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Der schwärzeste Tag der Olympia-Geschichte

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Von Schiffen der Royal Navy aus wird eine Olympiahalle an der Themse bewacht. Die Regierung hat das Sicherheitsaufgebot an Soldaten auf 17.000 erhöht. Muss London mit einem Terroranschlag rechnen? Sollen die Olympischen Spiele 2012 in zwölf Tagen mit einer Gedenkminute an die Opfer von München ’72 begonnen werden, wie das IOC-Präsident Jacques Rogge ablehnt, aber viele Prominente fordern?

Fragen wie diese dominieren noch über Medaillen-Spekulationen.

Rogge will unbeschwerte Spiele. So wie sie das 1972 bis zum 5. September in München gewesen waren.

Dieser Tag hat nicht nur die Sportwelt verändert. Seither ist es aus mit lockeren Flugreisen ohne Warterei. Seither mussten Milliarden Passagiere durch den Scanner. Seither sind sportliche Großveranstaltungen ohne Security-Checks der Zuschauer, Athleten und Reporter undenkbar.

1972 in München, wo Eva Janko, die Mama des heutigen Fußball-Teamkapitäns Marc Janko, gerade Sechste im Speerwurf geworden war, kam ich wie jeder andere Besucher ohne einzige Kontrolle ins Olympia-Dorf.

Dort rief Gunnar Prokop, der Trainergatte der damaligen Mehrkampfweltrekordlerin und späteren Innenministerin Liese Prokop, auf Fahnen an weißen Gebäuden deutend: "Schau her, hier wohnen Juden und Ägypter nebeneinander!" Und: "So was Völkerverbindendes gibt’s nur im Sport. Schreib dös, Bua!"

Fatale Falschmeldung

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Ich sollte nicht mehr dazu kommen, diese Bitte zu erfüllen. In eben einem dieser Häuser fielen am frühen Morgen des 5. September Schüsse. Ilona Gusenbauer schreckte im Olympia-Dorf hoch. Ihrem Bronzemedaillen-Gewinn hatte, obwohl sie im Hochsprung unerwartet von der 16-jährigen Deutschen Ulrike Meyfarth übertroffen worden war, die Schlagzeile auf Seite 1 des KURIER vom 5. September 72 gegolten.

Um 6.00 Uhr wurden die Druckmaschinen erneut angeworfen. Ilona verschwand aus dramatischem Grund von der Titel-Seite.

Terror im Olympia-Dorf!

Den ganzen Tag lang wurde mit den Geiselnehmern verhandelt. Sie verlangten die Freilassung von 232 in Israel inhaftierten Palästinensern. Der von Polizei umstellte Schauplatz befand sich nur zwei Fußballfelder weit von unserem Quartier entfernt.

Irgendwann wurden die Bilder an den Schwarz-Weiß-Fernsehgeräten ausgeblendet, aber ich sah vom Balkon aus die Hubschrauber aufsteigen, während es im Bayern Radio hieß: "Soeben starten zwei Helikopter mit den Geiseln."

Was später im Mediencenter von offizieller Stelle erklärt wurde, stimmte wieder zuversichtlich. Man habe die Terroristen überlistet, alle Geiseln gerettet.

Vielleicht log man, um Panik zu vermeiden. Vielleicht wurde noch gestritten, ob die deutsche (schlecht ausgerüstete) Polizei oder Israels Geheimdienst das Ober-Kommando bei der Befreiungsaktion haben sollte. Vielleicht war auch nur naiver Optimismus Vater des Gedankens. Wie auch immer – es war eine fatale Falschmeldung.

Nach den beiden Israeli, die schon bei der Geiselnahme in der Früh verblutet waren, starben neun ihrer Teammitglieder ebenso wie fünf Geiselnehmer und ein Polizist bei der nächtlichen Schießerei am Flughafen Fürstenfeldbruck.

Fiasko

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Um fünf Uhr des 6.9. musste Deutschlands Innenminister Hans-Dietrich Genscher das Fiasko von Fürstenfeldbruck eingestehen. Um 11 Uhr versammelten sich 70.000 im Olympiastadion zur Trauerfeier, der die Delegationen aus der DDR und den arabischen Ländern fernblieben.

Jeder rechnete mit einem Olympia-Abbruch. Kaum jemand begriff IOC-Präsident Avery Brundage, als der am Mikrofon verkündete: "The games must go on."

Der Alltag sollte rascher einkehren als angenommen. Am Schlusstag machte sich unsereiner schon wieder über die deutschen, im Normalfall so überkorrekten, Veranstalter lustig.

Ein Spaßvogel hatte sich im Finish des Marathon-Laufes auf die Strecke geschwindelt, als Erster das Stadion erreicht und sich dort als Sieger feiern lassen, Worauf der wahre Beste, Frank Shorter (USA), auf seiner letzten Runde für seinen größten Triumph keinen Applaus mehr erhielt.

Es war die vergleichsweise harmloseste Panne dieser Spiele.

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