Sport

Ein Flitzer entblößt die Leichtathletik

Er hat keinem Konkurrenten ein Haxl gestellt und auch keine Abkürzung genommen. Er hat keine obszönen oder abfälligen Gesten gemacht und auch nicht in den Wassergraben gepinkelt. Mahiedine Mekhissi-Benabbad hat im Endlauf über 3000 Meter Hindernis nur seinen Emotionen freien Lauf gelassen.
Dafür wurde dem Franzosen in Zürich nachträglich seine Goldmedaille aberkannt. Denn in den Augen der Regelhüter der Leichtathletik hat der 29-jährige Exzentriker etwas ganz Schlimmes angestellt: Er hat sich auf der Zielgeraden das Leiberl ausgezogen und ist mit nacktem Oberkörper die letzten hundert Meter zu seinem dritten EM-Titel gelaufen. "Ich wollte jubeln, so wie die Fußballer ein Tor feiern", erklärte Mekhissi-Benabbad.

Für die Leichtathletik-Anhänger im Letzigrundstation war der Striptease nichts weiter als eine emotionale Einlage, das Leichtathletik-Kampfgericht sah in der Aktion von Mekhissi-Benabbad, der in der Vergangenheit schon einige Male verhaltensoriginell in Erscheinung getreten war, freilich unsportliches Verhalten und verwarnte den Franzosen mit einer Gelben Karte. Zu diesem Zeitpunkt war der 29-Jährige noch Europameister.

Zweierlei Maß

Doch das alles war aber erst der Anfang des unsinnigen Donnerstages von Zürich. Denn nach der Verwarnung sollte dann auch noch der spanische Verband, dessen Läufer zufälligerweise auf dem vierten Platz ins Ziel gekommen war, wegen eines Vergehens gegen die Kleidervorschriften Protest gegen die Wertung einlegen – und auf einmal war Mekhissi-Benabbad seinen EM-Titel los und der Spanier Angel Mullera plötzlich stolzer Besitzer einer Bronzemedaille.
Durch die Statuten der Wettkampfordnung mag diese Disqualifikation zwar gedeckt sein, einige Athleten können die Entscheidung aber nicht nachvollziehen. „Das ist nichts Wichtiges. Was Mahiedine mit seinem Shirt gemacht hat, hatte nichts Störendes oder so“, sagte der Franzose Yoann Kowal, der durch den Strip seines Landsmanns Gold geerbt hat.

In anderen Bereichen der Leichtathletik werden da mitunter weit weniger strenge Maßstäbe angelegt als bei Mekhissi-Benabbad. Wenn’s um Doping geht, dann kann schon einmal Gnade vor Recht ergehen. So dürfen die prominenten Sprinter Tyson Gay (USA) und Asafa Powell (Jamaika) längst wieder wettkampfmäßig auf den Beinen sein, obwohl sie erst vor einem Jahr in die Dopingfalle gelaufen waren. Und Mahiedine Mekhissi-Benabbad? Der will nun Sturm laufen gegen die Disqualifikation. Rein sportlich versteht sich. Der Franzose sprintete gestern regelrecht ins Finale über 1500 Meter.