Der Fußball wird weiblich
Von Uwe Mauch
Keine Frage, Mittwochabend wird auch er vor dem Fernseher dabei sein, wenn der FC Bayern München in der Champions League in Marseille gastiert. Er kann sogar behaupten, das sei sein Job.
Harald Lange, 43, Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Universität im fränkischen Würzburg, ist Mitbegründer des neuen Instituts für Fußballfan-Kultur. Im KURIER-Interview erklärt der Sportpädagoge, warum Fußball in Deutschland gesellschaftsfähig ist.
KURIER: Darf man in Deutschland zugeben, dass einen Fußball nicht interessiert?
Harald Lange: Ich habe im Vorjahr vor der Frauen-WM, die bei uns in Deutschland stattfand, etliche Kollegen zu einer Ringvorlesung geladen. Es gab eine einzige Ethnologin, die mir geantwortet hat, dass sie noch nie ein Spiel gesehen hat. Bei uns ist es fast unmöglich, am Fußball ganz vorbeizugehen.
Modeerscheinung oder ein nachhaltiges Phänomen?
Wir sehen seit einigen Jahren, dass der Fußball immer mehr gesellschaftliche Bereiche durchdringt. Der Zulauf in den Stadien nimmt rasant zu, die Einschaltquoten steigen, die Vereine entwickeln sich zunehmend zu eigenen Markenprodukten.
Sie erforschen die Fankultur – verändert sich die?
Ja, eindeutig. Das "weibliche Moment im Fußball", wie ich es nenne, wird in den Stadien bedeutender – nicht zuletzt aufgrund des Frauenfußballs, der weiter an Bedeutung gewinnt. Auch auf den Rängen sind heute deutlich mehr Frauen zu sehen als noch vor zehn Jahren. Der Fußball wird weiblich.
Was bedeutet das für die Stimmung in den Stadien?
Ich habe einige Spiele der Frauen-Weltmeisterschaft im Stadion beobachtet. Ich gehe auch regelmäßig zu den Bundesliga-Spielen der Männer. Aufgefallen ist mir dabei die enorme Sachkompetenz der Zuschauerinnen. Die sich auch in ihren Anfeuerungsrufen, Kommentaren und Bewertungen des Spiels zeigt. Alles sehr kompetent.
Können Frauen den Macho-Fußball zähmen?
Es ist für mich jedenfalls evident, dass das Publikum sachorientierter ist als früher. Es gibt deutlich mehr Respekt für das gegnerische Team. Dieser urbritische Begriff der Fairness kommt jetzt auch bei uns allmählich an. So betrachtet, passen die Frauen in diese neue Fankultur, die durch Kreativität, Toleranz und Feierlaune charakterisiert ist.
Mann oder Frau: Wer ist im Stadion emotionaler?
Wenn es um Fußball geht, ist die Emotionalität bei den Männern wie bei den Frauen sehr, sehr stark ausgeprägt. Sie wird nur unterschiedlich zum Ausdruck gebracht.
Sie beschäftigen sich nicht nur mit den Frauen, sondern auch mit den Fans, die Probleme bereiten.
Genau, wir bemühen uns dabei um ein differenzierteres Bild. Im Normalfall interessiert sich die Öffentlichkeit für die sogenannten Ultras nur dann, wenn es wieder einmal gekracht hat. Doch es gibt da viele Facetten, nicht nur die Perspektive der Polizei. Es sind auch nicht alle Ultras per se gewaltbereit.
Gehen Sie in den Stadien direkt in die Fanblöcke?
Genau. Ein junger Kollege beobachtet und interviewt derzeit für seine Doktorarbeit die Ultras vom 1. FC Nürnberg. Die kennen ihn, die schätzen auch unsere Arbeit. Inzwischen haben wir auch Anfragen von anderen Vereinen und Fangruppen.
Wie sieht Fußball aus der Sicht der Ultras aus?
Das ist purer Sport. Wenn du neunzig Minuten lang in der Kurve stehst und ständig hüpfen musst, dann merkst du erst, wie anstrengend das ist. Dann weißt du auch, warum die jungen Männer selbst im Winter mit freiem Oberkörper zu sehen sind.
Sie als Sportpädagoge gefragt: Wie soll eine Gesellschaft mit den gewaltbereiten Fans umgehen?
Wenn es eskaliert oder zu eskalieren droht, sind zunächst die Ordnungskräfte und die Polizei gefragt. Mittelfristig sollten neben den Fanbeauftragten und Fanprojekten auch Sozialarbeiter, Eltern und Schule vorbauen. Wir müssen den Jungen helfen, Perspektiven für sich zu entdecken. Da kann der Sport Ziele anbieten, die auffälligen Kindern und Jugendlichen attraktiv erscheinen. Die deren Kräfte herausfordern und sie sozial verträglich binden.
Und wenn der Fanforscher zum Fußball geht, für wen schlägt dann sein Herz?
Für den ästhetischen Fußball. Und da gibt es in der Zwischenzeit – zum Glück – auch mehrere deutsche Vereine, die diesen praktizieren. Meine Daumen drücke ich aber auch der deutschen Frauen-Fußball-Nationalelf.
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