Das neue italienische Selbstbewusstsein
Nach dem 2:0 gegen Irland und dem damit verbundenen Einzug ins Viertelfinale überboten sich die Italiener in nobler Zurückhaltung. Bis auf einen, aber das ist nichts Neues. Antonio Cassano kleidete das neue Selbstbewusstsein der Azzurri in Worte. "Jetzt kann jeder kommen. Wir haben vor keinem Angst", sagte der Stürmer des AC Milan. Auch in der Heimat scheinen Fans und Medien von der wiedergewonnenen Stärke der Mannschaft überzeugt zu sein. Der Corriere dello Sport titelte: "Das ist das Italien, das wir lieben!"
Besondere Emotionen
Dabei hatte die Squadra Azzurra zittern müssen. Erst als das entscheidende 1:0 der Spanier im zeitgleichen Spiel gegen Kroatien feststand, konnten die Italiener jubeln. "Wir hatten alle ein bisschen Angst", gab Routinier Andrea Pirlo zu. Und: "Solche Spiele schenken einem immer diese besonderen Emotionen", sagte Tormann Gianluigi Buffon.
Trainer Cesare Prandelli lobte vor allem die moralische Stärke seiner Spieler:"Vielleicht hatten wir es nur nötig, Selbstvertrauen zu gewinnen. Die Qualität kommt immer zum Vorschein, aber wenn du nicht dein Herz reinsteckst, tust du dir einfach schwer." Wille, Leidenschaft, Aufopferung – Tugenden, die Prandelli seit seinem Amtsantritt 2010 predigt. Nach dem starken 1:1 gegen Spanien und dem enttäuschenden 1:1 gegen Kroatien war die Partie gegen die Iren vor allem eine Charakterfrage. "Es war wichtig, uns selbst ein Signal zu geben", sagte der Trainer, der sich nicht an ein annähernd nervenaufreibendes Match erinnern kann. "Das sind typisch wir", erklärte Buffon. "Gegen die Besten der Welt spielen wir auf Augenhöhe, gegen die vermeintlich Schwachen tun wir uns schwer."
Womit wir bei den Iren wären. Kein Punkt, Tordifferenz 1:9. "Ich bin erschüttert", resümierte Verteidiger Richard Dunne. "Das ist ein Desaster!" Für Trainer Giovanni Trapattoni ist nach der EM vor der WM, er bleibt bis 2014 Teamchef. "Ich bin mehr als bereit für den Neuanfang. Ich kann es gar nicht erwarten", sagte der 73-jährige Italiener. In der WM-Qualifikation spielt Irland gegen Österreich, Deutschland, Schweden, die Färöer und Kasachstan.
Sorgenfalten
Bei den Spaniern wurden nach dem knappen 1:0 gegen Kroatien, das den Gruppensieg bedeutete, Zweifel laut. Selbst Vicente del Bosque war klar: In dieser Form kann Spanien den EM-Titel wohl kaum verteidigen. "Es war ein schwer erkämpfter Sieg, wir haben gelitten. Das war keine brillante Leistung", gestand der Trainer. "Aber das Weiterkommen muss uns motivieren, wieder mit unserer gewohnten Philosophie weiterzuspielen." Torschütze Jesús Navas pflichtete bei: "Wir haben viel durchgemacht, aber wir haben gewonnen."
Anders als vier Tage zuvor bei der rauschenden Fußball-Fiesta gegen Irland fanden die Kombinations-Künstler kein Mittel, um die taktisch klugen Kroaten mit ihrem Kurzpass-Wirbel "Tiki taka" schwindligzuspielen. Aber nicht nur die ungewöhnlich vielen Fehlpässe und die mangelnde Kreativität sorgten für Erstaunen. Auch Del Bosques Einwechslung löste Kopfschütteln aus. Als der Trainer nach einer Stunde Rechtsaußen Navas für Fernando Torres brachte, spielte die Selección wieder ohne Mittelstürmer. Keiner war da, um Navas’ Flanken zu verwerten. Dass der Flügelflitzer vom FC Sevilla schließlich zum Matchwinner wurde, war fast schon Ironie.
Für Slaven Bilic sind die Spanier "nicht länger der große Favorit". Der Coach der Kroaten, der nach sechs Jahren zu Lokomotive Moskau wechselt, sagte: "Es gibt andere Teams, die hungriger sind und viel schneller spielen." Spanien sei zwar das beste Team der Welt, aber "wir waren nahe dran, sie zu stoppen".
Matchwinner war Iker Casillas mit einer Parade der Sonderklasse. "Ich bin froh, dass ich den Kopfball von Rakitic halten konnte", sagte der Tormann. Del Bosque ergänzte nüchtern: "Dafür haben wir ihn."