mourinho bemängelte vor allem, dass Webb Dortmund-Verteidiger Mats Hummels nach einem Handspiel 20 Minuten vor Schluss nicht die Rote Karte zeigte.
"Webb hat nicht als Schiedsrichter, sondern als Mensch gehandelt. Denn dieser Junge (Hummels, Anm.) hätte das Finale verpasst. Aber das ändert nichts daran, dass Hummels Rot sehen hätte müssen. Dann hätte die Geschichte vielleicht anders ausgesehen", sagte Mourinho.
Marca: "Real stand kurz vor einer Heldentat. Zum Einzug ins Finale fehlte nur ein Meter. Klopp nimmt das Bernabéu ein und verlässt das Stadion im Stil eines Triumphators."
El País: "Ein kurzer Moment der Epik reicht Real nicht aus für einen Finaleinzug. Nach einem furiosen Auftakt und einer wilden Schlussoffensive fehlte den Madrilenen nicht viel zu einem Fußballwunder. Allerdings war der BVB in weiten Phasen überlegen."
El Mundo: "Niemand bringt in der Verzweiflung etwas so Tolles zustande wie Real Madrid. Die Spieler und die Fans hätten den Einzug ins Finale verdient gehabt - ebenso wie Borussia Dortmund, das im Gesamtverlauf der Champions League besser war."
ABC: "Higuaín, Cristiano Ronaldo und Özil vergeben in den Anfangsminuten klare Torchancen. Real versagt ausgerechnet bei dem, was sonst die große Stärke der Madrilenen ist."
As: "Wie durch ein Wunder bleibt das Fußballwunder aus. Real fehlt zur erfolgreichen Aufholjagd nur eine Handbreit."
El Mundo Deportivo: "Real sagt dem Traum vom zehnten Europacupsieg 'adiós'."
Deutschland:
Bild: "Dortmunds schönste Niederlage. Alles sah nach einem lockeren Finaleinzug aus, doch dann die irren letzten Minuten... Weidenfeller war Weltklasse."
Express: "Finaaale! BVB zittert sich nach Wembley."
Spiegel Online: "Dortmund im Finale: Tanz in den Mai. Sie zitterten, sie kämpften, sie jubelten: Borussia Dortmunds Einzug ins Champions-League-Finale war voller Dramatik. Umso größer waren die Emotionen der Spieler nach dem Abpfiff."
Ruhr Nachrichten: "Dortmund steht Kopf. Feuerwerk, Autokorso und grenzenloser Jubel in der ganzen Stadt. Dortmunds großer Traum ist Realität."
Frankfurter Allgemeine: "Die Dramatiker im Finale. Bangen, hoffen, Daumen drücken: Die Champions-League-Partien des BVB in dieser Saison sind nichts für schwache Nerven. Dortmund übersteht den Orkan von Santiago Bernabeu."
Roman Weidenfeller war für Borussia Dortmund eine der Schlüsselfiguren auf dem Weg ins Finale . Jürgen Klopp bezeichnete ihn mit einem Seitenhieb Richtung Teamchef Joachim Löw als besten Tormann, der nie in einer Nationalmannschaft gespielt hat.
Seine Klasse und Nervenstärke hat der 32-Jährige auch am Dienstagabend im Hexenkessel Bernabeu-Stadion mit seinen drei entscheidenden Paraden gegen Real Madrid unter Beweis gestellt.
Weidefeller scheint oft unterschätzt, bei seinen BVB-Fans genießt er nicht zuletzt dank eines legendären Englisch-Interviews nach dem Meistertitel im Mai 2011 Kultstatus. "I think we have a grandios Saison gespielt", hatte Weidenfeller damals dem Sender "Dubai Sports" mitgeteilt. Ein Satz, der seitdem in großen schwarzen Lettern auf einer gelben Wand in der BVB-Geschäftsstelle verewigt ist.
Am 25. Mai wird Weidenfeller nun wieder Bekanntschaft mit dem Englischen machen, im Finale im Londoner Wembley-Stadion. "Finale hört sich so an, dass man es eigentlich noch nicht glauben kann", sinnierte der Dortmunder Goalie mit glücklich strahlenden Augen. "Aber wir haben es geschafft. Es ist einfach geil."
Von Abstiegskampf bis Champions-League-Finale
Weidenfeller setzte in Madrid seine bärenstarke Königsklassen-Saison fort. Ob in der Anfangsphase gegen Gonzalo Higuain und Cristiano Ronaldo oder kurz vor dem Schlusspfiff gegen Karim Benzema - immer war er auf dem Posten. Machtlos musste er dennoch Gegentore durch Benzema (83. Minute) und Sergio Ramos (88.) hinnehmen. "Wunder! Wahnsinn! Weidenfeller!", pries die "Bild" den Borussia-Schlussmann.
Im Überschwang des großen Glücks dachte Weidenfeller zusammen mit Mittelfeldmann Sebastian Kehl und Sportdirektor Michael Zorc auch an dunklere Stunden der Vereinshistorie zurück. "Wir haben uns eben in den Armen gelegen und haben uns ganz kurz gezwickt, dass das wirklich die Realität ist. Dass wir damals in Aachen den Abstieg verhindert haben, genauso wie wir heute im Champions-League-Finale stehen - das ist der pure Wahnsinn", frohlockte der nach Kehl zweitdienstälteste BVB-Profi.
Nationalteam
Gerade einmal sechs Jahre liegt das Spiel gegen Aachen zurück, als sich Dortmund im April 2007 durch ein 4:1 neues Leben im Abstiegskampf einhauchte. Dass er nach Oliver Kahn beim 1:0 des FC Bayern München im Jahr 2001 nicht als zweiter deutscher Tormann ohne Gegentreffer im Madrider Fußball-Tempel blieb, war Weidenfeller herzlich egal. Ebenso die Gelbe Karte wegen Spielverzögerung kurz vor dem Schlusspfiff, denn eine Sperre im Finale zieht diese Verwarnung nicht nach sich.
Bei Teamchef Löw, der zusammen mit seinem Assistenten Hansi Flick in Madrid dabei war, steht der verlässliche Weidenfeller trotz solcher Auftritte nicht hoch im Kurs. Zum einen ist er mittlerweile im fortgeschritteneren Fußballeralter, zum anderen erfreut Löw die Spielweise der starken Konkurrenz wie Manuel Neuer, Rene Adler oder Ron-Robert Zieler offensichtlich deutlich mehr.
Bereits einen Tag nach dem Einzug ins Finale der Fußball-Champions-League hat bei Borussia Dortmund der Run auf die Tickets für das Wembley-Stadion eingesetzt. Innerhalb von sechs Stunden sind beim Revierclub am Mittwoch schon mehr als 100.000 Kartenwünsche für das Finale am 25. Mai in London eingegangen. Der Großteil der Bewerber wird aber mit seiner Anfrage erfolglos bleiben. Dem BVB stehen nur 24.042 Tickets zur Verfügung.
Nach den schlechten Erfahrungen vor dem Halbfinale gegen Real Madrid, als es zu Tumulten vor den Vorverkaufsstellen gekommen war, wird es diesmal keinen freien Verkauf geben. Den Großteil der Tickets verlost der BVB unter Vereinsmitgliedern und Dauerkarteninhabern. Die verbleibenden Karten werden unter allen weiteren Bestellern verlost. Interessenten können sich über ein Online-Formular bewerben.
Ähnlich viele Karten stehen dem zweiten Finalisten zu. 9.000 Tickets aus dem freien Verkauf sind bereits vergriffen. 27.000 Karten gehen an die UEFA, die Nationalverbände und die Sponsoren.