Sport/Fußball

Deutsche Woge der Begeisterung

Waren das noch Zeiten, als deutsche Verteidiger allerorts noch Angst und Schrecken verbreiteten. Bei manchem Gegenspieler soll ja allein der Gedanke an ein Treffen mit einem Manndecker teutonischer Prägung bereits blaue Flecken verursacht haben. Nicht von ungefähr trug Berti Vogts den Beinamen Terrier.

Solche Kosenamen sind im deutschen Nationalteam anno 2012 längst nicht mehr zu finden. Aus den berüchtigten Wadlbeißern von einst sind bekennende Musterknaben geworden, die Terrier verhalten sich heute lammfromm. Ganz zur Freude ihres Hirten, Joachim Löw, der genau diese faire und brave Verhaltensweise predigt.

Mit großer Genugtuung hat der Coach daher die Statistiken des 2:1-Sieges gegen die Niederlande studiert. Eine Rubrik, die von vielen Experten oft vernachlässigt wird, erregte dabei seine Aufmerksamkeit – die Foulstatistik. Die deutschen Abwehrspieler hatten im Match gegen die Niederlande in 90 Minuten kein einziges Foul begangen.

Identitätskrise

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Daten und Fakten wie diese erfüllen Löw mit Stolz. Er sieht sich darin in seiner Mission bestätigt, dem deutschen Fußball eine neue, zeitgemäßere Identität zu verschaffen. 2006 war der Südschwabe ja mit einer mutigen Ansage als Bundestrainer angetreten. Die Zeit des Rumpelfußballs müsse endlich vorbei sein, forderte Löw. "Denn seien wir einmal ehrlich: Diese Spielweise hat manchmal niemanden vom Sitz gerissen."

Dass sechs Jahre nach seinem Amtsantritt die deutschen Verteidiger selbst gegen die starke Offensiv-Fraktion der Holländer ohne Foul auskommen, mag zwar vielleicht gegen Robben & Co. sprechen, belegt aber die Entwicklung, die das deutsche Team unter Löw sukzessive durchgemacht hat. "Keine dummen Fouls", lautet nämlich ein Credo des 52-Jährigen, ein anderer Stehsatz betrifft den Spielstil. "Ich will hohe Bälle nur im Notfall sehen", erklärt Löw im KURIER-Interview.

Tempo

Hohe, weite Bälle , so die Ansicht des Bundestrainers, seien in erster Linie Zeichen der Ideen- und Hilflosigkeit einer Fußball-Mannschaft. Ein präzises Passspiel à la Spanien ist da schon eher nach Löws Geschmack. Je schneller, umso besser und erfolgreicher. Auch hier bestätigen die Zahlen aus der DFB-Datenbank die rasanten Fortschritte: Noch vor zehn Jahren hatte ein deutscher Teamspieler bei jedem Ballkontakt den Ball im Schnitt zweieinhalb Sekunden am Fuß, "heute haben wir in unseren guten Spielen schon Ballkontaktzeiten von 0,9 Sekunden", berichtet der Bundestrainer voller Stolz.

Jugendstil

Nicht alle kommen bei diesem rasanten Tempo mit. Es ist kein Zufall, dass Löw in seiner Ära das Nationalteam einer radikalen Frischzellenkur unterzogen hat. Mit Methode und Kalkül hat Löw in den letzten Jahren die Haudegen und verdienstvollen Alt-Internationalen aussortiert. Ballack, Frings, Kuranyi – sie alle passen nicht in das Schema des Teamchefs und wurden Schritt für Schritt durch junge, lernwillige und disziplinierte Spieler ersetzt. Heute stellt Deutschland nicht nur die mit Abstand jüngste Mannschaft des Turniers, sie erinnert in ihrem biederen, braven Auftreten fast ein wenig an einen Knabenchor. Dass der deutsche Verteidiger Boateng in seiner Freizeit mit einer fremden Frau gesichtet wurde, war deshalb schon ein Mega-Skandal. Über solche Ausrutscherchen hätte ein Lothar Matthäus wohl nur gelächelt.

Mit ihrem attraktiven Angriffsfußball und dem Hurrastil hat die deutsche Nationalmannschaft in den letzten Jahren nicht nur viele Sympathien gewonnen, sondern auch Respekt bei den Konkurrenten. Die greifen mittlerweile, wenn’s gegen die Deutschen geht, zu alten deutschen Tugenden. Ganz zum Leidwesen des Fußballästheten Löw. "Gegen uns stehen alle Gegner nur mehr hinten drinnen."

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