Helmut Marko: "Der Tod war immer präsent"
Von Florian Plavec
Die Formel-1-Saison 2017 nimmt Fahrt auf. Sebastian Vettel gewann vor einer Woche mit Ferrari in Monaco und zieht in der WM vorne davon, Mercedes ist nur noch die zweite Kraft. Dahinter lauert Red Bull.
Nach vier WM-Titel in Serie von 2010 bis 2013 hat das österreichische Team mit Firmensitz in England 2014 den Anschluss verloren. Grund dafür waren gravierende Regeländerungen. Helmut Marko ist seit mehr als einem Jahrzehnt eine der treibenden Kräfte hinter dem Formel-1-Projekt von Red Bull. Er war er unter anderem Förderer von Gerhard Berger, Karl Wendlinger aber auch von Sebastian Vettel und Max Verstappen. Vor dem Grand Prix von Kanada am nächsten Sonntag nahm sich der 74-jährige Steirer Zeit für ein Interview.
KURIER: Herr Marko, Sie haben vor 46 Jahren in Le Mans gewonnen ...
Helmut Marko: Was? So lange schon. Ein Wahnsinn!
Sie haben 50 Jahre im Motorsport hinter sich. Haben Sie noch immer nicht genug?
Nein, die Faszination ist noch da, die Leidenschaft auch. Aber es ist alles etwas getrübt, wenn man nicht ganz vorne mitfährt. Doch der Wille ist da, das ganze Team wieder an die Spitze zu bringen. Je weiter wir von der Spitze entfernt sind, desto größer ist der Einsatz.
Damals haben wir uns alle eingeredet, dass es Pech ist, wenn etwas passiert. Aber wenn wir unsere Hotelzimmer verlassen haben, haben wir immer ganz genau zusammengeräumt. Da war schon der Hintergedanke: ‚Falls ich vielleicht nicht mehr zurückkommen sollte, möchte ich keine Wirtschaft hinterlassen.‘ Im Nachhinein gesehen war es ein Riesen-Glück, dass ich es ohne gröbere Verletzungen überstanden habe.
Wie beeinträchtigt sind Sie im Alltag?
Kaum. Man adaptiert sich. Die erste Zeit war es schwierig beim Autofahren, aber am ärgsten war es beim Skifahren. Erst wenn die Knie beim Kinn waren, habe ich gemerkt, dass da ein Buckel war. Schwierigkeiten habe ich nur, wenn ich zum Beispiel ein Glas einschenken möchte.
War die Zeit als aktiver Rennfahrer schöner oder ist es die Zeit neben der Strecke?
Simpel: Zu meiner Zeit als Aktiver bin ich um 9 Uhr an die Strecke gekommen und um 17 Uhr ist man dann auf Partys gegangen. Was sich rundherum abspielt, hat man nicht mitgekriegt. Jetzt gehe ich um 7 auf die Strecke und um 22 Uhr nach Hause – und ich verdiene weniger Geld.
Aber nicht weniger Geld als die Fahrer vor 45 Jahren?
Nein, natürlich nicht. Damals haben wir sehr wenig bekommen.
Was waren Ihre schönsten Momente im Motorsport?
Als Aktiver war es sicher der Le-Mans-Sieg 1971, dann habe ich in der Formel 1 in Clermont-Ferrand ein wettbewerbsfähiges Chassis bekommen. Es war eine familiäre Zeit damals, aber trotzdem mit einer sehr hohen Wettbewerbsfähigkeit. Höhepunkt meiner Arbeit als Berater war sicher der erste WM-Titel von Sebastian Vettel mit Red Bull 2010 in Abu Dhabi, wo wir bis zur letzten Runde gezittert haben. Und als Verstappen 2016 in Barcelona gewonnen hat, war das großartig. Es hat zuvor so große Kritik gehagelt. Ich sei verrückt, dass ich den jungen Burschen zu Red Bull hole, unverantwortlich, dumm. Und dann gewinnt der seinen ersten Grand Prix.
Worauf sind sie noch stolz?
Es gibt vieles. Wir haben aus einem Privatteam im unteren Mittelfeld ein Siegerteam geformt. Wir können stolz sein auf dieses Red-Bull-Paket mit dem Junior-Team.
Was waren die hässlichen Momente?
Schiache Momente gab es leider viele. Markus Höttinger, das war ein Burgenländer, eine Riesen-Hoffnung, wurde von einem abfallenden Rad von Derek Warwick erschlagen. Helmut Koinigg ist in Watkins Glen gestorben, und ich war immer involviert, da ich beide unterstützt habe. Jo Gartner ist bei uns Gokart gefahren und hat dann 1986 in Le Mans den tödlichen Unfall gehabt. Ich habe viele Kollegen verloren. Der Tod war immer präsent.
Wer ist der beste Fahrer der Formel-1-Geschichte?
Eine ganz schwierige Frage. Es hat sich in den Jahrzehnten so viel in der Technik geändert. Aber von der Einstellung, vom Charisma, vom reinen Speed ist sicher ... (überlegt lange) ... natürlich hat der Michael Schumacher die meisten Titel ... aber das brasilianische Idol. Ja, Ayrton Senna war der Größte.
Helmut Marko, Toto Wolff, Niki Lauda, Monisha Kaltenborn, Franz Tost. Die Formel 1 wird von vielen Österreichern geprägt. Wo ist der nächste Fahrer?
Bis vor Kurzem war keiner in Sicht. Aber jetzt hat der Lucas Auer zwei DTM-Rennen gewonnen. Jetzt muss man schauen, ob er die Konstanz hat. Das wäre eine Möglichkeit. Weiter hinten sehe ich im Moment überhaupt nichts.
Ich mache das nicht bewusst, aber es hält viele unnötige Gespräche ab.
Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Niki Lauda? Man hat den Eindruck, sie pflanzen einander sehr gerne.
Das ist in Ordnung. Man akzeptiert sich.
Aber Freunde werden sie keine mehr?
Der Lauda hat keine Freunde (lacht). Aber wir ticken sehr ähnlich. Wenn der Lauda etwas gesagt hat, habe ich mich immer darauf verlassen können.
Warum soll man sich den GP in Spielberg im Juli anschauen?
Das ist eine der schönsten Strecken der Welt. Sie ist wunderbar in die Landschaft eingebettet, und man sieht von den meisten Plätzen zwei Drittel der Strecke. Und es ist ein neues Management tätig. Man wird näher am Geschehen dran sein, es gibt mehr Attraktionen und Events. Und neben der tollen Landschaft ist da noch die steirische Gastfreundschaft. Es wird atmosphärisch sehr lustig sein.
Wird die große alte Westschleife auf dem Red-Bull-Ring wieder einmal aktiviert werden?
Es werden bürokratische Hürden in den Weg gelegt, also kann man im Moment nicht davon ausgehen. Aber warten wir einmal ab. Wenn man den Worten der neuen Parteichefs glaubt, wird ja ein schlanker, leistungsorientierter Staat auf uns zukommen. Jedenfalls braucht es ein Umdenken.